Der Pritzker Preis 2022 geht an Francis Kéré
Man muss es schreiben: endlich! Mit Diébédo Francis Kéré wurde am 15. März der erste Afrikaner mit dem Pritzker Preis ausgezeichnet. Der 56-jährige Architekt und Lehrer war in den 1980er-Jahren nach Berlin zum Studieren gekommen und wollte, weil er nach dem Grundstudium wusste, wie man ein stabiles Haus baut, gleich wieder zurück in die Heimat Burkina Faso in Westafrika.
Er blieb, beendete sein Studium und betreibt seitdem in Berlin das mittlerweile international tätige Architekturbüro Kéré Architecture. International bekannt wurde der Architekt durch die Gando-Grundschule in seiner Heimat, für die es Preise gab und Einladungen zu Kongressen. Es war, als hätte Francis Kéré den Europäern einen gar nicht so neuen Blick auf eine Architekturtradition geöffnet, die hierzulande nur in kleinen Fachzirkeln diskutiert wurde. Man war begeistert über das Neue, das aus Mangel mit einfachen Mitteln das Beste herauszuholen vermochte.
Nach der Schule gab es ähnliche, meist partizipativ gedachte Projekte, ein wiederum sehr bekanntes und bis heute andauerndes ist das „Operndorf Afrika“, ebenfalls in Burkina Faso, das der Architekt zusammen mit dem 2010 verstorbenen Regisseur und Autor Christoph Schlingensief entwickelt hatte. Die zunehmende Bekanntheit Francis Kérés erweiterte sein Bauspektrum auf Regierungsbauten, so beispielsweise die neue Nationalversammlung im Nachbarland Benin.
Aus dem offiziellen Text der Pritzker-Stiftung: „Welche Rolle spielt Architektur in Kontexten extremer Knappheit? Was ist der richtige Ansatz für die Praxis, wenn man gegen alle Widrigkeiten arbeitet? Sollte es bescheiden sein und man das Risiko eingehen, widrigen Umständen zu erliegen? Oder ist Bescheidenheit der einzige Weg, um relevant zu sein und Ergebnisse zu erzielen? Sollte man ehrgeizig sein, um Veränderungen anzuregen? Oder läuft Ehrgeiz Gefahr, fehl am Platz zu sein und zu einer Architektur des bloßen Wunschdenkens zu führen?
Francis Kéré hat in den letzten Jahrzehnten brillante, inspirierende und bahnbrechende Wege gefunden, um diese Fragen zu beantworten. Seine kulturelle Sensibilität sorgt nicht nur für soziale und ökologische Gerechtigkeit, sondern begleitet den gesamten Projektprozess derart, dass diese Haltung der wohl gangbare Weg zur Legitimität eines Gebäudes in einer Gemeinschaft ist. Francis Kéré weiß sehr bestimmt, dass es in der Architektur nicht um das Objekt, sondern um das Ziel geht; nicht das Produkt leitet, sondern der Prozess.
Seine Gebäude für und mit Gemeinschaften entstehen direkt aus dem Kontext gemeinschaftlichen Handelns – in ihrer Herstellung, den Materialien, ihren Programmen und ihrem einzigartigen Charakter. Sie sind erdverbunden und verbunden mit den Menschen, die in ihnen stehen, sitzen, liegen. Sie haben Präsenz ohne Vorwand und eine von Anmut geprägte Wirkung. […]
Das Werk von Francis Kéré ist seinem Wesen und seiner Präsenz nach das Ergebnis seiner Umstände. In einer Welt, in der Architekten Projekte in den unterschiedlichsten Kontexten bauen – nicht ohne Kontroversen – trägt Kéré zur Debatte bei, indem er lokale, nationale, regionale und globale Dimensionen in eine sehr persönliche Balance aus Basis-erfahrung, akademischer Qualität, Low- und High-tech einbezieht. So gelang ihm mit seinem Entwurf des Serpentine-Pavillons ein längst vergessenes, wesentliches Symbol der Urarchitektur weltweit in eine universelle Bildsprache und auf besonders wirkungsvolle Weise zu übersetzen: den Baum.
Francis Kéré hat einen sensiblen Bottom-up-Ansatz in Bezug auf die Beteiligung der Gemeinschaft entwickelt. Gleichzeitig hat er kein Problem damit, die bestmögliche Art eines Top-down-Prozesses in sein Denken über fortschrittliche architektonische Lösungen einzubauen. Seine gleichzeitig lokale und globale Perspektive geht weit über Ästhetik und gute Absichten hinaus und ermöglicht es ihm, das Traditionelle mit dem Zeitgenössischen zu integrieren.
Die Arbeit von Francis Kéré erinnert uns auch an den notwendigen Kampf, nichtnachhaltige Produktions- und Konsummuster zu ändern, während wir uns bemühen, angemessene Gebäude und Infrastruktur für Milliarden Bedürftige bereitzustellen. Er wirft grundlegende Fragen auf nach der Bedeutung von Beständigkeit und Dauerhaftigkeit des Bauens im Kontext ständiger technologischer Veränderungen und der Nutzung und Wiederverwendung von Bauwerken. Gleichzeitig verbindet seine Entwicklung eines zeitgenössischen Humanismus einen tiefen Respekt vor Geschichte, Tradition, Präzision, geschriebenen und ungeschriebenen Regeln. […] Für die umfassend gemeinten Angebote, die er durch seine Arbeit geschaffen hat, Angebote, die über den Bereich der Architekturdisziplin hinausgehen, wird Francis Kéré zum Pritzker-Preisträger 2022 ernannt.“
Wir gratulieren dem Architekten und seinem Team für die höchste Anerkennung, die ein Architekt/ eine Architektin mit einem mit 100 000 US-Dollar dotierten Preis erhalten kann. Mit Francis Kéré, dem der – seit 1979 verliehene – 44. Preis zugesprochen wurde, erhielten diese Auszeichnung, die gerne auch als Nobelpreis der Architektur beschrieben wird, 44 Männer und 6 Frauen. Auch hier ist noch etwas zu tun. Be. K.