Chancen und Risiken

Dipl.-Ing. Alexander Rieck,
Fraunhofer, zum Thema „Material“

Die Menschwerdung hängt mit der Entwicklung und bewussten Nutzung von Materialien direkt zusammen. Materialien werden durch die Sinne erfahren, sie werden gerochen, gefühlt, gehört, gesehen und von einigen auch empfunden. Verschiedene Materialien wie z. B. Holz lösen Behaglichkeit aus, andere wiederum Unbehagen. Im Gegensatz zur materiellen und damit wirklichen Welt steht die nichtmateriale, die Welt der Religionen und die virtuellen Welten, Computerspiele oder Phantasien.

Durch die Formung und Veränderung unserer Umgebung wurden wir was wir sind, und die Umwelt wie sie ist. Steinzeit, Bronzezeit,
Eisenzeit, Begriffe, die direkt die epochalen Zusammenhänge von menschlicher Entwicklung und verschiedenen Materialien beschreiben. Erhaltene Zeugen des Altertums sind die Pyramiden, Tempel und Paläste aus Stein, sowie die abgeholzte Küstenlandschaft des Mittelmeeres.

Mit der industriellen Revolution wird die bis dahin handwerkliche Umformung von Material plötzlich in großem Stil betrieben, Eisen (und Stahl) ist das Material der ersten Wahl. Die Dimensionen der Brücken, Türme und industriellen Kathedralen brechen Rekorde. Kons­truktionen aus Stahl und Glas ermöglichen den Ingenieuren die Planung immer höherer Häuser. Dann revolutioniert die Verbindung von Stahl und Beton zu Stahlbeton die Architektur bis heute – seit mehr als siebzig Jahren.

Mit der Entwicklung der Luft- und Raumfahrt wurden ganz neue Materialgruppen entwickelt und zum Einsatz gebracht: Komposite aus Kohle- und Glasfaser, neue Legierungen und Materialstrukturen in Nanometergröße werden gezielt eingesetzt. So genannte Smartmaterials verändern ihre Eigenschaften durch Einfluss der Umgebung wie Temperatur, Elektrizität, Licht usw., Phasenwechselmaterialien speichern durch Veränderung ihres Aggregatzustandes Energie und setzen diese gezielt wieder frei. Klebstoffe ersetzen zunehmend mechanische Befestigungen, Lacke und Coatings ergeben neue Belastungs- und Erscheinungsmöglichkeiten. Biokomposite werden aus
biologischen Abfällen, wie z. B. Reisschalen hergestellt und können in programmierten Zeiträumen wieder kompostiert werden.

Noch stehen wir am Anfang des Einsatzes dieser Möglichkeiten und sind von ihrer Vielfalt irritiert. Standards, entwickelt über Generationen von Baumeistern scheinen sich aufzulösen. Weder sind die Architekten geschult im Einsatz neuer Materialien, noch können die Handwerker diese adäquat umsetzen. Die meisten sind durch die Werbungen der Industrie nicht informiert, eher irritiert. Vielfach brem­sen deutsche Genehmigungsverfahren den sinnvollen Einsatz aus. So kommen der Einsatz neuer Gläser oder Betonsorten beispielsweise in der Welt des Bauens nur sehr zögernd voran.

Die Komplexität am Bau wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Um diese zu beherrschen und sinnvoll zu nutzen benötigen wir neue Strukturen und Prozesse. Unsere Verantwortung gegenüber der Umwelt fordert einen sinnvollen Einsatz und eine gezielte Forschung geradezu heraus. Als Architekten sollten wir uns sowohl den Chancen als auch den Risiken dieser neuen Möglichkeiten stellen und mit einer innovativen, integrativen, umweltorientierten und menschengerechten Architektur die Zukunft beschreiten.

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