Qualität und Gestaltung der gebauten Umwelt
Prof. Henning Braun leitet seit 2011 den Lehrstuhl für Gebäudetechnologie an der RWTH
Aachen und gründete verschiedene interdisziplinäre Planungsteams. Woran er mit den
Studenten und Mitarbeitern forscht und arbeitet, fasst er wie folgt zusammen.
Wir werden die Qualität unserer Bauwerke weiter steigern, das gilt in Hinblick auf die Ressourceneffizienz, die Funktionalität und die Gestaltung. Bei allen Diskussionen, die ich in den letzten Jahren erleben durfte, wurde deutlich, dass die meisten am Bauen Beteiligten eine integrale digitale Planung unterstützen.
Wir haben alle Voraussetzungen unsere Umwelt positiv zu beeinflussen: Megatrends, wie digitale Planungsprozesse, Prozess- und Ablaufoptimierung mit KI und robotergestütztes Bauen, sind dabei die im Hintergrund laufenden „enabler“ unserer Gestaltungsfähigkeit. Wir müssen diese rasanten Entwicklungen ernst nehmen und deren technologische Einflüsse kritisch prüfen, begleiten und bestenfalls integrieren.
Einen Entwurf real werden zu lassen, wird sich in den nächsten Jahr(zehnt)en massiv verändern. Die romantische Vorstellung des jungen Architekturstudenten mit einem Bleistift die entscheidende Skizze zu erstellen, die später auf allen Postkarten zu erkennen ist, wird hoffentlich bleiben, auch wenn das nur ca. 0,2 % der Gesamtleistung des zukünftigen Gestalters darstellt.
Das Entwerfen und spätere Erstellen wird durchgängig in einem digitalen Prozess abgebildet werden und das von der ersten Idee bis zur Fertigstellung und Begleitung im Betrieb. Damit werden viel mehr Informationen bidirektional, gleichzeitig und hoffentlich zum richtigen Zeitpunkt in den Prozess eingeblendet werden. Fragestellungen, Kollisionen, Normen, Anforderungen oder Kosten erscheinen dem Gestalter immer wieder im Hintergrund seiner Bearbeitung und evaluieren seine Leistung. Dabei verschmilzt der Übergang von Planung und Realisierung zunehmend, denn die Gestaltungsentscheidungen werden parallel auf ihre Umsetzungsfähigkeit simulativ untersucht und bewertet werden.
Dabei steht der Gestalter mehr denn je im Fokus, denn er ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Flut an Einflüssen auf seine Arbeit nicht zu monotonen Ergebnissen führt. Er wird daran gemessen werden, wie es ihm gelingt, die Elemente der Gestaltung wie Emotion, Begeisterung, Haptik und das Gefühl für den Raum durch die digitale Prozesswelt zu dirigieren.
Qualität der Rahmenbedingungen
Daran arbeiten wir in verschiedenen Bereichen: Die VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik mit den Fachbereichen Architektur, Bautechnik, TGA und Facility-Management bietet optimale Voraussetzungen, Querschnittsthemen integral zu betrachten. Die Ergebnisse aus den Themen „Nachhaltig-
keit/Ressourceneffizienz“ sowie „Gebäude und Gesundheit“ brachten die Fachleute zu dem Ergebnis, dass hohe Qualität und zukunftsweisende Planungsprozesse nur mit integraler Betrachtung zu realisieren sind.
In der Öffentlichkeit haben wir mit einem Brief an den Bundesinnenminister Horst Seehofer im Mai 2018 auf Fehleinschätzungen hingewiesen, dass die vielen technischen Regeln das Bauen verteuern und verkomplizieren. Es geht vielmehr darum, diese sinnvollen Richtlinien als Hilfsmittel zu verstehen und im richtigen Moment in die digitale Prozesskette einzublenden, denn eine von anderer Seite geforderte Absenkung von Standards zur Reduzierung von Baukosten wird uns nicht zum Ziel führen. Es ist einfach nicht sinnvoll, bei neuen Gebäuden unter den heutigen Stand der Technik zurückzufallen. Wer hier einzelne Aspekte oder Anforderungen in Frage stellt, hat die integrale Betrachtung nicht verstanden.
Reallabore und Demonstratoren
Als Architekt und Professor für Gebäudetechnologie arbeite ich mit meinem Team vor allem an Reallaboren und Demonstratoren, die zeigen, welche gebäudetechnischen Möglichkeiten die Architektur hat. Dabei ist es ein Privileg für mich als Architekt, mit Unterstützung der RWTH Aachen am Lehrstuhl für Gebäudetechnologie mit jungen Architekten und Ingenieuren reale Projekte umsetzen zu können.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Gebäudehülle, die als Schnittstelle zwischen kontrolliertem Innen- und unkontrolliertem Außenraum in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewinnt. In den Fokus der Entwicklung neuartiger Fassadensysteme rücken wandelbare und intelligente Systeme auf Basis abstrahierter natürlicher Prinzipien. Transferiert man diese Eigenschaften für Hüllen und Häute in Fassaden von Gebäuden, ergeben sich drei wesentliche Schlüsseleigenschaften:
erstens ein adaptives Verhaltensmuster (Adaptivität), d. h. die Fähigkeit, seine Eigenschaften den inneren und äußeren Einflüssen variabel anzupassen. Zweitens eine für Licht und Gase permeable Membran (Permeabilität), die im Austausch mit der Umgebung und dem Innenraum steht und drittens eine autoreagible graduelle Schaltbarkeit (Autoreagibilität), die gewährleistet, dass Zustände einer veränderten Umgebung eigenständig erfasst und gemäß der vorgegebenen Anpassungsprofile aus sich selbst heraus nachführt.
Testen bis zum Maßstab 1:1
Diese Prinzipien sind in unterschiedlichen Ausprägungen bei den zwei gezeigten Projekten zu erkennen: Das Wohnprojekt in Düsseldorf (S. 68) zeigt einen geometrisch scharf geschnittenen Körper mit silberner textiler Verkleidung. Das Projekt, das wir als Demonstrator untersuchen durften, bildet die gebaute Grundlage für die Erfahrungen mit dem Einsatz textiler Baustoffe in der Gebäudehülle und diente als Nukleus für die Implementierung weiterer Forschungsansätze im Reallabor Aachen.
Das Reallabor in Aachen (S. 69) dient als Testgebäude für gebäudetechnologische Baukomponenten und wird durch den Lehrstuhl begleitet. Untersucht wurden Forschungsfragen wie BEEM, das Bidirektionale Echtzeit Energiemanagement oder ATS, die Entwicklung einer Adaptiven Textilen Hülle (Skin) und das Folgeprojekt DATEF, ein Demonstrator Adaptiver Textilfassaden.
Das BEEM soll nicht nur einfach zu planen und zu bedienen sein, sondern auch so preiswert, dass es sich in kurzer Zeit amortisiert. Hierzu soll ein automatisierter Planungs- und Integrationsprozess entwickelt werden, der anhand der angeschlossenen Systemkomponenten die einzelnen Fähigkeiten des Gesamtsystems bestimmt und die entsprechenden Funktionen zur Verfügung stellt. lm Forschungsvorhaben ATS wurden die Möglichkeiten einer Nutzbarkeit adaptiver textiler Fassadensysteme grundlegend bearbeitet, im Folgeprojekt DATEF sollte der Versuch unternommen werden textile Fassadensysteme als Demonstrator im realen Betrieb zu testen und die Anwendungsmöglichkeiten solcher Fassadentypen im Maßstab 1:1 zu prüfen.