Und wenn es das wertvollste Denkmal wäre
Im Gespräch mit … Prof. Philip Kurz, Geschäftsführer Wüstenrot Stiftung, Stuttgart
www.wuestenrot-stiftung.de
Die Wüstenrot-Stiftung feiert runden 100. Geburtstag. Vielleicht verbindet man mit ihrem Namen zuallererst das Bausparen, doch seit gut 30 Jahren engagiert sich die Stiftung auch in Sachen Denkmäler. Weniger Schlösser, eher profane Bauten aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Warum und wie genau, dazu unterhielten wir uns mit dem Geschäftsführer der Stiftung, Prof. Philip Kurz. In einer Architekturikone, der Multihalle von Frei Otto. Auch ein Stiftungs-Projekt.
Das, lieber Philip Kurz, ist doch mal ein Vereinsname: „Wüstenrot Stiftung Gemeinschaft der Freunde Deutscher Eigenheimverein e. V.“ Der Name wurde vor 100 Jahren erfunden. Was ist heute noch davon da? Das Nationale eher nicht?!
Philip Kurz: Auf keinen Fall, aber das war auch vor 100 Jahren nicht national gestimmt. Damals, als der Verein gegründet wurde, direkt nach dem Ersten Weltkrieg, gab es große Reformideen. Eine davon war, der Wohnungsnot und der Bodenspekulation, den Wucherzinsen und anderem entgegenzutreten. Da wurde der Verein in Stuttgart gegründet von Menschen, die selber bauen wollten. Nach der Hyperinflation kam 1924 die Idee, eine Bausparkasse zu gründen. Die sollte über das kollektive Sparen Menschen in die Lage versetzen, selbst Eigentum zu erwerben, ein kleines Haus mit Garten. Davon ist die Wüstenrot Stiftung als mittelbare Mehrheitseigentümerin eines Finanzkonzerns geblieben, dessen Teilerträge der Stiftungsverein zur Verfügung hat, um eben gemeinnützige Projekte machen zu können.
Die Schaffung einer Stiftung seitens eines Unternehmens steht immer in dem Ruch, bloßes Steuermodell zu sein … ?
Ich liebe diese Frage …
… ich hätte eher gedacht, Sie hassen sie!
Nein, tatsächlich, freue ich mich immer wieder. Der Grund ist klar: Wir sind eben keine Stiftung, die ein Unternehmen gegründet hat, sondern die Stiftung hat das Unternehmen gegründet. Also es ist bei uns von Anfang an anders herum und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Nun feiern Sie ein halbes Jahr lang, machen eine Art von Tätigkeitsbericht anschaulich öffentlich. Können Sie das kurz beschreiben?
Die Stiftungsarbeit ist in sechs Themengebiete gegliedert. Das größte darunter ist die Beschäftigung mit Denkmalen.
Das „Größte“ heißt? Wie bemisst sich Größe?
Das Größte misst sich am Etat, das, wohinein wir die meisten Ressourcen geben. Dabei muss ich noch zum oben Genannten ergänzen, dass die Wüstenrot Stiftung zwischen 1926 und 1990 keine eigene Tätigkeit entfaltet hat, die Stiftung war allein Trägerin des Unternehmens. Erst 1990 wurde der Stiftungsverein so umgestaltet, dass er eigenständig gemeinnützige Projekte macht. Dazu haben wir sechs Themengebiete erarbeitet: das Kümmern um Denkmale; dann die Beschäftigung mit Zukunftsfragen, also Fragen, die die Zukunft unserer Gesellschaft betreffen; dann das Themengebiet Stadt und Land; dann das zur Bildung; eins zum Themengebiet Literatur. Und Kunst und Kultur natürlich.
Und alle Themengebiete sind Kultur im Weitesten und miteinander verwoben?
Ja, alles ist Kultur. Corona hat uns den Plan verhagelt, in diesem Jubeljahr, wie Sie sagen, neben den ganzen Veranstaltungen auch groß zu feiern. Zusammen mit unseren Projektpartnern und denen, die wir in den vergangenen Jahren gefördert haben. Wir mussten umschwenken und machen nun, statt großer Veranstaltungen, beispielsweise eine kleine Podcastreihe zu jedem der genannten Themengebiete. Den Tätigkeitsbericht der letzten Jahre, den gibt es in ein paar Wochen. Wir arbeiten gerade an einer neuen Homepage, um die Erkenntnisse aus unseren Projekten auch für die Öffentlichkeit noch besser zugänglich zu machen. Denn neben der Arbeit an Objekten oder in Projekten ist für uns am wichtigsten, dass wir das, was wir daraus lernen, mit anderen teilen. Außerdem fragen wir uns immer, wie wir unsere Arbeit in einen größeren Zusammenhang überführen können, über die Website, über Podcasts, auch über die Medien natürlich.
Das sind dann wir. Oder Instagramm. Stichwort: jüngere Menschen, zukünftige Partner: Wie begeistert man die für dieses Architekturereignis, das uns Frei Otto einmal schenkte und jetzt in einem erbärmlichen Zustand ist?
Alte Bude!
Meinen Sie wirklich? Die alte Bude in ein neues, digitales Licht setzen ... Da reicht eine neue Website nicht, da müssen Tik Tok und Instagram und die anderen digitalen Kultur-Spreader ran. Oder ist das der seriösen Stiftung zu unseriös?
Überhaupt nicht. Wir haben natürlich einen Instagram-Kanal und eine Kollegin, die das sehr engagiert und beeindruckend macht und wir sind sehr stolz, dass unsere Zugriffs- und Followerzahlen kontinuierlich wachsen. Intern diskutieren wir schon lange darüber, wie weit wir unsere Arbeitsergebnisse – Sie sprachen gerade von Seriösität – „instagramable“ machen wollen/können. Das ist schwierig, aber ich kann hier Interesse wecken.
Angelhaken Insta, eine Standardfrage an Sie: Die Stiftung ist nicht bloße Geldgeberin oder Sponsorin, sie tritt immer als Projektverantwortliche, als Bauherrin auf. Warum das?
Standardfrage, aber wichtig. Und ich kann die mit einem gewissen Selbstbewusstsein beantworten: Wir sind gerne Bauherrin, weil wir es dann so machen können, wie wir es machen wollen. Wenn man nur Geld gibt, dann machen es die anderen. Und wir glauben, dass wir in den letzten 30 Jahren große Kompetenz im Umgang mit Denkmalen, vor allem Denkmalen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erworben haben. Und nicht zuletzt: Freies Geld ist zur Zeit genug im Umlauf, Geldmangel sehe ich selten.
Frage ich die Stadt Mannheim, hat die offensichtlich nicht genug Geld für die Halle?
Dazu kann ich nichts sagen. Höchstens, dass sie nicht nur bautechnisch, sondern auch auf der Finanzierungsseite ein kompliziertes Projekt ist. Wir sind eine operative Stiftung, wir wollen aktiv bei den Projekten dabei sein und wir nehmen zusammen mit dem Eigentümer oder auch für den Eigentümer eine Bauherrenrolle ein. Und wir finden, dass wenn einer zahlt, sollte er auch mitbestimmen. Und Sponsoring wäre über alle Fragezeichen hinaus unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit.
Sie sprechen auch schon mal von „unbequemen“ Denkmalen. Beispielsweise Nazibauten, die, wenn sie wiederhergestellt werden, gerne als Pilgerorte vereinnahmt werden. Wo ziehen Sie Grenzen im Operativen?
Wir haben kürzlich einen bundesweiten Wettbewerb veranstaltet, bei dem es um gebaute Orte für Demokratie und Teilhabe geht. Fast 500 Orte waren dabei. Einer der Preisträger ist der gerade entstehende Lern- und Dokumentationsort auf dem Gelände, wo sich das Dritte Reich mit riesigem Aufwand zu Reichserntedankfesten selbst inszeniert hat, um mit Menschenmassen medial wirkmächtige Bilder zu erzeugen. Die unabhängige Jury hat das als einen wichtigen gebauten Ort identifiziert, an dem Themen wie Demokratie und Teilhabe anschaulich diskutiert werden können. Und wenn es an einem Ort um Populismus, Manipulation oder auch Sehnsucht nach Zugehörigkeit geht, dann kann er kein Pilgerort mehr sein. Ich empfinde das als ein sehr gutes Beispiel, wie man mit solchen Orten umgehen und sie als „unbequeme Denkmale“ erhalten kann. Schließlich gehören auch sie zu unserer Geschichte.
Gibt es andere Kategorien des Unbequemen? Technische Probleme? Oder Bauten, die auf teurem Baugrund Investitionen verhindern?
Ja, das gibt es auch. Für letzteres nenne ich das Ahornblatt von Ulrich Müther an der Leipziger Straße in Berlin. Ich kann auch den Palast der Republik nennen, der war aus ganz vielen Gründen sehr unbequem und er kam weg. Aber unbequem meint auch, dass wir beim Denkmal an Bildern hängen, die den Denkmaldiskurs nicht mehr abbilden. Schlösser und Kirchen, vielleicht noch Rathäuser, darauf können sich die meisten gleich verständigen. Aber zu unserer gebauten Umwelt gehören viele andere Sachen dazu, die in gleicher Weise identitätsstiftend, also auch schützenswert sind. Unbequem kann auch sein, dass uns etwas hässlich erscheint, brutalistische Bauten zum Beispiel.
Schaue ich auf die Prominenz Ihrer Denkmalprojekte – Multihalle, Sonnensegel, Umlauftank, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche-Kapelle – frage ich mich, was diese verbindet, wo der roten Faden ist?
Wir machen gerne schwierige Denkmale, technisch schwierige. Und solche, die fast schon aufgegeben wurden. Behnischs Sonnensegel in Dortmund war eigentlich zum Abriss freigegeben. Es gab eine Fülle von Gutachten, die gesagt haben, dass man das nicht oder nur mit einem Aufwand retten könnte, der unangemessen wäre. „Angemessenheit“, ein ganz wichtiges, ein schwieriges Thema in der Denkmalpflege! Wir kommen gerne dazu, wenn Denkmale auf der Kippe stehen, wenn Beteiligte von außen einen Anschub brauchen. Wir verfügen über eine eigene, kleine Struktur, mit der wir schnell starten, schnell umsetzen können. Machen. Das ist mir ein zentraler Aspekt, dass wir an das Machen denken, denn natürlich kann man sich jahrelang mit kunsthistorischen Betrachtungen aufhalten, mit Überlegungen, wie das Projekt am Ende sein müsste. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass man ins Machen kommt, dass physisch genau das passiert, was ein Objekt rettet und in die Zukunft bringt.
Machen klingt lebendiger als Konservieren. Eine Weiternutzung muss immer garantiert sein?
Ja, das ist so. Wir hatten beim Umlauftank von Ludwig Leo das Glück, dass die TU Berlin den Bau in seiner ursprünglichen Nutzung auch weiternutzen wollte. Und wenn man in die Vergangenheit schaut, kann man erkennen, dass die Musealisierung von Denkmalen meistens die Pest ist. Man kann nicht aus jedem Denkmal ein Museum machen, nur in Ausnahmefällen. Der Kanzlerbungalow in Bonn, um den wir uns auch gekümmert haben, ist zeitgeschichtlich so wertvoll, dass eine Musealisierung funktioniert. Da geht es um Oberflächen, um den intellektuellen Umgang mit den – ich sage mal – „Kanzler-Schichten“.
Aber wie schon gesagt, bei Projekten, die mehr technischen Charakter haben, wie die Schalen von Ulrich Müther auf Rügen oder die Multihalle von Frei Otto hier in Mannheim, da geht es nicht in erster Linie um Oberflächen. Hier fragen wir, wie wir die Konstruktion erhalten, die Fassade, die Mechaniken. Und – Sie haben es andeutet – immer treffen wir Vereinbarungen mit den Eigentümern, in denen diese garantieren müssen, dass es für das Bauwerk eine mindestens 20 Jahre dauernde, sinnvolle, denkmalgerechte Nutzung gibt, die zudem auch der Öffentlichkeit zugutekommt. Sonst machen wir nicht mit und wenn es das wertvollste Denkmal des Planeten wäre.
Irgendwo in Ihrem Programm tauchen die „zentralen Zukunftsfragen“ auf, denen Sie nachgehen wollen. Welche sind das?
Ganz einfach gesagt, geht es uns immer um die Frage, was unsere Vergangenheit mit unserer Gegenwart und Zukunft zu tun hat. Wie gut müssen wir unsere Vergangenheit kennen, um Fehler, die dort gemacht wurden, heute nicht zu wiederholen? Das trifft aber wohl auf jeden Bereich zu.
Und wenn Sie es auf die Denkmale beziehen?
Das betrachten wir meist im Kontext mit der Frage nach dem öffentlichen Raum. Wie sind wir in den 1950er- und 1960er-Jahren mit unserem öffentlichen Raum umgegangen? Warum wurde beispielsweise diese Multihalle gebaut? Was wollte Frei Otto damit? Er wollte Dinge zeigen; er wollte zeigen, was geht. Und hat das größte freitragende Holzgitterschalenwerk der Welt realisiert. Wir müssen uns heute Gedanken darüber machen, welche Fragen wir stellen müssen. Wir sollten uns die Prozesse, die zum Umlauftank, zur Multihalle geführt haben, sehr genau anschauen. Hier gibt es möglicherweise Dinge zu entdecken, wie wir mit Stadtstruktur, mit freien Grundstücken, mit Büros, mit Wohnhäusern, mit allem Möglichen umgehen können oder sollten. Das hat immer auch etwas mit einer Haltung zu tun. Und immer mit dem Zukunftshorizont, den wir noch weiter und noch deutlicher in unsere Arbeiten integrieren wollen. So müssen wir uns auch nicht zwangsläufig nur mit Projekten befassen, die unter Denkmalschutz stehen oder stehen könnten. Unser Gestaltungspreis beispielsweise sucht hervorragend gebaute Architektur, die immer davon erzählt, wie sie entstanden ist, überhaupt entstehen konnte. Im nächsten Wettbewerb wollen wir uns um das Einfamilienhaus kümmern.
Einfamilienhaus? Back to the Roots? Wollen Sie provozieren in diesen Zeiten, die diesem Bautyp eher kritisch gegenüberstehen?
Nein, wir wollen nicht provozieren, aber die aktuelle, sehr breit geführte Diskussion über die Daseinsberechtigung von Einfamilienhäusern spielt uns wunderbar in die Hände! Ich bin gespannt. Vielleicht zeigt der Wettbewerb, dass es gar kein zukunftsfähiges Einfamilienhaus mehr gibt. Wir haben den Wettbewerb allerdings „das zukunftsfähige Einfamilienhaus“ getitelt.
Wer ehrlich ist, gibt ein leeres Blatt ab, oder?
Ich hoffe nicht! Das leere Blatt … das immer wieder zu füllen, dabei zu experimentieren, zu forschen, offen zu bleiben, ist unsere Aufgabe und ist auch der Kern unserer vielfältigen Stiftungsarbeit. Hier unsere Ergebnisse zu einer gesamtgesellschaftlich relevanten Aussage zu kondensieren, bleibt schwer; das gelingt uns mal mehr und mal weniger. Aber selbst das „Weniger“ kann ein Gewinn sein.
Mit Philip Kurz unterhielt sich DBZ-Redakteur
Benedikt Kraft in schwindelerregender Höhe am 15.07.2021 direkt unter dem Dach der großen Halle der sogenannten „Multihalle“ in Mannheim.