Die Virtuosität des Vertikalen
Monnet 4, Berlin

Ein Thema, drei Gebäude und drei Materialien ergeben die Trilogie der „umspielten“ Rasterfassade des Berliner Architekturbüros Barkow Leibinger. Besonders beeindruckend ist die Wirkung der Aluminiumfinnen
im Projekt Monnet 4.

„Was kann man auf 40 cm bewirken?“, fragt Frank Barkow und meint damit das Gestaltungspotential einer Fassadentiefe. „Wie viel Plastizität und Dynamik kann ein Gebäude über seine Hülle bekommen?“ Die Aus­einandersetzung mit der Fassade ist ein wesentlicher Bestandteil der Architektur des Berliner Büros Barkow Leibinger. Dabei wird diese aber nicht zur reinen Dekoration. Sie ist ein eigenständiges architektonisches Element, das als Mittler zwischen innen und außen fungiert.

Ein zweiter wichtiger Aspekt des Architekturgedankens des Büros ist die Auseinandersetzung mit Materialien. Womit lässt sich eine architektonische Idee am besten umsetzen? Und wie ist andererseits mit dem Material optimal umzugehen? Wie weit lässt es sich ausreizen? Gearbeitet wird dabei bereits seit Jahren mit Modellen und Prototypen, um die räumliche Wirkung so gut wie möglich abschätzen zu können und um das eigene Fachwissen immer weiter auszubauen. Denn auch das Weiterentwickeln ist wesentlich. Aber nicht im Sinne einer Hightech-Architektur, sondern einer je­­weils optimierten Verarbeitung und Verwendung eines Materials, wie in diesem Fall von Fertigbeton, Aluminium oder Naturstein an der Fassade.

Tragende Betonfassade am Tour Total

2012 konnten Barkow Leibinger mit dem Tour Total (siehe DBZ 2|2013 „Architekturbeton in Perfektion“), einem 17-geschossigen Bürohochhaus, das erste Gebäude der zukünftigen Europacity nördlich des Berliner Hauptbahnhofs fertigstellen.

Seine Fassade besteht aus tragenden, sehr präzise vorgefertigten Beton­elementen, die als modellierte Finnen zwar dem Raster der Gebäudestruktur folgen, dieses aber zugleich aufbrechen. Durch ihre plastische Form wird eine erstaunlich flächige und gleichzeitig dynamische Wirkung erzielt. Das Entwurfskonzept setzt sich dabei aus einer Reihung leicht variierter Fertigteile zusammen.

Der Grundtyp ist ein K-förmiges, über insgesamt vier Geschosse verlaufendes Modul unterschiedlicher Tiefe, dessen Grad in diago­naler Richtung verläuft. Dieses asymmetrische Grundmodul wird gespiegelt und seitlich zueinander versetzt angeordnet. Aus sich wiederholenden Elementen wird so eine ornamenthafte Fläche, die den Betrachter mit immer wieder neuen, spannenden Ansichten überrascht. So wirkt die Fassade direkt von vorn betrachtet noch relativ statisch und zeigt am deutlichsten die dahinterliegende Rasterstruktur des Gebäudes, allerdings auf­gebrochen durch eine diagonal über die Gesamtfassade verlauf­ende Linienführung.

Bewegt man sich jedoch um das Gebäude herum, desto schräger wird der Blick auf die Betonfinnen, die so immer stärker zu einer flächigen, fast textil wirkenden Struktur verschwimmen.

Die leichte Vorhangfassade des Monnet 4

Noch stärker als beim Tour Total kommt die Idee der „umspielten“ Rasterfassade im nächsten Projekt, dem an das Hochhaus anschließenden, 2015 fertiggestellten Monnet 4, zur Geltung. Das mit nur sechs Geschossen wesentlich niedrigere Gebäude sollte ­ursprünglich direkt an das Turmgebäude ­anschließen. Erst Barkow Leibinger mach­ten sich dafür stark, an dieser Stelle einen ­schmalen Durchgang zu schaffen, der später direkt auf einen kleinen Park an der Nordseite des Blocks führen soll. Für die Architekten war klar, dass die Fassade dieses neuen Bauabschnittes eine Fortführung des Tour Total sein sollte, ohne diesen zu kopieren, etwa so wie sich auch Geschwister ähneln, die doch jeweils eigene Persönlichkeiten sind. Klaus Reintjes, Projektleiter aller drei Projekte bei Barkow Leibinger, erklärt: „Es sollte aber etwas sehr viel Leichteres sein. Daher haben wir uns für Aluminium entschieden.“ Die Wirkung der schmalen und scharfkantigen Aluminiumfinnen, die in einem viel engeren Raster angebracht sind, ist beeindruckend. Tatsächlich erscheinen die ebenfalls sehr präzise im Strangpressverfahren hergestellten Finnen aus der Ferne gar nicht mehr scharfkantig, sondern vermitteln in ihrer Gesamtheit etwas erstaunlich Weiches, Zartes, das wie ein halbtransparenter Vorhang vor der eigentlichen Fassade zu schweben scheint. Wobei auch hier der Unterschied zwischen dem Blick aus der Schräge und dem Blick aus der Orthogonalen auf eine dann doch sehr strukturierte Ansicht frappierend ist.

Idee und Umsetzung

„Offen gestanden waren wir selbst von dieser starken Wirkung überrascht“, erzählt Architekt Barkow. „Natürlich haben wir auch hier im Vorfeld mit Prototypen und 1:1 Modellen gearbeitet. Aber weder in Computersimulationen noch in Modellen lässt sich die Gesamtwirkung durch Licht und Schatten ganz genau vorhersehen.“ Wichtig war den Architekten vor allen Dingen die Präzision und Scharfkantigkeit der sägezahnartigen Finnen. „Um diese zu erreichen, mussten wir mit stranggepressten Aluminiumprofilen arbeiten, die dann keilförmig aufgeschnitten und entsprechend dem Fassadenentwurf zusammengesetzt wurden“, erklärt Lutz Köhler, Geschäftsführer der MBS Projekt GmbH und Fassadenplaner des Projektes. „Mit gekanteten Blechprofilen hätten wir immer einen Radius an den Profilkanten erzeugt. Zudem sollte die Oberfläche silbern eloxiert sein. Beim Biegen von Blechen entstehen aber Strukturrisse des Materials, die beim Eloxieren sichtbar werden.“ Besonders anspruchsvoll war für die Fassadeningenieure die Statik der schmalen Finnen in Verbindung mit dem Wunsch nach sehr filigranen Fassadenprofilen. Die Finnen kragen teilweise bis 40 cm aus, so dass hier starke Windkräfte angreifen können. Um Schwingungen zu verhindern, wurden die Fassadenschwerter auf gabelförmige Konsolen gestülpt, mit denen sie sicher in den Fugen im Deckenkopfbereich befestigt sind. „Durch Kombikonsolen für die Element- und Finnenbefestigung konnten wir dann auch die thermische Trennung gewährleisten“, erklärt Köhler.

„Das war wichtig, denn durch ihre deutlich größere Oberfläche haben die Finnen eine andere thermische Beanspruchung und müssen unabhängig vom Rest der Fassade arbeiten können.“ Durch die filigranen Profile mussten allerdings geräuschdämpfende Materialien in den Gleitlagern minimiert werden, so dass Knarzgeräusche zwar maximal reduziert, aber nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden konnten.

Natursteinfassade für „Bertha Berlin“

Barkow Leibinger bekamen mit „Bertha Berlin“ die Möglichkeit, die Fassadenidee des Tour Total und Monnet 4 noch auf ein drittes Gebäude und ein drittes Material zu übertragen und so eine Trilogie zu bilden. Dieser Bau steht allerdings nicht in nächster Nachbarschaft zu den beiden anderen, sondern südlich des Hauptbahnhofs in einem Geviert, für das durch einen Masterplan von Auer Weber Architekten die Materialität bereits vorgegeben war: Gefordert war hier Kirchheimer Muschelkalk. „Wir haben den Naturstein in einer sehr ungewöhnlichen Weise verwendet, indem wir auch hier mit filigranen Lisenen – oder wie wir es nennen, Finnen – arbeiten, die senkrecht zur Fassade stehen und so, wie auch bei den anderen beiden Projekten, eine Textur schaffen, die über die gesamte Fläche wirkt“, erläutert Projektleiter Reintjes. Bei diesem, nach der Bertha-Benz-Straße, an der es steht, benannten Projekt wirkt der eigentlich schwere Naturstein sehr leicht. Und auch hier erscheint diese dem vorbeifahrenden oder -gehenden Betrachter aus bestimmten Blickwinkeln fast wie eine textile Fassade – wenn auch eher wie ein robuster Jutestoff denn wie ein durchscheinender Gazevorhang. Nina Greve, Lübeck

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