Die schwingende Farbspirale
In Oberhausen wurde unweit des Gasometers eine neue Fußgänger- und Radfahrerbrücke über den Rhein-Herne-Kanal geschlagen. Sie verbindet zwei beliebte Parkanlagen miteinander und wurde von dem Künstler Tobias Rehberger entworfen. Er begreift den federartigen Bau als Kunstwerk.
Das optische Zitat ist kein Zufall, sondern tatsächlich gewollt; auch ist Slinky Springs der englische Originalname jenes Spiralspielzeugs, das in den 1970er Jahren in den meisten Kinderzimmern omnipräsent war und hierzulande „laufende Feder“ genannt wurde. Dabei war die zum Spielen ersonnene Spirale schon 1943 von dem amerikanischen Ingenieur Richard James eher zufällig erfunden worden. Nach wie vor ist es quasi der Standardversuch eines jeden, der dieser Feder habhaft wird, diese vor sich von einer Armlehne zur anderen zu spannen, also quasi unbewusst damit eine Brücke zu bauen.
Der Entwurf
Die Idee an dieser Stelle eine Brücke zu errichten, entstand im Vorfeld der Freiraumausstellung „Emscherkunst“, die später auch Teil des Kulturhauptstadtprojektes Ruhrgebiet 2010 war. Rehberger war im Sommer 2008 mit 14 anderen Künstlern eingeladen worden, im Rahmen einer Begehung, Standorte für Kunstobjekte im öffentlichen Raum zu finden. Mehr im Spaß stellte er fest, dass an dieser Stelle eigentlich eine Brücke errichtet werden müsse. Der Kurator Florian Matzner merkte an, dass die zuständigen Behörden dies ohnehin erwägen würden, woraufhin Rehberger meinte: „Dann baue ich die!“ Drei Tage später klingelte sein Telefon und er hatte den Auftrag. Ein halbes Jahr arbeitete Rehberger an dem Konzept, am Ende stand die schwarze Spirale, eben jene Slinky Springs, durch die ein dünnes, bunt gestreiftes Farbband läuft. Zudem sollte aber auch das Dynamische, d. h. die Bewegung einer Feder, nicht nur sicht-, sondern auch spürbar sein. Entsprechend ist das konstruktiv bedingte Schwingen der Brücke durchaus beabsichtigt.
Tatsächlich sollte die Brücke bereits für den Zeitraum der Kulturhauptstadt 2010 fertiggestellt sein. Der harte Winter 2009/10 sowie unerwartete bodentechnische Probleme während der Gründung verzögerten das Projekt bis in dieses Jahr.
Die Konstruktion
Die Brücke ist insgesamt 406 m lang, wovon 62 m frei über die Wasserfläche des Kanals spannen. Statisch teilt sie sich in drei Bereiche: die beiden Rampen und das querende Spannband. Die geschlängelten Aufgänge sind dabei unterschiedlich lang und steil: im Kaisergarten 170 m; auf der Emscherinsel dagegen nur 130 m. Der 106 m lange Mittelteil ist konstruiert wie eine „klassische“ Hängebrücke im Dschungel. Verwendet wurden allerdings keine Hanfseile und Holzschwellen, sondern zwei parallel gespannte Zugbänder aus Stahl und darauf quer aufliegende Betonfertigteilelemente. Diese haben das Maß 2,75 m auf 0,625 m bei einer Stärke von 15 cm. Die Fertigteile stoßen direkt aneinander und dämpfen so konstruktiv ein übermäßiges Schwingen der Brücke. Die Rampenflächen bestehen ebenfalls aus Betonfertigteilen, wurden aber aufgrund der zu erstellenden Schleifengeometrie deutlich größer ausgeführt. Ihre durchschnittliche Länge beträgt rund 20 m. Die Stöße zwischen den Rampenteilen sind an den statisch hier erforderlichen Stahlstützen ablesbar. Die ganze Brücke weist einen einheitlichen, etwa 4 cm starken Bodenbelag auf. Es ist dieser elastische, Tartanbahngummi, den man von Sportplätzen oder von Kinderspielsplätzen her kennt. Neben einem bemerkenswert weichen Gehen garantiert dieser zudem ein dauerhaft rissfreies Überspannen der sich ständig bewegenden Stoßfugen zwischen den tragenden Betonfertigteilen.
Das Farbkonzept
Der Brückenkorpus ist in 16 unterschiedlichen Farben gehalten, die sich auf vollkommen unterschiedlich große Flächen verteilen. Verwendet hat der Künstler dabei alle Farbrichtungen des sichtbaren Spektrums, jedoch kaum Grüntöne. Diese Farbe dominiert zu sehr das unmittelbare parkartige Umfeld. Ihre intensive Verwendung würde die gefleckte Brückenskulptur wie mit einem Tarnanstrich versehen erscheinen lassen. Die unterschiedlichen Farbfelder enden immer quer zur Laufrichtung. Sowohl die Unter- wie auch die Aufsicht des Baukörpers besitzen eine identische Farbe und Ausdehnung.
Rehberger hat mit der gewählten Farbabfolge keinen definierten, bedeutungsschweren Code realisieren wollen, sondern nur einen bunten, optisch stimmigen Look. Wichtig war ihm vielmehr eine unterschiedliche Anmutung der Brücke bei Tag und bei Nacht. Tagsüber nimmt der Betrachter nun eher das Volumen der schwarzen Spirale wahr, nachts dagegen die angestrahlte bunte Lauffläche. Die umgebende Feder ist im Dunkeln annähernd unsichtbar. Die unterschiedlich großen und verschieden farbigen Felder will er verstanden wissen wie eine abstrakte Komposition auf einer Leinwand. Rehberger wollte ein ständig wechselndes, jedoch zugleich auch stimmiges Farbenspiel schaffen, das das Begehen der Brücke zu einem optischen Erlebnis macht.
Fazit
Natürlich ist das Bauwerk eine Brücke, die zum Überqueren des Kanals genutzt werden soll. Allerdings schwebte dem Künstler hier nicht die schnellste Verbindung von A nach B vor, sondern vielmehr ein genussvolles Flanieren. Dabei versteht er auch die verschlungenen Passagen der Rampen als ein Spaziergang zwischen Bäumen. Damit wird für ihn „Der Weg zum Ziel“.