Im Gespräch mit … Thomas Wilken von siz energieplus und Hans-Dieter Brand, Sprecher der Geschäftsführung der NEULAND www.nld.de/projekte/don-camillo-und-peppone

Da braucht man kreative Leute

Wohnhochhäuser in besten Lagen werden zurzeit eine ganze Menge neu gebaut. Wie sieht es aber mit dem Bestand aus? Sind die zahllosen Wohnhochhäuser in Deutschland für eine Weiternutzung überhaupt geeignet? Wir trafen dazu in Wolfsburg/Detmerode den Sprecher der Geschäftsführung der NEULAND Wohnungsgesellschaft, Hans-Dieter Brand, sowie Thomas Wilken, Steinbeis Innovationszentrum energieplus, um eine sehr spektakuläre Wohnhochhaussanierung von Nahem anschauen und diskutieren zu können.

Hallo Herr Brand, Herr Wilken! Wir stehen vor den entkernten Wohntürmen „Don Camillo“ und „Peppone“, beide vom Wolfsburger Architekten Rudolf Richard Gerdes, und es stellen sich viele Fragen. Grundsätzlich: Was, lieber Herr Brand, verspricht sich die NEULAND vom Bestandsumbau?

Hans-Dieter Brand (HDB): Ganz einfach: Die Wohntürme gehören uns! Und sie waren einfach fällig, nachdem klar war, dass sie in der jetzigen Form nicht mehr bewohnbar sind, insbesondere aufgrund von Schadstoffbelastungen. Und wie jeder Eigentümer standen wir schnell vor der Frage, wollen wir Abriss und Neubau oder eine Revitalisierung, wie wir sie jetzt durchführen.

Was hat den Ausschlag gegeben, nicht abzureißen?

HDB: Da gab es ganz viele Aspekte. Ein zentraler ist dabei sicher die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Alternativen. Wobei immer berücksichtigt werden muss, dass es, egal wie man sich entscheidet, einen großen Anteil von „Sowieso-Kosten“ gibt, in diesem Fall die Schadstoffsanierung. Die alleine hatten wir mit rund 5 Mio. Euro veranschlagt. Der komplette Abriss der beiden Häuser mit anschließendem neuem Rohbau oder ein kleiner Teilabbruch mit anteiliger Ertüchtigung hätte in etwa den gleichen finanziellen Aufwand bedeutet. Den Ausschlag für die zweite Alternative gab der enorme Zeitvorteil im Bauablauf. Und nicht zuletzt war uns der ökologische Mehrwert wichtig, der in dieser Sanierung liegt: Stichwort „Graue Energie“.

Es freut mich, dass Sie den letzten Aspekt noch genannt haben, als Platzhirsch hier vor Ort hat die NEULAND eine besondere Verantwortung, schon, weil hier an Geschichte angeknüpft wird. Sind das Dinge, die Ihre Überlegungen bewegt haben oder ist das nur das Sahnehäubchen gängiger Selbstvermarktung?

HDB: Nein, Sie sprechen hier zentrale Dinge an. Die beiden Hochbauten spielen in Detmerode eine große Rolle, weil sie hier in dem Quartier identitätsstiftend sind, neben dem Stufenhaus von Paul Baumgarten am Eingang von Detmerode. Diesen Wohnriegel mussten wir 2018 abreißen, der Beton war nicht mehr zu sanieren.

Aber muss der Rohbau, der hier hinter uns steht, nicht derartig detailliert analysiert sein, dass die Kosten dafür schon den Vorsprung der Sanierung auffressen?

HDB: Die Kosten lassen sich ziemlich sicher vorhersagen. Einen wesentlichen Anteil an der Vorhersagegenauigkeit hat die Tragwerks- und Brandschutzplanung, die klären musste, ob der Rohbau aus heutigen Ansprüchen heraus überhaupt geeignet ist, als Hochhaus noch einmal standzuhalten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der der energetischen Betrachtung, wie sich das Haus später im Betrieb verhält. Stichwort ist hier Ressourcen-Einsparung, das schon genannte Thema „Graue Energie“. Hier kam das Büro energydesign mit Thomas Wilken ins Boot.

Thomas Wilken (TW): Ja, hier geht es grundsätzlich um das Thema Energie und damit eng verbunden um das Thema Wohnkomfort. Die Konstruktion dieser Bestandsbauten wurde häufig sehr wirtschaftlich erstellt. Es galt also zu bewerten, welcher Aufwand erforderlich ist, um hochwertiges Wohnen anbieten zu können. Der Aufwand beispielsweise bezogen auf einen ausreichenden Schallschutz ist bei Wohnbauten dieser Größe und dieses Alters eine echte Herausforderung. Natürlich wird auch die Leistungsfähigkeit der neuen Gebäudehülle betrachtet, vor allem durch die Reduzierung von Wärmebrücken. Ziel ist es, den Energiebedarf so zu verringern, dass das Gebäude neben dem architektonischen Schritt nach vorne auch als zukunftsfähiges Beispiel für den Umgang mit dem Bestand angesehen werden kann.

Das Erreichen eines bestimmten energetischen Standards ist auch ein Thema bei der Förderung.

TW: Das spielt eine nicht unwesentliche Rolle, aber mit der NEULAND haben wir einen Partner, der immer um ein Gleichgewicht bemüht ist zwischen Gestaltung, wirtschaftlicher Möglichkeit und energetischer Umsetzung. Es macht wenig Sinn, energetische Standards anzustreben, nur weil das vielleicht einen Euro mehr Förderung bedeutet. Das Spannende an diesem Projekt war unter anderem der ganzheitliche Blick auf die CO2-Bilanz. Wenn man sich das CO2-Budget anschaut, ist das Gebäude, das vor über 50 Jahren gebaut wurde, abgeschrieben. Dass Offset für die Errichtung eines Ersatzneubaus wäre ungefähr um den Faktor 2,5 höher. Das an diesem Bestandsgebäude umfänglich zu kalkulieren – was in den gesetzlichen Regelungen heute noch nicht abgebildet wird – ist das eigentlich Interessante, weil der effiziente Einsatz von Ressourcen zukünftig eine, wenn nicht die zentrale Frage sein wird.

Wer ist mit welchen Kompetenzen im Team?

TW: Wir brauchen Planer für Statik, Brandschutz, Schallschutz, Energieeffizienz und Gebäudehülle, also Bauphysik.

HDB: Da braucht man wirklich kreative Leute.

TW: Und jemanden, der rechnen kann.

HDB: Das sind wir, die NEULAND.

TW: Und, sehr wichtig und ganz von Anfang an: einen Bauunternehmer, dessen baupraktische Erfahrungen immer eine gute Kontrollinstanz für Planungsentscheidungen bieten.

Was war bautechnisch die Herausforderung?

HDB: Dadurch, dass wir hier einen Schottenbau haben, ist es praktisch unmöglich, einzelne Schotten herauszunehmen. Das Gebäude ist tragwerksseitig extrem auf Kante genäht. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Bewehrung tatsächlich dort eingebaut war, wie sie eingeplant worden ist. Das war schon mal ein Riesenvorteil, schaut man auf das Arbeitsfeld Brandschutz mit Fluchtwegen, Brandwiderstandsklassen etc.. Herr Wilken hat es gesagt, wir haben sehr schmal ­dimensionierte Bauteile, Geschossdecken mit 15 cm. Aber wir bauen auch hinzu, setzen neue Teile an das Gebäude mit jeweils eigener Gründung, so die Balkonkonstruktion und die Treppenhäuser. Da haben wir das Problem, dass das Gebäude schon 50 Jahre steht und sich nicht mehr setzt, die Teile, die wir davorsetzen, aber sehr wohl. Um hier Sicherheit zu haben, wurden die Bohrpfähle mit einer hydraulischen Hebemöglichkeit ergänzt, über die nachjustiert werden kann.

Jetzt haben wir noch gar nicht über Architektur gesprochen. Wie sind Sie zu dem Architekten und zum Gesamtentwurf gekommen?

HDB: Ich habe das Glück, dass ich in meinem Studium mit dem Kanadier Chris Doray einen Architekten kennenlernen konnte, der auf der ganzen Welt tätig ist und zwar überwiegend im Bereich Hochhausbau. Ihn hatte damals die Aufgabe fasziniert, Sechziger-Jahre-Hochhäuser in die Gegenwart zu transferieren. Ein wesentlicher Aspekt dabei war das Thema Erschließung. Die zukünftigen Mieter sollten nicht irgendwo im Dunkeln unten ankommen, im Dunkeln hochfahren, wieder Dunkelheit bis zur Wohnung … Nein, wir wollten Offenheit und Weite bei Tageslicht so tief ins Gebäude hinein wie möglich. Sogar von gläsernen Aufzügen haben wir geträumt, die machen wir jetzt sogar. Dieses Öffnen des bisher so verschlossenen Volumens ist ein wesentlicher Aspekt in der Planung, weil an den Grundrissen nicht viel möglich ist, da wir hier an die Schotten gebunden sind.

Das heißt, größere Wohnungen gehen nur mit der Hinzunahme einer kompletten Achse?

HDB: Ja, das haben wir allerdings nur in den obers-ten zwei Geschossen des hohen Hauses gemacht.

Energetische Versorgung? Können Sie an Bestehendes anschließen, gibt es Fernwärme möglicherweise?

TW: Auf der Nordseite des Kanals gibt es das Kraftwerk, das Abwärme in großer Menge zur Verfügung stellt. VW setzt auf die Dekarbonisierung der Fernwärme ohne Kohle. Damit bleiben wir bei der Fernwärme. In den sanierten Häusern wird es auch keine klassischen Heizkörper mehr geben, sondern Flächenheizungssysteme. Die Herausforderung bestand darin, einen schlanken Aufbau mit max. 6 cm umzusetzen.

In Ihrer Studie, Herr Wilken, hat mich überrascht, dass mit Strom geheizt werden sollte?!

TW: Ja, mit Infrarotheizungen, das war ein Zwischenstand. Wir hatten recherchiert, inwieweit man das Konzept so entwickeln kann, dass wir das Gebäude wirtschaftlich ausschließlich mit Strom beheizen. Aufgrund von Fördervorgaben haben wir die Idee jedoch nicht weiterverfolgt, obwohl es eine gute Möglichkeit gegeben hätte, extrem schlanke Aufbauhöhen technisch umzusetzen. Und die Vorstellung, dass man vom Handy aus die elektrische Widerstandsheizung dort schalten kann, wo man sitzt, ermöglicht noch einmal einen ganz anderen Komfortaspekt. Vielleicht sind wir in 20 Jahren so weit, wenn der Strom komplett regenerativ bereitgestellt wird.

HDB: Zum Strom: Wir werden das benachbarte Parkdeck komplett mit einer PV-Anlage belegen und Mieterstrom anbieten. Aber eben nicht in der Menge, wie sie für die beiden Hochhäuser benötigt würde. Das ist das Problem am Hochhaus: Ich habe eine Dachfläche, die ist minimal und im Verhältnis zur entstehenden Wohnfläche viel zu wenig.

Darum wandern die PV-Module mehr und mehr auf die Fassade. Fassade: Heute muss doch jedes Hochhaus auch irgendwie begrünt sein, wieso hier nicht? Weil es ohnehin ein grünes Projekt ist?

HDB: Ja, grüner kann es nicht sein, Stichwort Erhalt der „Grauen Energie“. Niedersachsens Umwelt- und Bauminister hatte sich das Projekt hier vor Ort schon mal angeguckt. Er wünscht sich diesen Umgang mit dem Bestand auch für viele andere Projekte in Niedersachsen. Tatsächlich hatten wir auch gehofft, der Minister bringt Fördergelder mit, aber das Problem ist, dass die Förderrichtlinien für solche Baumaßnahmen noch gar nicht vorhanden sind. Wir sind hier „nur“ bei der KfW-Förderung, was natürlich eine Rolle spielt bei der Kalkulation der Sanierung.

TW: Begrünte Fassaden sind per se kein Ausdruck von Nachhaltigkeit, meistens sogar weniger als ein teueres und im Betrieb aufwändiges Symbol.

Wie wurde mit den MieterInnen verfahren?

HDB: Die meisten haben schon lange in dem Gebäude gewohnt, die Mieten waren günstig. Die NEULAND hat hier ein spezielles Team, das sich um solche Themen kümmert. Bei über 11 000 Wohnungen in Wolfsburg können wir einen strategischen Leerstand aufbauen, das heißt, Wohnungen, die aus der Vermietung zurückkommen, halten wir frei für eben solche Gelegenheiten.

Die höheren Mieten werden Rückumzüge verhindern … oder wie ist hier die Lage?

HDB: Das ist schwer zu sagen. Wir werden hier eine Miete zwischen 10 und 11 € haben, vorher lag sie bei 5 bis 6 €. Auch werden die Wohnungen – gemessen am Markt – immer noch recht klein bleiben, wir liegen durchschnittlich bei etwa 70 m².

Das zielt auf den Zweipersonenhaushalt.

HDB: Ja. Wir haben in Wolfsburg die Situation, dass das Mietniveau und die Grundstückspreise relativ niedrig sind. Und wenn Sie 10 km außerhalb von Wolfsburg suchen, sind die Mieten noch günstiger. Für eine vierköpfige Familie liegt es nahe, dort zu bauen oder ein Haus zu mieten.

Und ich dachte, Detmerode wäre schon „auf dem Land“. Haben Sie aus diesem Projekt gelernt? Sie sprachen von „Pilotprojekt“?

TW: Was ich positiv hervorheben möchte, ist, dass wir das Projektteam frühzeitig und vor allem interdisziplinär zusammengestellt haben. Hier hat der Architekt nicht einfach einen Entwurf abgeliefert, der in der Realisierung dann permanent auf Hindernisse stößt. Wir haben in sehr, sehr kurzer Zeit die grundlegenden Dinge klären können.

HDB: Absolut richtig, das zahlt sich in der Bauphase aus, will man hier nicht elende Diskussionen, diese Konfrontationen auf der Baustelle haben. Und mit B&O, die auch schon Hochhäuser saniert haben, haben wir einen Partner an der Seite, der das nicht zum ersten Mal macht. Alles in einem Open-Book-, also in einem transparenten, partnerschaftlichen Verfahren.

Zum Schluss: Macht das alles auch Spaß?

TW: Unbedingt! Auch als erfahrener Planer kriegt man hier neue, ganz konkrete Vorstellungen davon, welchen Stellenwert der Bestand hat.

HDB: Und seien wir ehrlich: So ein Projekt gelingt viel besser, wenn alle Beteiligten Spaß dran haben. Das reicht vom Architekten bis zu den Fachplanern, die sofort wie elektrisiert waren, als wir sie ansprachen. Und das, obwohl wir denen für die ganzen Voruntersuchungen noch keine komfortablen Verträge anbieten konnten. Diese Sanierung ist etwas Besonderes, etwas Spezielles, und das macht diese Arbeit letztendlich auch aus.

Mit Hans-Dieter Brand und Thomas Wilken unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft vor den bis auf den Rohbau zurückgebauten Wohnhochhäusern in Detmerode am 24.03.2021.

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