Biologisch beleuchtet
In einem fensterlosen Raum haben die FluglotsInnen in Dübendorf Mühe, ihre biologische Uhr mit dem Tagesverlauf zu synchronisieren. Das geht auf die Konzentration. Das neue Lichtkonzept von Sommerlatte & Sommerlatte sorgt nun dafür, dass Licht und Helligkeit sich dem natürlichen Rhythmus anpassen
Das Flugzeug ist startbereit und der Pilot bekommt die Startfreigabe des Fluglotsen im Kontrollturm. Kurze Zeit später hebt die Maschine ab und verschwindet als kleiner Punkt am Horizont. FluglotsInnen, auch FlugverkehrsleiterInnen genannt, koordinieren die Start- und Landefreigabe der Flugzeuge und leiten sie in ihrem Zuständigkeitsbereich. Es ist ein Beruf, der von der Faszination fürs Fliegen, Technik und Teamarbeit geprägt ist. FluglotsInnen leisten tagtäglich eine verantwortungsvolle Tätigkeit, im Kontrollturm, in der An- und Abflugkontrolle und in den Kontrollzentren.
Die Flugsicherungsgesellschaft Skyguide überwacht den Schweizer Luftraum sowie angrenzende Lufträume in Frankreich, Deutschland, Italien und Österreich. Einer der beiden wichtigsten Standorte befindet sich in Wangen/CH neben dem Militärflugplatz Dübendorf. Das Flugverkehrskontrollzentrum dort ist zuständig für den Luftraum der Deutschschweiz, Liechtenstein und Süddeutschland. Das Gebäude der Flugsicherung wurde vom Berner Architekten Jakob Burkhard projektiert und 2006 fertiggestellt. Es besteht aus fünf Gebäudeteilen, die durch einen Kommunikations- und Verbindungsgang untereinander verbunden sind.
Das Kontrollzentrum befindet sich seit 2009 im Herzen des größten Gebäudeteils. Der 960 m² große Raum liegt im Gebäudeinneren und verfügt über kein Tageslicht. Die Beleuchtung bestand zu Projektbeginn aus in die abgehängte Decke montierten großflächigen, quadratischen Lichtdecken, die diffuses Licht abstrahlten.
Die Analyse der bestehenden Beleuchtung und die Befragung der MitarbeiterInnen ergab für die neue Beleuchtung folgende Ziele: Verbesserung des Sehkomforts durch Minimierung der Direkt- und Reflexblendung, Außenbezug, Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit und Unterstützung der Schlaf-Wachrhythmik der MitarbeiterInnen durch biologisch wirksames Licht. Zu Beginn des Projekts zur Erneuerung der Beleuchtung im Kontrollzentrum standen folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie kann die Beleuchtung die Arbeit der FluglotsInnen unterstützen? Wie können sehr gute Sehbedingungen geschaffen werden, die Konzentrationsfähigkeit und Wohlbefinden steigern? Wie kann die Schlaf-Wachrhythmik durch optimale Lichtbedingungen unterstützt werden?
Sehkomfort
Die hohe Leuchtdichte der bestehenden Lichtdecken sowie der hohe Kontrast zur dunkel erscheinenden Decke führten zu Direkt- und Reflexblendung und dadurch zu verminderter Sehleistung und beeinträchtigtem Sehkomfort. Das neue Lichtkonzept zeichnet sich durch eine ausgewogene Leuchtdichteverteilung im Raum aus. Die dadurch resultierende Minimierung der Blendung ermöglicht störungsfreies Sehen. Der Radarbildschirm, der zentrale Bildschirm am Fluglotsenarbeitsplatz, verfügt über einen schwarzen Bildschirmhintergrund und stellte sich als kritischer Punkt bei dieser Betrachtung heraus.
Tageslicht / Außenbezug
Das fehlende Tageslicht wurde von den FluglotsInnen als ein großer Mangel empfunden. Von den in einer schon früher durchgeführten Studie aufgezeigten Varianten, mit welchen baulichen Maßnahmen ein Bezug zum Außenraum bzw. zum Tageslicht hergestellt werden könnte, wurde aus Kostengründen keine als realisierbar eingestuft. Mit dem neuen Lichtkonzept sollte dennoch eine Idee entwickelt werden, einen Außenbezug herzustellen.
Biologisches Licht
Die Gewährleistung der sicheren Beförderung von Personen und Waren rund um die Uhr bedeutet eine große Verantwortung für die FluglotsInnen. Sie benötigen sehr gute Konzentrations- und Stressbewältigungsfähigkeiten. Sicherheit steht an oberster Stelle. Ein wichtiger Bestandteil bei der Planung war die Berücksichtigung der neu entdeckten Photorezeptoren („ipRGCs“) im Auge, welche die Schlaf-Wachrhythmik, die Konzentrationsfähigkeit und Müdigkeit beeinflussen können. Über das Umgebungslicht werden die ipRGCs aktiviert, was für die tägliche Adjustierung der inneren Uhr sehr wichtig ist. Diese Wirkung auf den Menschen wird oft als nicht-visuelle Lichtwirkung beschrieben.
Herausforderungen
Beim neuen Lichtkonzept standen folgende Überlegungen im Mittelpunkt:
– Der Indirektanteil der Leuchten im hohen Raum darf nicht zu hell werden, da er sonst Spiegelungen im Monitor verursacht. Die derzeitige Meinung ist jedoch, dass dieser wichtig ist, um eine biologische Wirkung bei den MitarbeiterInnen zu erreichen. Hier stellte sich die Frage, wie eine ausreichende biologische Wirkung ohne störende Spiegelungen erreicht werden kann.
– Für den Schichtbetrieb war die Gestaltung eines optimalen Lichtverlaufs (Lichtfarbe, Lichtverteilung und Beleuchtungsstärke) zur Förderung des Wohlbefindens und der Leis-tungsbereitschaft sowohl während des Tags als auch im Nachtbetrieb wichtig.
– Die streng geometrische und stark kontrastierende Deckenbeleuchtung soll aufgelockert und gleichmäßiger ausgeleuchtet werden.
– Wände und Boden sollen farblich so angepasst werden, dass sie die Lichtwirkung und die subjektive psychologische Wirkung unterstützen.
Zur nicht visuellen Lichtwirkung bestand ein hoher Bedarf an einem umfänglichen Überblick zu den Möglichkeiten der Nutzung im fensterlosen Raum bei Tag und bei Nacht, da die Arbeit am Bildschirm nur eingeschränkte Möglichkeiten von Lichtapplikationen bietet. Beispielsweise dürfen Leuchtdichteunterschiede Grenzwerte nicht überschreiten und Blendung muss vermieden werden. Eine Quantifizierung von Licht in Bezug auf die spektrale Verteilung, die zeitliche und örtliche Dynamik und die Beleuchtungsstärken am Auge war wünschenswert, um eine physiologische Auswirkung auf den Menschen hinsichtlich der direkten Aufmerksamkeit aber auch der zirkadianen Wirkung (Beeinflussung der zirkadianen Phase und Amplitude) zu erreichen.
Baukonstruktion
Die Entwicklung des Lichtkonzepts stand von Beginn an nicht nur unter den lichtspezifischen Zielsetzungen. Zusätzlich gab es organisatorische und bauliche Herausforderungen. Baulich stellte vor allen Dingen die bestehende abgehängte Decke eine Schwachstelle dar. Die abgehängte Decke besteht aus einer Holzkonstruktion, deren Tragfähigkeit unbekannt ist. Sie ist an den darüberliegenden Fachwerkträgern des Dachtragwerks befestigt. Ihr unterer Abschluss ist als gelochte Metalldecke ausgeführt, in die die großen Lichtdecken (3,50 x 3,50 m) aus Spannfolie deckenbündig eingelassen sind.
Bisher mussten die Lichtdecken unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen revidiert werden. Nur mit Klettergurt durften die Lichtquellen vom Raum über der abgehängten Decke ersetzt werden. Das Risiko war groß, dass Menschen, Teile oder Werkzeug durch die Spannfolien in das Kontrollzentrum stürzen könnten. Diejenigen Bereiche im Kontrollzentrum, über denen in der Decke gearbeitet wurde, mussten jeweils abgesperrt werden. Arbeiten über den Köpfen von FluglotsInnen sind ein Tabu.
Ganz zu Beginn des Projekts stand deshalb die Entscheidung über den Umgang mit der bestehenden Decke aus Gründen der unbekannten Tragfähigkeit sowie des nicht mehr gewünschten Deckenbilds. Von den geprüften Varianten Abbruch, Aufwerten und Ausblenden entschied sich Skyguide für die Lösung Ausblenden. Ziel war dabei, die bestehende Decke zu belassen, möglichst wenig Berührungspunkte zu erreichen sowie eine neue Ebene zu schaffen, die die Decke visuell ausblendet.
Von den bestehenden Fachwerkträgern wurde aus diesem Grund eine zweite tragende Schicht abgehängt, deren Abhängungen durch die Holzkonstruktion geführt wurden. Diese zweite Trägerschicht bildet die Basis für die Leuchten und die darunter eingefügte neue Decke. Die neue Decke besteht aus einer leichten und in der Vertikalen offenen Papierschicht, die quer zum Raum über zahlreiche Drähte aufgehängt wurde. Sie dient als Reflektor für die indirekte Beleuchtung und bildet mit ihrer lebendigen Struktur ein wichtiges Merkmal des neuen Raumes.
Die Raumbeleuchtung wird grundsätzlich zentral gesteuert. Dabei wechseln sich im Tagesverlauf zwei Szenen ab, die Tages- und die Nachtszene – diese bilden das Arbeitsaufkommen ab, das Aufgrund des Nachtflugverbots zwischen 23:30 und 6:00 Uhr geringer ist. Die Lichtfarbe ist tagsüber auf 5 700 K und in der Nacht auf 3 000 K ohne manuelle Einstellmöglichkeiten festgelegt. Allerdings lassen sich einige Lichtgruppen manuell steuern, um dem individuellen Bedarf der Beschäftigten Rechnung zu tragen. Die Leuchten an den Arbeitsplätzen können ebenfalls nur manuell geschaltet und gedimmt werden, die Lichtfarbe ist jeweils hinterlegt und passt sich dem Umgebungslicht im Tagesverlauf an. Da die Veränderung zwischen Tag und Nacht sehr groß ist, wurde eine Fadingzeit von 30 Minuten eingestellt. Die Lichtsteuerung kann über ein Panel bedient werden, das bei den Supervisoren positioniert ist. Es wird auch grundsätzlich nur von diesen Personen bedient.
Mit dem Wegfall der bestehenden akustisch wirksamen Vorhänge wurde eine Wandverkleidung entwickelt, die sowohl absorbierend wirksam und gleichzeitig Träger der neuen Wandgestaltung ist. Die Farbgestaltungsfirma raumgwand hat aus insgesamt 2028 horizontalen Platten ein feines, farbiges Bild an den beiden Längswänden des Raumes gestaltet.
Die sichtbare Farbe ist dabei nur das reflektierte Licht der ausschließlich auf den Oberseiten der Platten aufgebrachten Farbe. Mit nur acht Farben wird ein bewegtes Himmelsbild konstruiert, das je nach Standort und Lichtverhältnissen stets neue Stimmungen erzeugt. Um die absorbierende Wirkung dieser Wandgestaltung überprüfen zu können, wurden die Wandplatten eigens für dieses Projekt von der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt EMPA, die ebenfalls in Dübendorf ansässig ist, im Schallabor messtechnisch geprüft.
Organisatorisch
Der Umbau wurde während des laufenden Betriebs realisiert, da das Kontrollzentrum täglich 24 Stunden in Betrieb ist. Am Flughafen in Zürich herrscht jedoch ein Nachtflugverbot, dadurch ist die Besetzung des Raums in der Nacht stark reduziert. Die Umbauarbeiten wurden deshalb allesamt in der Nacht – in insgesamt 20 Nächten – ausgeführt.
Um die akustischen Emissionen so gering wie möglich zu halten, wurden verschiedene Vorkehrungen getroffen. Alle lärmintensiven Zeiten mussten selbstverständlich mit den anderen NutzerInnen des Gebäudes abgesprochen werden. Da die mit dem Umbau realisierte Erdbebenertüchtigung mit einer großen Anzahl an Bohrungen verbunden war, wurden diese mit einer ganzen Reihe zeitgleich angesetzten Bohrern durchgeführt, sodass die Zeitspanne der Lärmemission so gering wie möglich war. Alle HandwerkerInnen waren informiert, dass im Notfall alle Arbeiten auf ein Zeichen des Projektleiters sofort gestoppt werden müssen.
Im Kontrollraum selbst wurde für die Zeit des Umbaus eine Lärmschutzkabine eingebaut, die über die bestehenden Arbeitsplätze der FluglotsInnen der Nachtschicht gestülpt wurde. Der Umbauzeitpunkt wurde ursprünglich auf Anfang Februar 2021 gelegt, der Zeitraum unmittelbar nach dem World Economic Forum in Davos. Während des WEFs herrscht im Schweizer Flugraum Hochbetrieb. Durch Corona wurde diese Überlegung jedoch obsolet und der Umbau konnte während einer sowieso schon ruhigen Zeit durchgeführt werden.
Chronobiologisches Licht
Ausgangslage: Bei der Messung vor Ort ergaben sich auf Augenhöhe melanopisch bewertete Beleuchtungsstärken zwischen 28 und 55 Lux, die deutlich unter den geforderten 250 Lux melanopic equivalent daylight illuminances (mEDI) liegen. Bei EDI handelt es sich um die tageslichtäquivalente Beleuchtungsstärke. Der Zusatz melanopisch bezieht sich auf die melanopsinhaltigen Zellen der Retina, die durch Licht mit Wellenlängen um 490 nm angeregt werden, das dem Betrachter Türkis erscheint. Angestrebt wird demnach ein Lichtspektrum, das dem Tageslicht ähnlich ist und damit bei 250 photopischen Lux für die melanopsinhaltigen Zellen ebenfalls 250 Lux bereitstellt. Erschwert wurde die Situation vor Ort von den Computerbildschirmen, da das Verhältnis der Leuchdichte zwischen Arbeitsplatz und unmittelbarer Umgebung < 3 : 1 sein sollte.
Lichtkonzept: Bei der Neugestaltung der Beleuchtung spielten die sogenannten non-image-forming photoreceptors (ipRGCs), also Photorezeptoren, die nicht zur eigentlichen Bildinformation beitragen, eine große Rolle. In der Retina verortet, beeinflussen sie den Wach-Schlaf-Rhythmus des Menschen maßgeblich. Da sie vor allem mit den mEDIs und weniger mit der Farbtemperatur in Verbindung stehen, kamen bei dem neuen Lichtkonzept vor allem Leuchten mit relativ hohen mEDIs zum Einsatz. Eine Vielzahl von Leuchten sorgt im Tageslichtszenario zudem dafür, dass das Decken-, Fluter-, und individuelle Arbeitsplatzlicht in breiter Fläche auf die Retina trifft, in der die ipRGCs gleichmäßig verteilt sind. Entsprechend sorgen Lichtinseln bei abgeschaltetem Deckenlicht in der Nacht dafür, dass weniger ipRGCs angesprochen werden, der Körper also in den Nachtmodus versetzt wird. Liegt das vertikale Umgebungslicht auf Augenhöhe während des Tags bei 110 bis 263 Lux mEDI, reduziert es sich bei Nacht 13 bis 17 Lux mEDI. Eine anschließende Befragung der Belegschaft zeigte, dass diese Maßnahmen sowohl die empfundene Natürlichkeit des Lichts sowie das persönliche Wohlbefinden deutlich gesteigert haben.