Die Motten und das Licht

Seit 1989 ist die Masse der Insekten im bundesdeutschen Durchschnitt um rund 76 % zurückgegangen. Geschätzte 100 Mrd. Insekten verenden hierzulande allein während eines Sommers an Straßenbeleuchtungen. Katja Schiebler und Arne Hülsmann von ANDRES + PARTNER Lichtplanung erklären im Gespräch, wie PlanerInnen mit gezielten Lichtakzenten aktiven Insektenschutz betreiben können

Am 1. März treten neue Regeln für den Insektenschutz in Kraft. Erstmals rückt auch die Lichtverschmutzung in den Fokus. Inwieweit spielt der Erhalt der Biodiversität für Sie als PlanerInnen heute bereits eine Rolle?

Arne Hülsmann (AH): Das hängt von dem jeweiligen Engagement der AkteurInnen ab. Das zugrundeliegende Emissionsschutzgesetz ist jedoch seit längerem in Kraft. Gerade Umweltschutzaspekte wie Vogelflug, Vogelschlag sowie das Reduzieren von Lichtemissionen sind bereits in den Projekten verankert. Nun kommen die Themen Biodiversität und Insektenschutz hinzu, die ja auch seit einiger Zeit stärker im öffentlichen Fokus stehen. Aus unserer Sicht war das längst notwendig.

Katja Schiebler (KS): In vielen unserer Projekte hat insbesondere das Thema der Vermeidung von Lichtemissionen einen großen Stellenwert. Natürlich muss dennoch immer abgewogen werden, welche wirtschaftlichen Konsequenzen solche Maßnahmen für den Umweltschutz haben.

AH: Sehr richtig! Eine gute Verringerung oder Vermeidung der Lichtemission geht auch mit einer entsprechenden Planung und Lichttechnik einher, die dem jeweiligen Projekt genau angepasst ist und teilweise sogar modifiziert werden muss. Das wird gern auch mal eingespart, wenn es nicht zwingend erforderlich ist oder es keine gesetzlichen Vorgaben gibt. Insofern begrüßen wir den jetzigen Vorstoß der GesetzgeberIn, der uns neue Argumente an die Hand gibt.

Wie ernst ist das Thema Lichtverschmutzung in unseren Städten denn aus Ihrer Sicht?

KS: Dass das Thema der Lichtverschmutzung eine große Rolle spielt, das kann man am Nachthimmel leicht und mit erschreckender Deutlichkeit erkennen. Wie weit müssen wir fahren, um einen ’sauberen’ Nachthimmel zu bekommen?

AH: Jetzt kann man natürlich mit dem Finger auf die Anderen zeigen und sagen: Das ist nur, weil der Hamburger Hafen hier bei uns so hell beleuchtet ist… Aber dem ist nicht so.

KS: Denn das Problem ist wesentlich komplexer. Wann immer wir mit Licht im Innen- und Außenbereich arbeiten, führt das unweigerlich dazu, dass Licht direkt oder über die Reflexion von Oberflächen in die Atmosphäre abgegeben wird. Diesem Zielkonflikt müssen wir uns in unserer Arbeit als Lichtplaner stellen. Daher ist es umso wichtiger, sorgsam mit dieser Ressource umzugehen und den Schaden für die Umwelt so klein wie möglich zu halten. Licht sollte nur Oberflächen beleuchten – und nicht den Himmel. Wir müssen Lichtmengen generell auf ein erforderliches Minimum reduzieren und die Spektren, also die Lichtfarben so anpassen, dass diese möglichst unattraktiv für Lebewesen sind, die dem Licht ausgesetzt sind – für Zugvögel ebenso, wie für Insekten und Fledermäuse oder andere nachtaktive Tiere.

AH: Und auch wir Menschen verlieren den Bezug zum Universum: Unsere Kalender, die Raumfahrt, die Navigation, unser generelles Wissen über unsere Position im Kosmos – das alles ist ursprünglich aus der Beobachtung der Sterne entstanden. Wenn wir so weiter machen, werden künftige Generationen gar nicht mehr wissen, dass der Nachthimmel eigentlich keine helle Wüs­te ist.

Die Menschen leben in einem Lichtdom, der die notwendigen Schatten überblendet…

KS: Und nicht nur die Menschen. Auch die Insekten wandern in die Städte ab, weil sie sich vom Licht angezogen fühlen – das wird zu einem ernsthaften Problem für die Landwirtschaft. Vögel, welche die Städte bei Nacht für den Sternehimmel halten, prallen nachts gegen die Scheiben.

AH: Viele Insekten verenden ja, weil sie unendlich um einen „künstlichen Mond“ fliegen. Zu viel Nachtlicht beeinflusst sogar bei einigen Fischarten die Hormone. Künstliches Licht bei Nacht beeinflusst unsere gesamte Umwelt und viele Tiere, von denen wir noch gar nicht reden. Wir müssen dringend auch dort etwas tun, wo wir eigentlich schon viel zu hell sind.

Ähnlich wie bei der Einführung der Energiesparlampen fürchten manche, dass sich die Verordnung negativ auf Lichtqualitäten und -quantitäten auswirkt. Wie können Sie als PlanerInnen hier technisch und konzeptionell entgegenwirken?

KS: Das Problem sehen wir eigentlich gar nicht – gerade, was die Quantität angeht. Ist die Umgebung bereits lichtreduzierter und vor allem nicht blendend, benötigt man zum Beispiel bei einer Architekturbeleuchtung viel weniger Licht, um den gleichen, wenn nicht sogar noch schöneren Effekt für den BetrachterInnen zu erzielen.

AH: Oft geht es für uns um das Thema, viel Licht mit wenig Leuchten zu schaffen. Und das hat auch positive Seiten: Mit wenigen Leuchten und gezieltem Licht lassen sich oft viel stimmigere Szenarien herstellen, da man deutlich präziser arbeiten kann und nicht so breit strahlen muss. Je horizontaler das Licht im unteren Halbraum austritt, desto gefährlicher ist es für unsere Umwelt.

KS: Einer unserer Vorschläge zum Thema ist der „Hamburger Winkel“: Eine Straßenbeleuchtung, die mindestens 3 ° – am liebsten noch mehr – abgeschirmt sein sollte, damit kein Licht in den Himmel gelangt. Vielleicht gibt es ja jetzt die Chance für so eine Regel.

Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit eigenen Projekten gesammelt? Lassen sich ausgewogene Beleuchtungskonzepte auch mit Rücksicht auf den Insektenschutz verwirklichen?


AH:
Es gibt einige Projekte, in denen die Themen Umwelt-, Insekten- und auch Vogelschutz eine Rolle gespielt haben. So waren in einem Projekt zum Beispiel die direkten Lichtemissionen aus einem vollverglasten Industriegebäude auf ein benachbartes Naturschutzgebiet auf ein Minimum zu reduzieren. Das gelingt mit der Auswahl, ­Dimensionierung und Ausrichtung geeigneter Lichtsysteme.

KS: Aber auch in scheinbar ‚unattraktiven‘ Kleinprojekten, wie dem Beleuchten von Wegebeziehungen in Parks oder im städtischen Umfeld, liegt viel Potenzial. Die Auswahl der richtigen Mastleuchten, das Beschneiden der Lichtkegel reduziert die Lichtmengen, von denen Insekten angezogen werden. Ein weiteres Mittel ist die Wahl eines geeigneten Lichtspektrums, doch hier stehen wir noch am Anfang. Denn wir wissen zwar, dass bestimmte Wellenlängen für manche Insektenarten besonders attraktiv sind und daher vermieden werden sollten. Allerdings müssen wir hier noch das richtige Maß finden, um auch die Attraktivität der Beleuchtung für die Menschen zu erhalten.

Wo ergeben sich durch den Insektenschutz Schwierigkeiten und Risiken in der Planung?

AH: Eine genau angepasste Lichtplanung inklusive einer Modifikation der Leuchten oder einer Nutzung von Sonderleuchten, die aber sicherlich nicht überall notwendig sind, kann unter Umständen mit einem höheren Kosten- und Planungsaufwand einhergehen.

KS: Risiken und Kosten halten sich aber im Rahmen, wenn wir als Menschen lernen, unser Bedürfnis nach Komfort auch einmal zugunsten der Umwelt zurückzunehmen. Es gibt sicherlich Situa­tionen, in denen wir nicht die beste Lichtqualität benötigen und dann zugunsten der Insekten Area­le mit bestimmten Spektren beleuchten, die zwar nicht vollwertig sind, aber eben auch weniger wahrnehmbar für Insekten, Vögel und so weiter. Denkbar wäre zum Beispiel, dass wir pro Kopf oder Stadt Lichtemissionskontingente festlegen. Da dies dann auch für Architekturbeleuchtungen und besondere Plätze gelten müsste, die sicher mit hochqualitativem Licht beleuchtet werden sollen, wäre es natürlich schwierig, dieses Kontingent gerecht zu verteilen. Aber irgendeine Begrenzung sollte es sicher geben, wenn wir nicht einfach so weiter machen wollen. Mittlerweile werden viele Leuchtstofflampen oder andere ältere Lichtsysteme mit LEDs weltweit ersetzt. LEDs verbrauchen weniger Energie. Das verleitet natürlich auch dazu, mehr Licht zu machen. Diesen Fehler müssen wir unbedingt korrigieren.

Weniger Lichtverschmutzung bedeutet auch weniger Stromverbrauch. In welchen Dimensionen bewegen wir uns hier? Und sind die Einsparungen auch zur Bewältigung der Klimakrise relevant?

AH: Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, denn es kommen ja auch stetig neue Flächen hinzu, die beleuchtet werden sollen. Der Einsatz von LEDs ist sicherlich relevant, um den Stromverbrauch deutlich zu reduzieren – gerade auch auf öffentlichen Flächen, für die ja mit der neuen Verordnung nun erstmals auch eine Pflicht zum Handeln besteht. Beim Projekt Schmuggelstieg in Norderstedt haben wir bereits 2009 zeigen können, dass sich der Aufwand lohnt: Die Leuchtdichte wurde hier von rund 15 000 bis 20 000 cd/m² auf 100 bis 200 cd/m² reduziert. So konnte der CO₂-Ausstoß sowie der Stromverbrauch um etwa je 85 % reduziert werden. Das ist aber noch nicht alles: Bei einer geringeren Grundhelligkeit nimmt das Auge auch andere Lichtquellen besser wahr. Deshalb konnten die AnrainerInnen ihre Auslagen und Werbeleuchten ebenfalls herunterdimmen. Es kommt also zu additiven Effekten, die in der Summe sicher ein relevanter Beitrag sind.

Das heißt: In den Städten ist es bislang so hell, weil es so hell ist?

AH: In gewisser Weise: Ja. Wir nennen das den Las-Vegas-Effekt. Wenn meine KonkurrentIn bereits sehr hell strahlt, muss ich eben noch heller strahlen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Aber das Auge ist ja ein erstaunliches Werkzeug. In früherer Zeit genügte ihm ja schon das fahle Mondlicht, um sich bei Nacht zu orientieren – weil es sich den Lichtverhältnissen anpasst. Dahin müssen wir ein Stück weit zurück.

Welche technischen Verbesserungen im Sinne des Insektenschutzes lassen sich aus Ihrer Sicht schnell und günstig realisieren?

KS: Der bereits genannte „Hamburger Winkel“ sowie Licht, das nicht den unteren Teil des Spektrums sendet, für Gebiete mit weniger Publikumsverkehr. Außerdem exakt strahlende, im Strahlungskegel justierbare und damit für verschiedene Gebäude anwendbare Systeme, zum Beispiel für Fassadenbeleuchtungen.

Und bei welchen sehen sie noch Forschungs- und Investitionsbedarf?

AH: Betrachtet man das System ‚Leuchte‘, so kann man hier drei Schwerpunkte erkennen. Das Thema der Lichtmenge lässt sich in der Planung gut eingrenzen, hier liegen alle Bausteine auf dem Tisch. Wie sehr sich der Strahlungswinkel in den jeweiligen Projekten eingrenzen lässt, hängt von der Kommunikation mit der AuftraggeberIn ab. Ein wichtiger, in Teilen noch unbearbeiteter Baustein sind die Empfindlichkeitsbereiche einzelner Lebewesen im Hinblick auf die spektrale Verteilung des Lichtes. Hier sehen wir noch großen Informationsbedarf für die breite Planungsöffentlichkeit.

KS: Licht, das sind Wellenlängen. Wir Menschen nehmen Wellenlängen zwischen 380 nm und 780 nm wahr mit einem Schwerpunkt bei 550 nm, dem Tagsehen. Unterschiedliche Lebewesen haben hier jeweils unterschiedliche Fähigkeiten. Insekten können weit in den UV Bereich wahrnehmen, Reptilien können zum Teil im Infrarotbereich sehen. Abzuschätzen, welche Lichtfarbe für ein Projekt und zwar in Abhängigkeit zu den beleuchteten Oberflächen, zu wählen ist, ist nicht trivial. Hier würde mehr Wissen zu mehr Sicherheit führen.

Ein Blick in die Zukunft: Wie sehen die für Insekten optimierten Innenstädte künftig aus? Dunkle Bürogebäude und per App bedarfsgesteuerte Straßenlaternen?

AH: Dunkle Städte und auf App gesteuerte Straßenlaternen oder auch Maßnahmen, um die Lichtemission aus Wohngebäuden zu reduzieren, sind in der dunklen Jahreszeit sicherlich keine Wunschvorstellung, der sich die große Mehrheit wird anschließen können. Es geht aus unserer Sicht um das Abwägen von Sicherheitsbedürfnissen und Naturschutz. Eine Straßenbeleuchtung muss natürlich intuitiv funktionieren. Aber dort, wo wenig Fahrzeug- oder Fußgängerverkehr ist, kann sie natürlich heruntergefahren werden bis wieder jemand kommt. Solche Konzepte werden ja auch schon von der Industrie durchdacht und sind sicher nicht verkehrt.

KS: Es ist schon ein guter Schritt, wenn die öffentliche Beleuchtung sich nun auf das präzise und gerichtete Beleuchten von Verkehrszonen und das gezielte Illuminieren von ikonischen Fassaden beschränken muss. Letztlich wäre es jedoch fair, wenn alle AkteurInnen beim Abgeben von Lichtemissionen über eine gewisse Grenze hinaus dem gleichen Genehmigungsverfahren unterworfen wären.

AH: Zusätzlich könnte man über Bürobeleuchtung nachdenken, die weniger in den Außenraum abstrahlt. Wir haben bereits Systeme angewandt, die von unten kaum einsehbar sind. Hier entsteht das meiste Licht allein über die Reflexion von den Materialien im Raum. Oder Sonnenschutzlamellen, die bei Nacht als Lichtschutzlamellen fungieren: auch das wäre ein nützlicher Beitrag für einen dunklen Nachthimmel.

KS: Trotzdem glauben wir, dass es weiterhin eine Nachtdarstellung geben wird. Es wäre ja schade, wenn wir nicht mehr in abendlicher Atmosphäre durch die Städte spazieren könnten. Wenn viele andere Stellschrauben berücksichtigt und optimiert sind, wird dies sicher möglich bleiben.

Das Interview führte DBZ-Redakteur Jan Ahrenberg.

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