Digitale Lösungen im modernen Nachtragsmanagement
Nachträge gehören zum Bau und sind ein integraler Bestandteil der Profitkalkulation vieler Nachunternehmer. Zumindest ist dies die vorherrschende Meinung. Nachträge können jedoch mit der Hilfe einiger Werkzeuge und Tricks vermieden werden.
Nachträge – Effizienter managen oder besser direkt ganz vermeiden?
In Deutschland werden 80 % aller Bauvorhaben verspätet oder über dem geplanten Budget abgeschlossen. Im privaten Bereich werden einer Studie der Hertie School (1) zufolge, viele Projekte teurer als geplant. Bei jedem dritten Projekt erhöht sich der Preis um 10 %, bei jedem fünften sogar um 20 %. Der Grund für diesen Einschnitt in die Wirtschaftlichkeit der Baubranche sind Nachträge.
Wodurch entstehen Nachträge?
Nachträge oder Nachforderungen entstehen aus einem Zusammenspiel von Planungsänderungen, Kommunikationsschwierigkeiten und Gegebenheiten des Vertragswerks. Die Hauptgründe für Nachträge sind meist fehlerhafte oder verspätete Planlieferungen. Da nach Baubeginn häufig noch weiter geplant wird, sind Nachträge also normal und nicht immer schlecht. Sie geben dem Bauherren die Möglichkeit, seine Planung im laufenden Projekt an neue Umstände anzupassen. So nützlich dieses Werkzeug ist, wird es häufig an anderer Stelle zur Belastung. Das Budget des Bauherren wird durch solche Nachforderungen strapaziert und überschritten.
Durch sehr individuelle Prozesse der Bauprojekte kommt es gerade in der zeitlichen Planung häufig zu Fehlern. Diese Individualität der Prozesse hat zur Folge, dass Datenbanken, Literaturkennwerte und Erfahrungswerte einer gewissen Ungenauigkeit unterliegen, mit einer Streuung der Zeitwerte der Leistungen von bis zu 30 % (2).
Nachträge führen auf den ersten Blick zu Mehrkosten für das Projekt. Auf den zweiten Blick ist der Effekt noch weitreichender. Die Qualität des Projektes sinkt aufgrund fehlender Leistungen, die nicht mehr im Budget enthalten sind. Der Projektzeitplan kann somit nicht eingehalten werden und das Vertrauen aller Beteiligten ineinander sinkt.
Es entsteht eine Kultur des Gegeneinander-Arbeitens. Wenn Nachträge vermieden werden sollen, müssen also auch Auftragnehmer einen Teil des Risikos tragen. Möglichkeiten hierfür sind Detailpauschalverträge oder Globalpauschalverträge, die Leistungen detailliert beschreiben und keinen Raum für Interpretation offen lassen. Diese Art von Verträgen unterscheidet sich maßgeblich vom Einheitspreisvertrag, bei dem das gesamte Risiko eines Nachtrages auf der Seite des Auftraggebers lastet.
Nachträge vermeiden, bevor sie entstehen
Digitale Lösungen versprechen die Vermeidung von Nachträgen durch die Schaffung von Transparenz in der Zusammenarbeit. Was sind die Vorteile einer solchen Lösung, gegenüber der herkömmlichen Arbeitsweise?
Prüfung der Nachunternehmer:
Es ist möglich, Nachunternehmer schon vor der Ausschreibung auf ihre Bonität, Erfahrungswerte von Auftraggebern bei früheren Aufträgen sowie ihre Expertise zu prüfen. Digitale Lösungen bieten den Vorteil, diese Prüfung transparent zu machen. Durch die Ausschreibung an hochqualitative Betriebe wird das Risiko von Nachträgen minimiert. Eine zufriedenstellende Zusammenarbeit resultiert in einer weiteren Bewertung für den Nachunternehmer. Dieser qualifiziert sich damit wieder für kommende Projekte. Transparenz sorgt für Vertrauen, ähnlich der Bewertungsfunktion bei Amazon.
Projektplanung:
Die Projektplanung wird durch digitale Lösungen immer einfacher und übersichtlicher gestaltet. Durch die Arbeit an einem zentralen, mehrdimensionalen Modell können mehrere Projektbeteiligte auf einmal die Realisierbarkeit des Projekts beurteilen und Fehler in der Planung offenlegen. Ein weiterer Vorteil ist die automatische Erkennung von fehlenden Positionen in der Leistungsbeschreibung. Diese würden bei der herkömmlichen Planung im Verlauf des Projekts zu Nachträgen führen und können durch Algorithmen automatisch erkannt werden. Unabwendbare Änderungen können jedoch trotz detaillierten Plänen vorkommen. Hierbei kann eine schnelle Reaktion durch automatische Benachrichtigungen bei Änderungen des kritischen Projektpfads erwirkt werden.
Überblick bewahren:
Software kann nicht nur in der Planung eines Projekts das Risiko für Nachträge minimieren, sondern auch während der Ausführungsphase. Durch die Arbeit in einem geteilten Dokument können alle Parteien zentral ihren Fortschritt im aktuellen Bauvorhaben dokumentieren. So wird die Kommunikation vereinfacht und nachfolgende Bauprozesse können besser koordiniert ausgeführt werden. Damit kann eine schnellere Abwicklung des gesamten Projekts sichergestellt werden, ohne dass einzelne Parteien in Zeitdruck geraten.
Übersichtliches Bieter-Management:
Bei der Ausschreibung stellen sich viele Fragen: Wurden den möglichen Bietern alle notwendigen Informationen übermittelt? Haben diese bereits ein Angebot abgegeben? Sind Positionen kurzfristig geändert und die Bieter darüber in Kenntnis gesetzt worden? Kommunikation mit vielen Nachunternehmern gleichzeitig ist oft zeitintensiv und kompliziert. Digitale Lösungen können Abhilfe schaffen und den gesamten Kommunikationsverlauf übersichtlicher gestalten. Dabei kann eine digitale Dokumentation das Navigieren durch Dokumente erheblich erleichtern. Dies gilt sowohl für das Einholen von Angeboten als auch für die spätere Vergabe. Ein Beispiel sind smarte Applikationen, die automatisch Firmen und Preise vergleichen können. Die Effizienz im Vergabeprozess wird erhöht und das beste Preis-Leistungs-Verhältnis schneller ermittelt. Dabei ist das günstigste Angebot jedoch nicht grundsätzlich das Beste. Das beste Angebot ist das mit der realistischsten Preisschätzung.
Auch ohne eine digitale Lösung kann ein Bauherr Nachträge vermeiden. Die Transparenz ist dennoch der entscheidende Faktor für den Projekterfolg. Planungsunterlagen müssen für alle Beteiligten immer auf dem neuesten Stand sein, auch bei Änderungen. Vertragsunterlagen sollten widerspruchsfrei sein. Dies geschieht beispielsweise durch die Nutzung von geprüften Standardtexten. Dazu sollte eine klare Kommunikation mit Nachunternehmern gewährleistet werden, die es möglich macht, Verantwortung zu übertragen und zu prüfen.
Entlastung des Projektleiters durch digitales Nachtragsmanagement
Sollten trotz aller Vorkehrungen doch einige Nachträge entstehen, haben diese Auswirkungen auf den Zeitplan, die Kosten und die Moral. Der genaue Umfang der Auswirkungen ist nicht immer offensichtlich. Wie wirkt sich eine Verzögerung des Trockenbaus auf den Fliesenleger aus? Um diese Implikationen zu begreifen, muss selbst in kleinen Bauprojekten ein umfassendes Verständnis für ineinander greifende Prozessschritte vorhanden sein. Es gibt jedoch Lösungen, die dem Kalkulator oder Bauleiter bei dieser Aufgabe helfen.
Die Automatisierung ist hierbei der entscheidende Vorteil gegenüber händischem Nachtragsmanagement. Wird bei modernen Lösungen ein Nachtrag eingegeben, ist diese in der Lage automatisch Rückstellungen einzuplanen, Worst-Case Prognosen abzugeben und dabei noch zentral alle wichtigen Dokumente zum Eintrag zu verknüpfen. Die Kalkulation wird also effizienter und resistenter gegen Fehler.
Es geht auch anders
Digitale Lösungen sind Werkzeuge, die in vorhandene Prozesse eingegliedert werden. Wenn sich der Planer nicht mit dem Nachunternehmer austauscht, wird die Fehlerquote immer höher sein, als wenn alle Beteiligten gemeinsam am Projekt arbeiten. Das bedeutet, dass ein in der Kommunikation eingeschränkter Prozess nicht durch seine Digitalisierung verbessert werden kann. Dafür muss zunächst eine Kultur des gemeinschaftlichen Bauens geschaffen werden und genau diese wird durch eine digitale Lösung unterstützt.
Quellen:
(1) Hertie School, Studie: Großprojekte in Deutschland – Zwischen Ambition und Realität
(2) HORNUFF, M.: Flexibilität in der Bauablaufplanung und ihre Nutzung bei Bauverzögerungen; Braunschweig: Schriftenreihe des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb der Technischen Universität Braunschweig; S. 47
Autor: Thilo Tamme, seit 2020 Manager für Unternehmensentwicklung mit Fokus auf Problemanalyse bei Tenera. Thilo Tamme hat durch den direkten Austausch mit zahlreichen Firmen im Markt zentrale Probleme der Industrie analysiert.