Multihalle Mannheim mit „Starter Kit“ ausgestattet.
Eröffnung 2023?

Geht es noch mal zurück? Kann das Projekt „Rettet die Multihalle“ in Mannheim noch einmal gestoppt werden? So wie im Jahr 2016, als der Gemeinderat in Reaktion auf den Abrissantrag der „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ ein Ultimatum dahingehend formulierte, dass wenn bis Ende 2017 kein Investor für die Sanierung gefunden werde, die Halle abgerissen werden solle!?

Zwischenzeitlich war die Halle, die für die Bundesgartenschau 1975 im Mannheimer Herzogriedpark als Besucherpavillon realisiert worden war, immer wieder einmal mit Abrissplänen konfrontiert worden. Und obwohl sie seit 1998 unter Denkmalschutz steht, war das Holztragwerk unter seiner Kunststoffhaut zusehends dem Verfall ausgesetzt. 1975 sollte der Bau, der über anschließende lange Gänge wie über Greifarme in der grünen Gartenlandschaft verwurzelt war, eine Fläche von ca. 10 000 m² überdecken und Platz für 2 500 Besucher bieten. Der Pavillon – besser wohl: die Pavillonstruktur – war für die Dauer der Gartenschau angelegt, sein Abriss nach dem Event war selbstverständlich.

Doch die Qualität der Dachskulptur über wenigen festen Einbauten – Kiosken, Toiletten etc. – verlieh dem Bau eine größere Dauerhaftigkeit und setzte ihn damit Beanspruchungen aus, an die die Architekten ursprünglich nicht haben denken müssen. Den 1970 ausgelobten, internationalen Wettbewerb für einen „überdachten Treffpunkt und Marktplatz“ hatten die Architekten Carlfried Mutschler und Joachim Langner gewonnen, die, ganz sicher von Frei Otto inspiriert, den Ort zunächst mit riesigen Schirmen überdecken wollten, die von Gasballons in der Schwebe gehalten werden (Frei Ottos „Wandelbare Schirme“ auf der BUGA in Köln 1971, in Zusammenarbeit mit Bodo Rasch und Heinz Isler). Doch das luftigte Schirmkonzept reichte dem Veranstalter nicht aus, die vielfältigen Ansprüche einzulösen. Die Wettbewerbsgewinner zogen Frei Otto hinzu, der damals mit der Dachkonstruktion des Olympia­geländes in München für Aufsehen gesorgt hatte. Frei Otto entwickelte – später im Projektverlauf mit Sir Ove Nyquist Arup persönlich – über ein Hängemodell die bis heute weltweit größte, freitragende Holzgitterschalenkonstruktion aus mehrfach gekrümmten und bis zu 35 m langen Holzleisten.

Die weiche Gitterkonstruktion wurde liegend realisiert und stufenweise in die Höhe gedrückt. Sie steht teils auf in den Boden betonierten Fundamentstreifen. Doppelschichtige Holzbänder, die den Saum der Schale bilden, drücken auf Stahlrohrstützen. Hinzu kommen doppelschichtige Holzbögen und Seile, welche die an sich weiche Schale zusätzlich fixieren. Ursprünglich überzog ein geschwärztes, PVC-beschichtetes Trevira-Gewebe die künstliche Kuppeldachlandschaft. 1981 wurde dieses ersetzt durch ein helles Polyestergewebe, das ebenfalls PVC-beschichtet war, aber deutlich mehr Tageslicht in die unter ihr liegenden Räume leitet. Mit der Neube­deckung wäre es möglich gewesen, den Holzsaum der Konstruktion geöffnet zu lassen, eine geregelte Entwässerung hätte die Schäden vermeiden helfen. Nun ist unter der überlappenden Folie das Holz durch Faulung derart angegriffen, dass auch die hier ansetzenden, teils abenteuerlich wirkenden Behelfsabstützungen kaum vertrauenerweckend wirken.

Aber wie bei allen Denkmälern gilt: ohne Nutzung kein dauerhafter Erhalt. Eine Nutzung aber soll es nun geben, vorausgegangen war die Einigung des Gemeinderats auf seiner Sitzung im Juli 2019, die Halle prinzipiell zu erhalten. Angespornt zu dieser Beschlusslage war die Gemeinde sicherlich auch durch die erfolgreiche Bewerbung der Stadt Mannheim Ende 2018 beim Bundes-Förderprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“. Hier wurden für die Projektsanierung 5 Mio. € zugesagt mit der Bedingung, dass die Stadt den Rest der Sanierungskosten übernimmt; im Augenblick ca. 14,2 Mio. €. Zudem muss sie die Sanierung bis zum Start der Bundesgartenschau im Jahr 2023 ausgeführt haben.

2019 gab es einen internationalen Architektenwettbewerb, der helfen sollte zu klären, wie man die Multihalle zukünftig nutzen könne. Die Multihalle, so der Auslober, solle wieder ein Ort werden, „an dem die Einwohner Mannheims durch Sport-, Freizeit- und Kulturangebote zusammenfinden, ein Ort der Begegnung und Kommunikation innerhalb und zwischen den angrenzenden Quartieren, insbesondere für den Herzogenried und die Neckarstadt.“ Man identifizierte vier Themenkomplexe: „experimentelle Kunst und Kultur“, „akademische Wissenschaft“ und „demokratische Stadtgesellschaft“ und das Thema „urbane Bewegung und Sport“.

Gewonnen hatte den Wettbewerb die Rotterdamer Architektengemeinschaft COFO Architects und PEÑA architecture, die ein sogenanntes „Starter-Kit“ entwickelt hatten, mit dem eine ganzjährig nutzbare „Erstausstattung“ der Halle abgeliefert wurde. Die Architekten realisierten in ihren Simulationen einen witterungs- und jahreszeitenklimaangepassten Nutzungsplan, der weder den Bau und noch den Betreiber (finanziell) überfordert. Eine Strategie, die offenbar im Kommen ist für Bauten, die, weil denkmalgeschützt, nicht über technische Hilflsmittel aufwendig an heutige Nutzergewohnheiten angepasst werden können oder sollen, so beispielsweise bei der Sanierung der Neuen Nationalgalerie. Hier hatten Chipperfield Architects ganz im Ernst vorschlagen, Ausstellungen den jahreszeitlichen Anforderungen entsprechend zu planen.

COFO Architects und PEÑA architecture betrachten die Multihalle – eigentlich sind es zwei Hallen, die über Stege verbunden sind – als ein Gefäß, in dem alles möglich sein kann: Sport- oder Musikveranstaltungen, Kongresse, Workshops und Lagerraum, begrenzter Leer- und geplanter Stillstand. Ein kleiner Raum wird noch eingefügt, damit ist eine ganzjährige, allerdings sehr konzentrierte Nutzung möglich. Damit zeigt das Planerteam, was die Flächen erlauben, was sie erwartbar und möglich machen, wie man den anliegenden Außenraum betrachten kann, auf was Verlass und was verzichtbar ist.

Die Baugenehmigung zur Sanierung der Multihalle wird Mitte 2020 erwartet. Lothar Quast, Baubürgermeister der Stadt Mannheim, freut sich: „Jetzt ist der Weg frei, um das architektonische Erbe der Architekten Frei Otto und Carlfried Mutschler zu bewahren und dieses bedeutende moderne Baudenkmal einer neuen Nutzung zuzuführen.“ Dem Baubürgermeister war der Abriss schon als Stadtpark-Aufsichtsratsvorsitzender 2011 keine Option. Ihm und vielen anderen ist es wohl zu verdanken, dass Mannheim eine Ikone der deutschen Nachkriegsarchitektur wiederherstellen und weiternutzen darf. Wir schauen hin! Be. K.

www.mannheim-multihalle.de
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