„Die Nutzer müssen auf dem Weg zur energetischen Verbesserung mitgenommen werden“

Jürgen Herr zum Thema „Energiefassaden“

Ständig neue Materialien, Innovationen in der Technik, Novellierun­gen in der Gesetzgebung – als Planer muss man sehen, dass man sich kontinuierlich weiterbildet. Gerade an das Bauteil Fassade werden heute viel höhere Erwartungen gestellt als noch vor 20 Jahren. Masterstudiengänge bieten daher nicht nur den Jungen die Möglichkeit, auf dem neuesten Stand der Technik zu sein, sondern auch Erfahrenen. Jürgen Herr ist schon seit Jahren selbständiger Architekt, entschloss sich jedoch, noch mal Student zu sein...

 

Welche Anforderungen spielten bei Ihrer Aufgabe, der Sanierung einer Altbau-Fassade, eine Rolle?

Die Fassade des Altbaus wurde zunächst auf die generelle Tauglichkeit untersucht. Die Bestandskonstruktion muss dem kompletten neuen Lebenszyklus von 30 bis 40 Jahren genügen. Stellt man einen Anforderungskatalog für die Fassade auf, zeigen sich schnell die Abhängigkeiten zu anderen Gewerken und dortigen Forderungen. Es galt nicht nur technische Lösungen für die Fassade zu finden, sondern auch die Zufriedenheit der Nutzer und nicht zuletzt der Betreiber/Eigentümer sicher zu stellen. Daraus ergaben sich die nachfolgenden Anforderungen, die in gleicher Priorität behandelt wurden: Energieeinsparung durch Verringerung der Wärmetransmission, die Luftqualität mit der zentralen Frage natürliche oder mechanische Lüftung, sommerlicher Wärmeschutz und Nutzerzufriedenheit sowie ­Behaglichkeit. Allgemein formuliert, stand die Aufgabe Fassadensanierung unter der Prämisse der Nachhaltigkeit, die ja den Kern des Studiengangs darstellt. Die Kernaspekte Ökologie, Ökonomie sowie soziokulturelle Auswirkungen waren mit der technischen Bearbeitung abzustimmen, was hin und wieder zu Diskussionen Anlass gab.

 

Wie sieht Ihr Sanierungskonzept aus?

Wir haben uns bemüht, den soliden Bestand zu erhalten. Als Fassadenkonstruktion haben wir uns auf eine vorgehängte, hinterlüftetete Fassade geeinigt. Die bauphysikalischen Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Als Material für das Erscheinungsbild nach außen haben wir uns für eine Lösung mit dunklen Tonziegelplatten entschieden. Als Verglasungssystem haben wir ein Passivhaus taugliches, aufgesetztes System gewählt. Dieses wird auf eine innere Holzzarge aufgesetzt und kann mit Festverglasung oder Einsatzflügeln bestückt werden. Die Konstruktion erlaubt einen einfachen, luftdichten Anschluss an den Bestand. Ein Wartungsbalkon und eine außenliegende Raffstore-Anlage vervollständigen das System. Die hinsichtlich Dämm­stoffstärke kritischen Bereiche wurden mit einer VIP-Dämmung ausgestattet. Auf eine noch bessere Dämmung haben wir bewusst verzichtet. Die Übergänge zum noch Sinnvollen sind da fließend.

 

Welche energetischen Verbesserungen sind nach der Sanierung zu erwarten?

Die zu erwartenden Verbesserungen lassen sich zur Abschätzung zweckmäßigerweise an den veränderten Wärmetransmissionen ablesen. So hat sich der Wärmedurchgang rechnerisch von 1,64 W/m²K  auf 0,18 W/m²K, also um 89 % verbessert. Ein solcher Wert ist jedoch niemals ein Kennwert, der sich tatsächlich in Verbrauch und somit in Geld umrechnen lässt. Er kann nur ein Anhaltspunkt sein. Zu vielfältig sind die angrenzenden Einflussfaktoren und Randbedingungen wie Heizung/Lüftung, Beleuchtung und deren Steuerung. Insbesondere das Nutzerverhalten kann man nicht formelmäßig erfassen. ­
Dort liegt jedoch ein Schlüssel der Effizienz aller energetischen Sanierungsmaßnahmen. Die Nutzer müssen auf dem Weg zur energeti­schen Verbesserung der Gebäude mitgenommen werden. Nur wenn sie an den Prozessen beteiligt werden und diese verstehen, ist eine Maßnahme erfolgreich.

 

Die Arbeit ist im Rahmen des Masterstudiums „Nachhaltiges Energie-Design für Gebäude“– NED4 – entstanden. Warum haben Sie sich für diese Weiterbildung entschieden?

Ich bin selbstständiger Architekt und seit Jahren beschäftigen wir uns im Tagesgeschäft weitestgehend mit gewerblichen Bauten. Dort gab es bisher wenig Anspruch auf Nachhaltigkeit. Eigene Erkenntnis und Einsicht sowie das Wissen um den enormen Ressourcenverbrauch beim Bau und noch vielmehr beim Betrieb und Unterhalt der Gebäude führten mich zwangsläufig zur Beschäftigung mit dem Nachhaltigkeitsgedanken. Ich möchte da gerne den ehemaligen Präsidenten der DGNB, Prof. Dr. Ing. Sobek, aus dem Vorwort zum DGNB Handbuch 2009 Neubau Büro-und Verwaltungsgebäude, zitieren, der in kurzen Worten den Kern trifft: „Eine konsequente (Weiter-) Entwicklung und Umsetzung von Konzepten für einen verantwortlichen Umgang mit unseren Ressourcen ist deshalb dringend geboten. Wie in anderen Industriebereichen auch müssen im Bauwesen Versäumnis­se aufgeholt und fehlende Methoden und Technologien intensiv und koordiniert über Disziplinen- und Interessensgrenzen hinweg erforscht und entwickelt werden.”

Der Studiengang NED4 an der FH Hannover schien mir dafür ein geeignetes Mittel zu sein und hat mir in vielerlei Hinsicht neue Impulse vermittelt und Perspektiven eröffnet.

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