Darf’s ein wenig mehr sein?Wohnungspolitik in der Zeitschleife

Wohnungspolitik in der Zeitschleife

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verspricht unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Aber wie stellen sich die VertragspartnerInnen diese Ziele im Hinblick auf die immer drängendere Wohnungsfrage vor? Eine Analyse.

„Bauen, bauen, bauen!“ lautete in den vergangenen Jahren das Mantra der offiziellen Wohnungspolitik. CDU/CSU und SPD hatten 2018 den Neubau von 1,5 Mio. Wohnungen und Eigenheimen versprochen. Das tatsächliche Ergebnis blieb allerdings um rund 20 Prozent dahinter zurück. Dass die GroKo trotz Wohnungsbauoffensive und Baulandmobilisierungsgesetz den Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht spürbar verringern konnte, mag durch den langen Planungsvorlauf von Bauinvestitionen und die begrenzten Kapazitäten der Bauwirtschaft zu erklären sein, vor allem aber liegt es an einer unterkomplexen Strategie.

Viel hilft viel?

Vier Jahre später will nun die künftige Ampel­koalition bis hin zur Wortwahl offenbar nach alten, wenig bewährten Rezepten kochen: Nach den Sondierungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wurde als „Offensive für bezahlbares und nachhaltiges Bauen und Wohnen […] der Bau von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100 000 öffentlich geförderte“ angekündigt. Angesichts eines schon lange nicht mehr erreichten Spitzenwerts von rund 300 000 Wohnungsfertigstellungen 2020 (davon lediglich 30 000 geförderte) eine Ankündigung „mit Wumms“ - oder eher Ausdruck von zahlenfixierter Konzeptlosigkeit? Weitere (ebenfalls nicht neue) Stichworte im Sondierungspapier, die im Koali­tionsvertrag nur zum Teil mit konkreten Vorhaben hinterlegt werden: Planungssicherheit für die Bauwirtschaft, Baukosten senken, Klimaschutz beim Neubau, weitere Förderung des sozialen Wohnungsbaus, mehr Transparenz des Immobilienmarktes. Einzig der Satz „Mit einer neuen Wohngemeinnützigkeit bringen wir eine neue Dynamik in den Bau bezahlbaren Wohnraums“ weckt Hoffnungen auf eine Wende.

Zu hohe Mieten am falschen Ort

Wohnungspolitik hat schon länger weniger ein Mengen- als ein Verteilungsproblem. Die in den letzten drei Jahren bis 2020 fertiggestellten rund 800 000 Wohnungen bestehen zu fast zwei Dritteln aus Ein- und Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Das heizt den Wohnflächenkonsum zahlungskräftiger Haushalte auch in Regionen mit entspanntem Wohnungsmarkt weiter an, statt die großstädtische Wohnungsnot zu lindern. Dort verschwinden seit vielen Jahren mehr preiswerte Wohnungen als neu gebaut werden: Durch die Befristung der Belegungs- und Mietpreisbindung auf 15 bis 30 Jahre, die lange Jahre rückläufige Wohnungsbauförderung und nicht zuletzt durch Luxusmodernisierung und Umwandlung von bezahlbaren Miet- in teure Eigentumswohnungen. Heute gibt es nur noch rund  1  Mio. geförderte Wohnungen, halb so viel wie zehn Jahre zuvor. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme ergibt in den 77 deutschen Großstädten ein Defizit von 1,5 Mio. bezahlbaren Wohnungen. Fast jeder zweite Haushalt muss dort mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für die Warmmiete aufwenden, jeder vierte Haushalt sogar mehr als 40 Prozent. Begünstigt durch Pendlerpauschale und Baukindergeld werden nach wie vor zu viele Wohnungen in schrumpfenden Städten und ländlichen Regionen gebaut. Eine aktuelle Wohnungsbedarfsstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) belegt das Auseinanderklaffen von Wohnungsfertigstellungen und Bedarf. In den Großstädten wurden 2016 bis 2020 insgesamt weniger als 75 Prozent des Neubaubedarfs realisiert. In Kiel waren es beispielsweise nur 28 Prozent, in Köln 40. Dagegen wurde in Landkreisen wie Helmstedt, Cochem-Zell, Coburg und Kulmbach im gleichen Zeitraum das Drei- bis Vierfache des Bedarfs gebaut.

Boden ist der Schlüssel

Die Wohnungsfrage war schon immer vor allem eine Bodenfrage. Eine sozial gerechte und nachhaltige Nutzung des unvermehrbaren Bodens setzt voraus, dass er der Verwertungsspirale entzogen und als Gemeingut behandelt wird. Der Ausverkauf von Boden in Stadt und Land hat seit der Weltfinanzkrise Fahrt aufgenommen, befeuert durch die Nullzinspolitik der letzten Jahre. Selbst im Corona-Jahr 2020 hielt der Zustrom von Anlagekapital unvermindert an und erreichte ein Transaktionsvolumen (Wohn- und Gewerbeimmobilien) von fast 80 Mrd. Euro. Die Baulandpreise haben sich in den Großstädten mit über 500 000 EinwohnerInnen von 2009 bis 2019 mehr als verdreifacht und bescheren Finanzinvestoren märchenhafte Renditen ganz ohne eigene Inves-titionen. In München entfallen bei Baulandpreisen von mehr als 5 000 Euro/m² rund 80 Prozent der Kosten einer Wohnung auf das Grundstück – was zu Neubaumieten jenseits von 20 Euro/m² führt. Selbst mit Baukostensenkungen im zweistelligen Prozentbereich können hier keine bezahlbaren Wohnungen mehr entstehen.

Die Wohnungsfrage ist eine Klimafrage

Die Wohnungskrise ist nicht zuletzt Teil der bedrohlichen Klimakrise. 40 Prozent der CO₂-Belastung in Deutschland resultieren aus Bau, Betrieb und Abriss von Gebäuden. Schon deshalb muss soziale Wohnungspolitik mit Flächeneffi-zienz und Dekarbonisierung einhergehen. Klimagerecht sind vor allem energetisch ertüchtigte Wohnungen im Bestand. Um den unvermeidlichen Neubau möglichst klimagerecht zu bewerkstelligen, reichen nachwachsende Baustoffe, Bauteil- bzw. -materialrecycling und eine CO₂-freie Wärmeversorgung nicht aus. Vor allem muss der weitere Flächenfraß gestoppt werden. Aufstockung und Nachverdichtung ermöglichen bei gleichzeitigem Ausbau der grünen Infrastruktur eine klimagerechte Innenentwicklung. Nach der Deutschlandstudie 2019 der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts zu Wohnraumpotentialen in urbanen Lagen könnten in den Bedarfsschwerpunkten 2,3 bis 2,7 Mio. Wohnungen durch die Aufstockung von Wohngebäuden, Parkhäusern und Gewerbeimmobilien bzw. durch deren Umnutzung entstehen. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zwar zur Innenentwicklung und zum 30 ha-Ziel bis 2030 zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme, stellt hierzu aber nur weiche In­­­-strumente in Aussicht wie Anreize bzw. Abbau von Fehlanreizen und Förderung kommunaler „Potentialflächenregister“. Immerhin wird eine weitere Verlängerung der Verfahrenserleichterungen für Ortserweiterungen zu Lasten der Landschaft (§ 13b Baugesetzbuch ) ausgeschlossen.

Wie kommt die Wohnungspolitik aus der Zeitschleife?

Voraussetzung für einen Neustart wäre erstens eine rasch wirksame, auf mindestens fünf Jahre befristete Notbremse für Bodenpreise und Mieten in angespannten Wohnungsmärkten. Konzepte für ein Bodenpreisdämpfungsgesetz und für einen bundesweiten Mietendeckel liegen auf dem Tisch.

Zweitens müssen endlich die Weichen für mehr bezahlbares Bauland bei konsequenter Innen­entwicklung gestellt werden. Die notwendigen Instrumente dafür werden vom Bündnis Bo­denwende in seinen Wahlprüfsteinen und Fo­rderungen skizziert. Der Zusammenschluss von Akademien, Kammern und Verbänden aus Ar­chitektur, Planung, Wohnungspolitik, Umwelt- und Naturschutz fordert z. B. ein gebietsbezogenes und wirksameres Baugebot durch das neue ­Instrument der  Innenentwicklungsmaßnahme (IEM) sowie die Unterstützung kommunaler Bodenfonds durch ein erweitertes Vorkaufsrecht zum sozial gebundenen Ertragswert. Gegen Spekulation, Geldwäsche und Privatisierung leistungsloser Bodenwertgewinne sollten u. a. eine gerechte Besteuerung (d. h. ohne Schlupflöcher wie Spekulationsfrist oder Share Deals) und mehr Transparenz des Immobilienmarkts eingeführt werden. So könnte ganz ohne eine Vermögenssteuer (die die Ampelparteien vorschnell auf die schwarze Liste gesetzt haben) eine soziale Wohnraumpolitik refinanziert werden. Außerdem müsste der Bund nicht benötigte Grundstücke endlich kostenlos für die Daseinsvorsorge an kommunale oder regionale Bodenfonds abgeben. Von diesen Forderungen schafften es in den Koalitionsvertrag nur das Transparenzregister, die Erschwerung von Geldwäsche, eine Besteuerung auch von Share Deals sowie ein Prüfauftrag für die IEM.

Drittens führt kein Weg an einer grundlegenden Reform der Wohnungsbauförderung vorbei. Statt geförderte Wohnungen nach maximal 30 Jahren aus allen Bindungen zu entlassen, müssen dauerhaft gesicherte Bestände aufgebaut werden – so wie beispielsweise seit über 100 Jahren in Wien. Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit kann hierzu der Einstieg sein. Allein mit Neubau kann es aber in absehbarer Zeit nicht gelingen, das Defizit von rund 1,5 Mio. bezahlbaren Mietwohnungen abzubauen. Auch eine bessere Bestandssicherung durch Mietendeckel und lückenloses Umwandlungsverbot von Mietwohnungen reicht dazu nicht aus. Zusätzlich müssten möglichst viele Bestandswohnungen in Belegungs- und Mietpreisbindungen einbezogen werden. Ein Autorenteam der Friedrich-Ebert-Stiftung hat dazu in einer Publikation zur Sicherung bezahlbarer Wohnungen jüngst das Modell der „Gemeinwohlwohnung“ vorgestellt. Damit wird privaten Vermietern angeboten, Erträge aus Vermietung von der Körperschafts- bzw. Einkommensteuer freizustellen, wenn die Wohnungen für mindestens zehn Jahre deutlich unterhalb der Mietspiegelmiete an Haushalte mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden.

Perspektiven

Die Wohnungspolitik wird nach fast 25 Jahren zur Untermiete nun wieder in einem eigenen Minis–terium für Bauen und Wohnen ressortieren. Das ist fast die wichtigste Neuigkeit im Koalitionsvertrag. Ob das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ und die „neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ die Erwartungen erfüllen können, hängt wesentlich von der breiten Einbeziehung auch gemeinwohlorientierter Akteure in deren konkrete Ausgestaltung ab. Zu denken gibt die Zusicherung, „die Struktur der etablierten Wohnungswirtschaft [zu] ergänzen, ohne diese zu benachteiligen“. Ob die angekündigte Novellierung des Baugesetzbuchs mit einem ganzen Bündel von Zielen (darunter auch „Gemeinwohlorientierung“) die Steuerungsinstrumente der Kommunen verbessern wird, bleibt vorerst offen. Die zaghaften Schritte im Mieterschutz in angespannten Wohnungsmärkten (z. B. Mieterhöhung in drei Jahren höchstens 11 statt 15 Prozent, qualifizierte Mietspiegel für Großstädte verpflichtend) werden nicht reichen, um höhere Mietbelastungsquoten und  Verdrängung zu verhindern. Eine zusätzliche Entlastung könnte eine Teilwarmmiete, als noch zu prüfender Ersatz der Modernisierungsumlage für energetische Maßnahmen, bringen sowie die angekündigte faire Aufteilung des CO₂-Preises  bringen. Die Ampel für eine soziale und ökologische Wohnungspolitik zeigt also allenfalls Gelb. Eine gemeinwohlorientierte Bodenwende als Schlüssel für bezahlbares Wohnen bleibt auch in der 20. Legislaturperiode der „elephant in the room“.

AutorStephan Reiß-Schmidt, Dipl.-Ing. Stadtdirektor a.D., ist freier Berater und Autor sowie u.a. Ko-Vorsitzender des DASL-Ausschusses Bodenpolitik. Zuvor war er nach dem Studium von Architektur und Städtebau an der RWTH
Aachen und dem Städtebaureferendariat von 1983-96
Leiter der Abteilung Planung beim damaligen Kommunalverband Ruhrgebiet und danach bis 2017 Leiter der Stadtentwicklungsplanung in München.
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