Das „nutzloseste aller Gebäude“: Der Multihalle droht der Abriss

Als 1970 ein Wettbewerb ausgelobt wurde, für die Bundesgartenschau 1975 im Mannheimer Herzogriedpark einen Pavillon zu entwerfen, kam diese Auslobung noch vor dem so genannten ersten „Ölschock“ im Jahr 1973. Damit spielte Nachhaltigkeit in dem Wettbewerb eher eine untergeordnete Rolle, der Pavillon sollte immerhin eine Fläche von ca. 10 000 m² überdecken und Platz für etwa 2 500 Menschen an einem Ort bieten. Und trotz seiner Größe und weil Bundesgartenschauen damals noch auf einen Sommer beschränkt waren, war der Abriss der Architektur nach dem Event selbstverständlich.

Gewonnen hatten den Wettbewerb für den „überdachten Treffpunkt und Marktplatz“ die Architekten Carlfried Mutschler und Joachim Langner, die, ganz sicher von Frei Otto inspiriert, den Ort zunächst mit riesigen Schirmen überdecken wollten, die von Gasballons gehalten werden (Frei Ottos „Wandelbare Schir­me“ auf der BUGA in Köln 1971, in Zusammenarbeit mit Bodo Rasch und Heinz Isler). Doch das Schirmkonzept reichte nicht aus, die vielfältigen Ansprüche einzulösen, die Architekten zogen Frei Otto hinzu, der damals mit der Dachkonstruktion des Olympiageländes in München für großes Aufsehen gesorgt hatte. Frei Otto entwickelte – später im Projektverlauf mit Sir Ove Nyquist Arup persönlich – über ein Hängemodell die 1975 realisierte und bis heute weltweit größte, freitragende Holzgitterschalenkonstruktion aus mehrfach gekrümmten und bis zu 35 m langen Holzleisten.

Die weiche Konstruktion wurde liegend realisiert und stufenweise in die Höhe gedrückt. Sie steht teils auf in den Boden betonierten Fundamentstreifen. Doppelschichtige Holzbänder, die den Saum der Schale bilden, drücken auf Stahlrohrstützen. Hinzu kommen doppelschichtige Holzbögen und Seile, welche die an sich weiche Schale zusätzlich fixieren. Ursprünglich überzog ein geschwärztes, PVC-beschichtetes Trevira-Gewebe die künstliche Kuppeldachlandschaft, 1981 wurde diese ersetzt durch ein helles Polyestergewebe, das ebenfalls PVC-beschichtet ist. Mit der Neubedeckung wäre es möglich gewesen, den Holzsaum der Konstruktion geöffnet zu lassen, eine geregelte Entwässerung hätte die Schäden vermeiden helfen. Nun ist unter der überlappenden Folie das Holz teils derart angegriffen (Faulung), dass auch die hier ansetzenden, teils abenteuerlich wirkenden Abstützungen demnächst vielleicht schon nur noch in Löcher stoßen werden.

Überhaupt sind die Eindrücke vor Ort zwiespältig: Auf der einen Seite ist der Besucher, der den Bau nur von Fotos kennt, überwältigt von den Dimensionen und der Schönheit der Räume innen und ihrer Konstruktion, die extrem reduziert ist und auch für den Laien nachvollziehbar den Kräfteverlauf offenbart. Und so ist man andererseits angesichts des Zustands des seit 1998 unter Denkmalschutz stehenden Baus erschrocken: Faltenwürfe in der Dachhaut, Moos-, Pilz- und Humusschichten lassen die Haut der Zugangs- und Foyerdächer vermodert erscheinen. Und die provisorisch sichernden Stützen mögen richtig dimensioniert und positioniert sein, ihr Material erinnert an Restbestände aus dem städtischen Bauhof, das hier lieblos zusammengeschraubt wurde.

Allem kommunalpolitischen Gerede zum Trotz sollte die Multihalle erhalten bleiben. Prominente Architekten haben – spielerisch zwar, aber durchaus mit Blick auf das Mögliche – bereits Vorschläge für eine Weiternutzung der Halle gemacht. Über allem Pragmatismus ist der Bau, gleichsam Schnittstelle zwischen analogem Hängemodellexperiment und digitaler Finite-Elemente-Methode, mehr als nur eine Randnotiz im Diskurs zu Ästhetik und Technik, zu Organik und Materialeffektivität. Sie ist schlicht der Ausdruck einer Zeit, die unsere heutige mehr beeinflusst, als manchem (Denkmalgegner) lieb ist. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass das zur Zeit von den Ingenieuren Fast + Epp erstellte, 700 000 € teure Sanierungsgutachten, mit einem Zeithorizont versehen wurde: Wenn, so der Gemeinderat in Reaktion auf den Abrissantrag der Alfa (Allianz für Fortschritt und Aufbruch) 2016, bis Ende 2017 kein Investor für die Sanierung gefunden ist, verschwindet die Halle. Damit würden Fortschritt und Aufbruch, die das Vergangene auch als das „Nutzloseste“ bezeichnen, dem Steuerzahler Geld ersparen. Was mit dem Geld aber gemacht werden kann – außer, es zu sparen – sagen Fortschritt und Aufbruch wohlweißlich nicht. Nun sind Klugheit und Verantwortung an der Reihe, sie sollten nicht warten. Be. K.

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