Die Serialität brechen – experimenteller Wohnungsbau in Modulbauweise
Mit dem Projekt „Forum am Seebogen“ soll in der Wiener Seestadt Aspern ein experimenteller Wohnbau mit gemischter Nutzung in vorgefertigter Bauweise entstehen. Ein Gespräch mit den Architekten heri&salli, alias Heribert Wolfmayr und Josef Saller.
"Wir haben uns die Aufgabe gestellt, die Serialität des Modulbaus zu brechen. Wir konzipierten fünf ähnliche Module und erzeugten daraus eine Variabilität. Das ist für uns der Moment, an dem die Architektur beginnt."
DBZ: Ihr habt den Wettbewerb „Forum am Seebogen“ in der Wiener Seestadt Aspern gewonnen. Dabei ging es um modulares Bauen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Josef Saller: Bei diesem Wettbewerb sollte man sich einen Systembau mit höchstmöglichem Vorfertigungsgrad und einer maximalen Bauzeit von sechs Monaten überlegen. Ob man jetzt Module oder Elemente wählt, ob Holz oder Beton oder ein anderes Material, war allen Teilnehmenden freigestellt.
Heribert Wolfmayr: Grundsätzlich: Bei der Modulbauweise geht es um bereits zusammengebaute Module und bei der Elementbauweise wird der Baukörper sozusagen in seine Elemente – also Decken, Wände und dergleichen – aufgelöst. Diese sind auch vorgefertigt, aber es ist schon ein Unterschied.
Saller: Es war kein klassischer Bauträgerwettbewerb, sondern man musste das Projekt gemeinsam mit einer ausführenden Firma entwickeln, die das technische Know-how bereitstellt und auch die Finanzierung – also die Kosten – garantiert.
Warum Holz?
Wolfmayr: Dafür sprachen mehrere Faktoren. Zuerst einmal die Modulbauweise, was natürlich damit zu tun hat, dass wir uns in einem Stadtentwicklungsgebiet befinden, wo einerseits viel gebaut wird, andererseits aber schon viele Menschen wohnen. Das heißt: Man baut mitten im Wohngebiet. Und zwar nicht nur ein Gebäude, sondern viele. Da fragt man sich natürlich: Wie kann man das in puncto Lärm- und Staubentwicklung optimieren? Außerdem waren sechs Monate Bauzeit gefordert. Da kann vor Ort ein bisschen ausgehoben und vorbereitet werden – alles andere wird vorab in der Fabrik gefertigt und dann aufgebaut. So hat man die kurze Bauzeit, geringere Lärmbeeinträchtigung, weniger Schmutz usw. Außerdem ist Holz ein nachwachsender Baustoff. Das ist natürlich ein Vorteil.
Saller: Wir dachten zuerst auch an Stahlbeton oder Stahl, aber Holz war fertigungstechnisch für uns – auch im Team – die einzige Lösung.
Es ist also ein Modulbau?
Saller: Beim Wettbewerb war es noch eine Modulbauweise. Alle Parameter sprachen dafür. Wir haben auch eine Firma gefunden, die uns garantierte, die Kostenobergrenze einzuhalten.
Wolfmayr: Es ist ja nicht so, dass die Modulbauweise ganz neu wäre. Vor allem in Deutschland gibt es schon einige Modulbauten. Eine Besonderheit von unserem Projekt aber war die Sechsgeschossigkeit, die wir hier umsetzen. Außerdem haben wir uns zur Aufgabe gestellt, die Serialität des Modulbaus zu brechen. Wir konzipierten fünf ähnliche Module und erzeugten daraus eine Variabilität. Das ist für uns der Moment, an dem die Architektur beginnt: Dass man einerseits sehr wohl mit der Serialität arbeitet, aber darüber hinaus damit auch eine Variabilität erzeugt. Ein maßgeblicher Punkt ist, dass wir in den vorgefertigten Modulen auch Eventualitäten eingebaut haben. Dass man also die Module unterschiedlich verwenden kann und dass sie trotzdem miteinander korrespondieren. Wir haben fünf Module, die wir kombinieren können – und bei diesen ist die Möglichkeit mitgedacht, dass man sie auch um 90 ° drehen kann.
Welche Module habt ihr entwickelt?
Wolfmayr: Im Prinzip haben wir eine Quadratrasterung von 3,40 m – standardmäßig ist es so, dass die Last eines Moduls über die Fläche abgetragen wird, aber sobald man beginnt, ein Modul zu drehen, wird die Last über die Punkte abgetragen. Konstruktiv war das keine so große Sache, auch statisch nicht. Trotzdem wird es nicht getan. Daran sieht man, dass der Modulbau noch in den Kinderschuhen steckt. Man kann die Module zwar addieren und stapeln, aber nicht verdrehen. Wir behaupten: Natürlich kann man das. Doch die Industrie ist da noch sehr unbeweglich. Da heißt es, das ginge nicht. Natürlich geht‘s. Aber das System, das es gerade gibt, funktioniert damit nicht. Das ist auch die Problematik.
Saller: Das ist der wesentliche Unterschied zur Elementbauweise. Bei den Elementen habe ich Flächenabtragung. Bei den gedrehten Modulen habe ich eine Punktübertragung. Im Rahmen des Wettbewerbs lag die Schwierigkeit darin, ein effizientes und finanziell tragfähiges System zu finden.
Wolfmayr: Kurz vor der Abgabe des Wettbewerbs ist die Firma, die wir von Anfang an mit im Boot hatten, ausgestiegen. Weil sie meinte, es ginge nicht, was wir da tun. Eine andere Firma ist dann auch abgesprungen und zuletzt haben wir endlich eine gefunden, die es für möglich hielt.
Es gibt ja auch bei den Modulen verschiedene Vorfertigungsgrade. Was meint ihr damit, wenn ihr sagt „fix und fertig“?
Saller: Fix und fertig. Das Modul hat Fußboden, Decke, Wand, Fenster, Badezimmer, alles. Es war so geplant, dass nur hinten an der Toilette die Wand abgenommen wird, dort wird das Modul mit Leitungen bestückt. Die Brandabschnitte, alles was dazu gehört und die Stöße werden dann mit derselben Schalung zugeklipst. Die Schalung war auch fertig, nur im Bereich der Übergänge wird das Randstück, das fehlt, dann an Ort und Stelle verdeckt. Das Modul kommt fix und fertig auf die Baustelle und wird dann dort gesetzt. Zwischen den Modulen sind 6 – 8 cm Platz, dort werden die Verteilerleitungen verlegt. Im Modul selbst war der Boden als Pfosten-Riegel Konstruktion geplant, das heißt, der hat 24 cm Höhe, da kann man die Installation der Nasszellen unterbringen und da werden auch Leitungen verlegt.
Das Modul ist also auch ein Teil der Tragstruktur?
Wolfmayr: Das Modul ist an sich immer Teil der Tragstruktur. Bei uns sind diese bei Bedarf kombiniert mit den frei stehenden Stützen.
Saller: Wir haben auch Stützen in die Module integriert. Ursprünglich waren es 16 x16 cm Stützen. Die sind auch im Modul geteilt: Ein Modul hat 8 cm, das nächste hat auch 8 cm.
Wie werden die verbunden?
Saller: Das Hauptproblem war statisch die Holzpressung, weil das Holz in der Größe sehr schwer ist. Da braucht man spezielle Lastverteilerschuhe.
Wolfmayr: Unsere Punktabtragung funktioniert nur über diese Stahlteile. In der Modulbauweise gibt es noch viel Entwicklungspotential. Auch wenn man sich folgendes vor Augen führt: Diese Module sind alle fertig, dann werden die aneinandergestellt, das heißt: Jedes hat eine doppelte Wand und eine doppelte Decke. Das ist wirtschaftlich ungünstig. Denn die nutzbaren Quadratmeter werden einfach weniger, weil Wände und Decken wesentlich dicker sind als normal. Da gibt es noch viel zu tüfteln.
Ihr habt vorhin erwähnt, es gäbe fünf Arten von Modulen. Welche Arten gibt es da?
Saller: Im Prinzip ist es ganz einfach: Es gibt ein Basismodul mit Nasszelle, Bad, Toilette, Küchenblock und Esszimmer. Je nach Kategorie der Wohnung sind dann noch Zimmermodule zuschaltbar.
Das heißt, zwei Module sind die Mini-Einheit zum Wohnen?
Wolfmayr: Genau. Wir sind von der klassischen Mittelgangerschließung ausgegangen, aber dann gab es auch Varianten, bei denen man die Wohnungen von der Seite erschließt. Dadurch hat man lange Module. Wenn der Gang in die Mitte wechselt, hat man links und rechts kurze Module. Und so variiert das dann wieder. Wenn man die Grundrisse durchschneidet, ist in jedem Geschoss die Erschließung woanders. Auch so wollten wir die Serialität brechen. Die Erschließung ist einmal rechts, einmal links und wechselt dann wieder in die Mitte. Daraus ergeben sich auch die unterschiedlichen Freiräume. Letztendlich ist das Gebäude, wie es hier steht, eine Sequenz aller Möglichkeiten, die auch anders ausschauen könnte.
Ihr habt auch interessante Nutzungen, wie diesen aktiven Co-Working-Space am Dach.
Saller: Das war vorgegeben. 80 % sollte Wohnnutzung sein, 20 % freie Nutzung. Gemeinsam mit Art Phalanx – Agentur für Kultur und Urbanität haben wir die freien Nutzungen entwickelt.
Wolfmayr: Wir haben die Idee verfolgt, dass diese Zusatzeinheiten nicht nur im Erdgeschoss situiert sind, sondern dass man sie durchs gesamte Gebäude spürt. Das heißt, in jedem Geschoss gibt es mindestens ein Modul, das kein Wohnmodul ist. Das kann individuell gemietet oder der Wohnung zugeschaltet werden; das ist teils auch über die Terrassen zugänglich. Oben haben wir keine Wohnungen, sondern nur diesen aktiven Co-Working-Space am Dach, der besteht aus minimalen Büros.
Was unterscheidet das Planen im Modul vom „normalen“ planerischen Denken als Architekt?
Saller: Es ist in der Konzeption einfach eine Systematisierung, auch gedanklich. Ich muss bei allem davon ausgehen, dass ich es vielleicht wieder verwerten oder noch einmal verwenden kann. Aber einfach nur die Serialiät zu addieren, ist langweilig. Das Spannende ist eben die Variabilität in der Serie. Auch, wenn wir so einen modularen Wohnbau noch nie geplant haben: Unserer Arbeitsweise kommt diese Systematisierung sehr entgegen. Dadurch, dass das Holz so schwer ist, wäre die Fundamentierung sehr teuer gekommen. Also haben wir beschlossen, das ganze Gebäude zu unterkellern, weil das billiger ist. Als Nutzer hatten wir ein Start-Up mit vielen Rechnern im Keller. Deren Abwärme wollten wir für das Haus nutzen. Aber unser Gebäude war zu klein, als das sich das rechnen hätte können. Dieses Start-Up ist inzwischen auch wieder ausgestiegen.
Was hat dieses Forum am Seebogen für eine Zeitperspektive?
Saller: Das Erdgeschoss wird von der IBA Wien mit Ausstellungen bespielt. Ursprünglich sollten wir im Dezember 2020 eröffnen. Das hat sich verschoben, weil Strom, Wasser, Fernwärme usw. noch gar nicht vorhanden sind. Unser neuer Zeithorizont ist Baubeginn im Herbst 2020, Fertigstellung 2021.
Das heißt, ihr habt das im Detail noch nicht so weit geklärt und ausgeschrieben?
Saller: Im letzten halben Jahr zeigte sich, dass Module auch im freifinanzierten Wohnbau noch schwer finanzierbar sind. Das heißt, wir sind derzeit bei einer Hybridbauweise: eine Kombination aus Modulen und vorgefertigten Elementen. Wir berechnen das gerade mit der Statik neu, weil der Elementbau von der Flächenabtragung her anders funktioniert als die Modulbauweise.
Was ist der Kostentreiber beim Modulbau?
Saller: Eine Kombination mehrerer Dinge: Man hat ein zusätzliches statisches System, das notwendig ist; und dann hat man viele Holzelemente wie Wände und Decken doppelt. Außerdem ist das in unserem Fall keine standardisierte Ware, sondern ein Experiment, bei dem gewisse Erfahrungswerte fehlen.
Also ist es doch eine Spezialanfertigung?
Wolfmayr: Nein, die Systeme gibt es schon. Das ist immer die Frage: Mache ich es einmal, ist es eine Spezialanfertigung, mache ich es 30 Mal, ist es Vorfertigung. Das ist auch der Grund, warum der Modulbau noch sehr in den Kinderschuhen steckt, weil sehr rasch etwas zum System erklärt wird, das man durchaus noch optimieren könnte.
Saller: Wir haben inzwischen mit unterschiedlichen Firmen die Machbarkeit ausgelotet und sind jetzt beim vierten Partner. In gewisser Weise ist dieses Projekt ein Experiment. Das birgt natürlich ein Risiko. Für uns etwas weniger, für die Firma mehr. Denn durch dieses neue Anordnen von Modulen stößt man immer wieder auf Parameter, die nicht vorhersehbar sind.
Was ist also die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Wolfmayr: Natürlich die Kosten. Es hat auch viel mit dem Know-how der Firmen zu tun: Wie wendig sind sie? Es ist wirklich die Entwicklung einer Systematik – mit den Firmen, mit der Gemeinde, mit den Bauvorschriften. Es ist vieles Neuland.
Das Interview führte Isabella Marboe am 3. September 2019 für die DBZ Redaktion im Büro von heri&salli in Wien.
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht im DBZ Sonderheft Modulbau 2019. Hier finden Sie Projektberichte, Fachbeiträge und Interviews mit Architekten zum Modularen Bauen.
Das komplette Heft gibt es kostenlos zum Download unter: DBZ Sonderheft Modulbau 2019
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