Brasília – eine Ausstellung
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„Die umfassendste Ausstellung zur einzigartigen Geschichte der Hauptstadt Brasiliens ist nach einer weltweiten Tournee und bisher mehr als 200 000 Besuchern ab dem 12. Dezember in der Brasilianischen Botschaft in Berlin zu sehen.“ Das mag wahr sein und soviel sei jetzt schon gesagt, wer demnächst ein paar Tage in Berlin verbringt, der sollte die Brasilianische Botschaft an der Wallstraße besuchen und sich die Exponate anschauen: Fotografien, ein Stadtmodell, historische Filmaufnahmen, Zeichnungen, darunter wenige Originale, ein paar Kleinskulpturen, Aquarelle und Fliesenmuster, Briefe und Devotionalien, die rund um den hier gepflegten Mythos Brasília zu einer Schau zusammengetragen wurden. Die Kuratorin, die Brasilianerin Danielle Rocha Athayde, nutzt für ihre Ausstellung ihre Masterarbeit mit gleichem Titel. Die Kuratorin studierte Strategisches Marketing-Managment, eine akademische Ausbildung, deren Zielrichtung sich im Ausstellungstenor deutlich niedergeschlagen hat und die sich mit den Grußworten des Gourverneurs des Bundesdistriks Brasília, Agnelo Queiroz konkretisieren lässt. Der beschreibt die augenblickliche Situation in der Hauptstadt so, dass man gerade „übermenschliche Anstrengungen“ unternehme, um „Elend und Gewalt zu bekämpfen“, und er geht davon aus, dass für Brasília „eine neue Phase angebrochen sei: eine Phase der Ruhe in der politischen Landschaft“.

Also Ruhe. Nun ruht Brasília schon ein halbes Jahrhundert in seinen Mythen und Legenden, die Stadt, die in nur vier Jahren im Kern und gleichsam mit bloßen Händen aufgebaut wurde im Nichts einer wilden Hochebene. Vielleicht hat man darauf gewartet, dass der große und großartige Oscar Niemeyer „heim gehe zu seinen Freunden“ (Silvestre Gorgulho, Katalog, S. 100). Um dann endlich daran zu kratzen am mit dreifach Firniss geschützten Bild vom Männerbund, dem die Welt eine Ikone der Moderne zu verdanken hat. Und an der Stadt selbst, die die meisten nur aus vermittelter Anschauung kennen. Aus den Fotografien von Marcel Gautherot oder Mário Fontenelle, natürlich auch denen von Réne Burri oder Lucien Clergue, aber die letzteren spielen in dieser Ausstellung keine Rolle. Ebenso nicht ein aktueller Text von Cees Nooteboom mit den Fotografien von Iwan Baan, wie überhaupt die Gegenwart sich nur in einem hier so genannten Stadtmodell widerspiegelt und in dem Hinweis auf das neue Fußballstadion Mané Garrincha. Dass dieser Neubau von gmp Architekten, mit Castro Mello Arquitetos und Schlaich Bergermann & Partner stammt, wäre für die Deutschland-Station doch einen Eintrag/Hinweis wert gewesen?!

Dass die Stadt, die für 500 000 Menschen geplant war, heute rund 2,7 Mio. Einwohner beherbergen muss, ist ebenfalls eine Randnotiz, von der aus man allerdings eine aktuelle Sicht auf Scheitern oder Erfolg des Mythos Brasília hätte wagen können. Zumal dieser Bevölkerungszuwachs sich ausschließlich in den Randregionen der Stadt vollzieht, weniger auf dem ursprünglichen plano piloto. Nirgendwo findet sich ein Seitenblick auf diese Vororte, nirgendwo ein Blick auf den Alltag in der Weite und Länge der Straßen, nirgendwo der Hinweis auf die Ausbeutung der Natur, die mit der Gründung einer solchen Flächenstadt einherging und heute noch und ganz besonders das Umland prägt. Dabei wäre das ja auch eine Chance gewesen, die Hauptstadt Brasiliens als eine zeitgenössische Metropole zu etablieren, die Probleme hat wie alle anderen Städte dieser Größe auch. Hier den Entwicklungzusammenhang herstellen zwischen Reißbrettplanung damals und realer Stadt heute, das wäre ein wertvoller Beitrag zur internationalen Stadtforschung gewesen. Ein Beitrag auch zur Diskussion über den Stellenwert der Moderne, deren jahrzehntelange Tabuisierung in dieser Ausstellungsarbeit nicht angegangen wird; obwohl längst in den meisten Kulturdisziplinen unternommen.

Staatspräsident Juscelino Kubitschek, Stadtplaner Lcio Costa, Architekt Oscar Niemeyer und vielleicht noch Landschaftsarchitekt Burle Marx sind die hier in aller Kürze porträtierten Helden. Wie sie, jenseits aller Legenden, zusammenfanden und wie sie sich auch wieder trennten – Burle Marx verließ Niemeyer damals, bezeichnete dessen Architektur als „Festivalkommunismus“ –, davon ist nichts zu erfahren. „Von der Utopie zur Hauptstadt“, das ist ein vielversprechender Titel, der leider das nicht hält, was er verspricht: eine vielleicht sogar wissenschaftlich fundierte Interpretation einer Stadtgeschichte, deren Untersuchung beispielhaft sein könnte für vergleichbare Vorhaben. Und deren Ergebnisse, weitab von Stadtmarketing-Strategien, dazu beitragen könnten, den Mythos Brasília erst einmal von allem Ballast zu entkleiden. Vielleicht entstünde daraus ja dann ein neuer, dann wohl zukunftsfähigerer Begriff von dieser Stadt mitten in der Einöde, deren „große Bestimmung ich mit unerschütterlichem Glauben und grenzenlosem Vertrauen in der Morgenröte aufdämmern sehe“ (Jus­celino Kubitschek 1956, Katalog, S. 59). Und deren Bedeutung für manchen Beobachter in den kommenden Jahren noch die anderer, heute größerer Hauptstädte überragen könnte. Hingehen? Aber ja, die Fotografien und ein paar Originale sind es wert. Das Begleitbuch leider nicht, es ist ganz konsequent das, was die Ausstellung noch subtil überspielt: Stadtmarketing (45 €). Be. K.

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