Mit Beton reagiert

CEP Betriebszentrale Süd, Pollegio/CH

Die Betriebszentrale Süd der SBB CFF FFS ist eine Landmarke, die aufgrund ihrer markanten Form weithin sichtbar ist. In Pollegio hat die Arge Bruno Fioretti Marquez + Martini, Lugano einen Sichtbetonbau realisiert.

Der Mann, der der Betriebszentrale Süd der Schweizerischen Bundesbahn AG SBB zur Arbeitsaufnahme leitend vorstand, heißt Ivo Imperatori. Weniger schön mächtig klingend wäre auch wohl zu wenig gewesen für den Verantwortlichen am Kommandostand der Leitzentrale am Südende des Großprojekts Gotthard-Basistunnel, der bereits 2014 den Bahnverkehr auf Probe aufgenommen hatte. Mit 57  km Länge ist der Tunnel der längste der Welt und er wie aber auch seine zugehörigen Betriebsbauten sind ingenieurtechnische Meisterleistungen. Für die hier beschriebene Leitzentrale bei Pollegio/CH wurde seitens des Bahnkonsortiums SBB CFF FFS Alp Transit Gotthard AG (ATG) im Frühjahr 2006 ein Projektwettbewerb ausgeschrieben, zu dem zehn Teams eingeladen wurden. Im Herbst des Jahres empfahl die Jury der Bauherrschaft, den „auffälligen Riesenpilz, dessen Myzelium aus der Gotthardachse der NEAT besteht“ und der „eingebettet in die großartige Landschaft der Leventina“ liegt, zu realisieren. Der „Riesenpilz“, den die Architekten in ihrem Entwurf gleichfalls bildstark „Periskop“ nennen, stammt von der Arge Bruno Fioretti Marquez + Martini, Lugano. Im November 2009 wurde mit dem Bau begonnen, dessen Aufgabe es ist, täglich rund 400 Züge, darunter zahlreiche Güterzüge, so am Laufen zu halten, dass alles im Plan liegt. Eingreifen müssen die Zugverkehrsleiter nur, wenn die Züge vom Plan abweichen. Zum Projekt sprachen wir mit BFM Architekten und stellten ein paar Fragen. Be. K.

Eine Betriebszentrale ist keine klassische Architekturaufgabe. Warum habt Ihr euch entschieden, an diesem Wettbewerb teilzunehmen?

Wir hatten schon immer eine Leidenschaft für Infrastrukturbauten: Brücken, Dämme, Kraftwerke, Stellwerke, Räume, die sich der menschlichen Maßstäblichkeit entziehen. Die Schweizer Landschaft fasziniert uns durch die gleichzeitige Präsenz der überwältigenden Naturschönheit und der künstlichen Konstruktion des Territoriums. Diese im hohen Grad künstliche Landschaft ist de facto komplett perforiert mit technischen Bauwerken, mit Infrastruktur, aber auch geheimen Archiven oder Einrichtungen für das Militär. Diese Haltung der Formbarkeit von Landschaft bildet einen wichtigen Faktor des kollektiven Schweizer Bewusstseins. Alles das hat uns am Ende bewogen, an dem internationalen Wettbewerb für das Stellwerk für den Gotthard-Basistunnel teilzunehmen.

Wie habt Ihr die Aufgabe interpretiert?

Die Idee des Gebäudes ist es, die beunruhigende Präsenz einer im Erdboden verborgenen Maschine sichtbar zu machen. Das „Periskop“ bildet das äußere Zeichen des Tunnels. Der Entwurf thematisiert die Beziehung zwischen Architektur und Landschaft, zwischen Bauwerk und Infrastruktur. In Pollegio, am Süd-Portal des Tunnels, bündeln sich die wesentlichen, lineare Elemente, die die Verkehrsstruktur des Tals prägen: Bahn, ­Autobahn, der Fluß Ticino und die Kantonsstraße. Die Wahrnehmung des Gebäudes von der Eisen- und Autobahn ist ein zentrales Kriterium für die Definition seiner Form, die sich den fließenden horizontalen Linien der Verkehrsstrecken entgegenstellt. Unser Entwurf sollte in Bewegung erlebbar sein. Ein Gebäude, das man als Skulptur oder als plastisches Element wahrnimmt, das seine Gestalt im Vorbeifahren ständig verändert.

Von Norden her wirkt das Gebäude von Weitem wie ein gewaltiger Block. Es erinnert an einen vom Berg gefallenen Findling oder an einen jener mittelalterlichen Türme, von denen aus man die Wege zur Durchquerung der Alpen überwachte. Erst aus nächster Nähe erkennt man, dass der kompakte Block aus der Rotation von zwei Prismen besteht. Ein vertikaler Riegel, in dem sich die Büros und technischen Räume befinden, und ein horizontales, trapezförmiges Volumen, wo die Kontrollzentrale, ein 500 m² großer, stützenfreier, 7 bis 9 m hoher Raum untergebracht ist. Der vertikale Riegel auf einem flachen Sockel verläuft diagonal unter einem horizontalen Volumen, das beidseitig auskragt. Ein dreigeschossiger Raum verschmilzt die zwei Körper zu einer plastischen Struktur. Von Süden kommend nimmt man das Gebäude wiederum ganz anders wahr. Der Baukörper zeigt eine schmalere, schlankere Fassade und stärker ausgestaltete Formen, da die doppelte Auskragung des oberen Prismas sichtbar wird.

Wie wird in der Kontrollzentrale gearbeitet?

Im 500 m² großen Kontrollraum arbeiten in drei Schichten über 24 Stunden 30 bis 40 Personen. Jeder Mitarbeiter muss eine perfekte Sicht auf die anderen Arbeitsplätze haben. Die Arbeitsplätze auf der vom Dach abgehängten, 30 m langen Passerelle sind so angeordnet, dass sie zu den ­Arbeitsplätzen auf der darunterliegenden Zwischenebene in Sichtkontakt stehen. Das Gebäude hat wenig zu tun mit traditionellen Eisenbahnkontrolltürmen. Die neue Kontrollzentrale hätte eigentlich fensterlos sein können, doch die Bauherren waren damit einverstanden, dass wir dennoch Öffnungen in der Betonhaut planen konnten, um eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen und um die Zentrale mit der Landschaft zu verbinden. Große Fenster (mit 8,75 m hohen, 2,4 m breiten Glasscheiben) öffnen den Kontrollraum zum Tal und betonen den infrastrukturellen Maßstab des Gebäudes.

Warum Beton?

Beton war das einzige Material, mit dem man diese Idee realisieren konnte. Beton war auch das Material des Gotthardbasis-Tunnels: Die gleiche Beton-Rezeptur mit hochwertigen Zuschlagstoffen, die sich bereits auf anderen ATG-Baustellen bewährt hat, ist hier eingesetzt worden. Aufgrund des konzeptionellen Zusammentreffens zwischen statischer Struktur und architektonischer Idee, ist die tragende Struktur außen sichtbar. Die tragenden Außenwände wurden mit Kalziumsilikat-Platten, deren Kapillarität die Kondenswasserproblematik vermeidet, innengedämmt. Die Beschaffenheit der Schalung, die Qualität und die Farbe des Betons ist anhand von großformatigen Mock-ups entstanden. Wir entschieden uns für einen rauen und groben Beton, was im Tessin, wo man eher mit einer glatten Betonqualität arbeitet, nicht unbedingt selbstverständlich war.

Die statische Struktur spielt in diesem Projekt eine starke Rolle. Wie war die Zusammenarbeit mit den Ingenieuren?

Das Gebäude sollte in der Lage sein, sich mit der Landschaft auseinanderzusetzen und mit der starken Tektonik des Tals in Verbindung stehen, das der Fluss aus dem massiven Fels der Berge ausgewaschen hat. Statische und architektonische Konzepte stimmen in diesem Gebäude vollkommen überein. Das strukturelle Konzept bildet der physische Kern des Projekts. Die Entscheidung für die Form des „Periskops“ aus vorgespanntem Sichtbeton fiel bereits in der ersten Phase aus der gemeinsamen Arbeit der Architekten und Tragwerksplaner. Für die statische Berechnung wurde die Konstruktion in zweidimensionale vertikale und horizontale Elemente unterteilt, die sowohl vertikale als auch horizontale Lasten aufnehmen. Die Kraftflüsse wurden mit klassischen und digitalen Modellen berechnet.

Die Dimensionierung wurde anhand von mehreren Gleichgewichtsbetrachtungen vorgenommen, um eine wirtschaftliche und effiziente Konstruktion mit einer gewissen Redundanz zu entwickeln. Der obere Teil ist mit 60 Spannkabeln – insgesamt 1 650 m lang – vorgespannt. Die Mindestbewehrung wurde anhand der erhöhten Anforderungen gemäß der schweizerischen Norm SIA 262 festgelegt. Nach Abschluss der Arbeiten sind nur feine Risse und Bewegungen von wenigen Millimetern festgestellt worden. Es ist so bewiesen, dass das reale Verhalten des Gebäudes stark vom Torsionswiderstand der Konstruktion beeinflusst wird.

Mit vier 33 m langen, vorgespannten Längsträgern mit einer Höhe zwischen 1,80 m und 3,30 m gleicht das Dach des Kommandoraums einer Kastenbrückenstruktur. Die Decke besteht aus zwei Dachflächen mit einer Kehle in der Diagonalen, die den Abfluss von Regenwasser erleichtert.

Die Lasten der Auskragungen werden von vier vorgespannten Quertragwänden aufgenommen. Über die Außenwände des unteren massiven Sockels werden die vertikalen Lasten nach unten geleitet. Bei den Anschlüssen befinden sich Stahlelemente, die das Ableiten der großen Kräfte gewährleisten. Aus Erdbebensicht gehört das Gebäude der Klasse II an und hat eine reduzierte Duktilität.

Die Kontinuität der zwei vertikalen Treppenhäuser ermöglicht eine gute horizontale Lastabtragung. Das Gebäude liegt auf leicht verdichtetem Kies-Sand-Boden, mit hohem Grundwasserspiegel. Daher hat das Gebäude keine unterirdischen Geschosse und ist mit Bohrpfählen fundiert. Insgesamt gleichen sich die Lasten aus asymmetrischen Auskragungen aus, und überraschenderweise befindet sich die Resultierende von insgesamt 250 000 kN im Schwerpunkt des Sockelgrundrisses.

Baudaten

Objekt: Betriebszentrale Süd Pollegio

Standort: 6742 Pollegio/CH

Typologie: Verkehrsbauten

Bauherr: Ferrovie Federali Svizzere FFS SA, arch. Werner Felber, arch. Valerio Galli | AlpTransit Gottardo

Nutzer: SBB CFF FFS Alp Transit Gotthard AG (ATG)

Architekt: Bruno Fioretti Marquez, Berlin, www.bfm.berlin

Team: Philipp Oehy, Alessandra Raponi, Sidney Bollag

Bauleitung: Rolando Spadea Sagl, Lugano

Bauzeit: 10.2009 – 04.2014

Fachplaner

Tragwerksplaner/Brandschutzplaner: Borlini & Zanini Studio di ingegneria SA, Pambio Noranco/CH, www.borlini-zanini.ch

TGA-Planer: Visani Rusconi Talleri Studio di ingegneria SA, Lugano/CH, www.vrt.ch

Akustikplaner/Energieplaner: IFEC ingegneria SA, Rivera/CH, Tami Bozzolo, Bogatto Laube, www.ifec.ch

Elektroplaner: Elettroconsulenze Solcà, Mendrisio/CH

Fassadenplanung: Patocchi sagl, Locarno/CH, www.patocchi.com

Projektdaten

Nutzfläche gesamt 3 749 m²

Nutzfläche: 2 864 m²

Technikfläche: 48 m²

Verkehrsfläche: 837 m²

Brutto-Grundfläche: 4 646 m²

Brutto-Rauminhalt: 25 112 m³

Baukosten

Gesamt brutto 22,68 Mio. CHF/­

ca. 20,8 Mio. € (Stand 07.01.2020)

Hersteller

Türen / Toren: Coibentazioni SA,

www.coibentazioni.ch

Fahrstühle: Schindler SA,

www.schindler.com

Zutrittsysteme: Rainbow SA,

www.rainbow-security.ch

Anlagensteuerung: Siemens
Svizzera SA, www.new.siemens.com

Zwischen Architektur und Infrastruktur werden die statischen Möglichkeiten des Betons für das CEP ausgereizt. Statische und architektonische Konzepte stimmen in diesem Gebäude vollkommen überein. Das strukturelle Konzept bildet den physischen Kern des Projekts.«

⇥DBZ Heftpartner Bruno Fioretti Marquez, Berlin

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