Dorf mit Schall­schutzwand
Quartiersentwicklung Geibelstraße/Barmbeker Straße, Hamburg
 

Die Bedingungen waren nicht sehr günstig in Hamburg an der Barmbeker Straße: Am Anfang standen Überlegungen, wie man zwei bestehende Supermärkte in eine neue Wohnbebauung integrieren könnte und wie die neue Straßenfront nicht nur als Schallschutzwand funktioniert, sondern auch gut aus­sehen kann.

Die stark wachsende Metropole Hamburg muss jährlich mehr als 6 000 Wohnungen bauen, um eine drohende Wohnungsnot zu vermeiden. Das ist eine quantitative Aussage. In unserem Zusammenhang zählt immer auch die Qualität von Wohnung und Quartier. Wie sehen attraktive Wohnangebote in Großstädten aus, die für viele Bewohnergruppen bezahlbar sein sollen? Wie können Wohnungen über den Status von Ware und Immobilie hinaus wieder zur Heimat werden? Es gibt eine Berufsgruppe, die dafür entsprechende Ideen entwickeln kann: Architekten heißt sie und dieses Beispiel in Hamburg Winterhude steht dafür, dass diese ein gutes Wohn- und Geschäftsquartier auch in einem günstigen Preis/Leistungsverhältnis bauen können. „Winterhude 22303“ (ein leider wenig aussagekräftiger Name, der sich aus der Postleitzahl ableitet) befindet sich in der inneren Stadt Hamburgs, an der Peripherie Winterhudes im Übergang zu Barmbek und in der Nähe des Stadtparks.

Harte Schale ...

Ein ehemaliges Brauereigelände zwischen Geibelstraße und Barmbeker Straße war zwischenzeitlich als Autohausstandort, Supermarkt und Parkplatz genutzt worden, mit einer schwachen Bebauungsdichte. Das Konzept in einem Stadtteil, das mittlerweile mehr und mehr in den Mittelpunkt des Entwicklungsinteresses gerät und sanft gentrifiziert wird, war naheliegend: eine Blockrandschließung mit Nachverdichtung im Sinne einer städtebaulichen Reparatur, um der starken Wohnungsnachfrage im Hamburger Stadtgebiet nachzukommen. Die 105 m lange, konvexe Ostfassade zur Barmbeker Straße wurde nicht in einzelne Gestaltungsabschnitte zerlegt, die eine innerstädtisch lebendige Hausstruktur simulieren, sondern als eine eben 100 m lange harte „Schale“ ausgeführt, die durch abgeschrägte, spitzwinklige Baywindows gegliedert wird. Die pointierte Anordnung dieser Kastenfenster lockert die lange Klinkerfassade auf. Die auskragenden abgeschrägten Fensterelemente erzeugen ein reizvolles Schattenspiel auf der leicht gebogenen Fläche. Der schöne Schein birgt wertvolle Funktion, denn die Kastenfenster garantieren eine lärmarme Nutzung der Schlafräume mit natürlicher Belüftung – sogar hier an der verkehrsreichen Magistrale. Das ganze Ensemble bedeutet auf den ersten Blick einen Maßstabbruch für Barmbek. Es ist – im positiven Sinne – recht gut auf das Wahrnehmungsvermögen der Autofahrer ausgerichtet, die so etwas wie einen überdimensionierten Gürtel mit Palettenbelag erleben. Das Sockelgeschoss in seiner hinterlüfteten Konstruktion aus 2-farbig lackierten Lochblechen darf man auch als Strichcodemuster verstehen – wenn die Zeit der Vorbeifahrt ausreicht. Die perforierte Struktur mit dahinterliegenden Absorptionsflächen ist entwickelt worden, um die geforderte Reflexion des Verkehrslärmes auf die gegenüberliegenden Gebäude abzumildern; auch dort entstehen jetzt neue Wohnungen.

... grüner Kern

Das erste von zwei Baufeldern (Baufeld A) des Projekts ist 2012 fertiggestellt worden und entwickelt sich hinter der 105 m langen Wand ganz anders als erwartet. Das Sockelgeschoss birgt das wiedereröffnete Nahversorgungszentrum samt Parkpalette und wird von einem Hochplateau nach oben hin „abgedeckelt“.

Darüber entwickelt sich dann ein radikaler Milieuwechsel, wenn man oberhalb dieser „Platte“ angekommen ist. Drei Wohnzeilen für 181 Wohnungen, die die Bestandszeilenbebauung fortführen, bilden abgeschottet von der Geschäftigkeit der Supermärkte die Intimität und Halböffentlichkeit eines wohlbehüteten durchgrünten Quartiers ab. Stand man eben noch im lautstarken Autoverkehr, ist hier Ruhe. Wo ist der Stadtlärm geblieben? Der 5-geschossige östliche Wohnriegel schirmt das Binnengebiet mit den 3- bis 4-geschossigen Wohnzeilen vom Verkehrslärm der vielbefahrenen Barmbeker Straße ab. Die niedrigeren Wohnzeilen im Quartiersinneren fallen „durch die
expressive Höhenentwicklung auf, die moränenartig die „Berge“ und „Täler“ der Staffeln verzahnt“, glauben die Architekten und hoffen auf ein gelungenes Wechselspiel durch „spielerische Anordnung der immer gleichen Fenster- und Balkonformate.“ Vielleicht ist das ein zu überschwänglicher Eigenkommentar, aber die Gediegenheit, ja Intimität tut hier mitten in der Stadt sehr gut – hierhin kehrt man nach der Hektik des beruflichen Alltags gerne zurück.

Die Erschließung der 2- oder 3-Spänner erfolgt vom „begrünten Plateau“ aus über eines der 19 Treppenhäuser, die bis in das Untergeschoss zur Tiefgarage führen. Es sind Studiowohnungen, Maisonettewohnungen, Penthouses mit großen Dachterrassen sowie Wohnungen mit klassischen Grundrissen im Angebot. Die Mietwohnungen zwischen 44 bis 148 m² Wohnfläche verfügen über 1 bis 5 Zimmer und richten sich an Singles, Paare, Familien, Starter oder Senioren. Dieser Mix ist die Voraussetzung für eine „bunte“ Einwohnerschaft für die interkulturelle Stadt und möglicherweise auch ein Stopper gegen eine zu rasante Gentrifzierung.

Quartiere für alle?

Ohne nun im Einzelfall die durchweg gelungene Qualität der Wohnungen zu analysieren, gewährleistet die Höhenstaffelung der Gebäudekörper in jedem Fall eine gute Belichtung der Wohnungen. Bodentiefe Fenster und versetzt angeordnete Südwestbalkone bieten Ausblicke in die Gartenhöfe mit Spielflächen für Kinder. Wichtig ist die Tatsache, dass diese Art der Dichte, Körnung und Gestaltung eines neuen Wohnungsbaus mit zum Schluss knapp 1 000 neuen Bewohnern die richtigen Signale für Hamburgs Entwicklung (und die anderer Metropolen) setzt.

Optimismus ist in diesem Punkt durchaus angesagt, denn es geht (u. a. auch mit diesen Architekten) im westlichen angrenzenden Baufeld B und reinem Wohnquartier weiter mit spannendem Mix und, vor allem von der Bundestraße aus gesehen, völlig unerwarteter „Kleinteiligkeit“. Zwei spangenartige Baukörper führen an der Nord- und Südseite in das autofreie Quartiersinnere, das wiederum in zwei Gebäudeensembles aufgegliedert ist. Hier steht die Townhouse-Gruppe, die erfolgreich verkauft wird. Die Sehnsucht nach Einfamilienhäusern mitten in der Stadt ist ungebrochen.

Auf ähnliche Käuferschichten reflektiert eine Baugruppe als Lückenschließung in der Geibelstraße, die sehr zart detailliert ist und deswegen architektonisch als gelungen einzuordnen ist. Es besteht dort der Link zu einem zauberhaften kleinteiligen Winterhuder Wohnquartier rund um Schinkelplatz und Mühlenkamp: ganz viel Urbanität in Alster- und Stadtparknähe. Dort, wo viele gern zu bezahlbaren Preisen wohnen mögen. Dirk Meyhöfer, Hamburg

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 10/2015

Initialzündung Hansaterrassen, Hamburg-Hamm

Bislang ist der Stadtteil Hamburg-Hamm von Bürogebäuden geprägt, vereinzelt gibt es Wohnzeilen. In einem Dossier zur „Stadtentwicklung mitten in Hamburg“ ist bereits 2006 das Ziel formuliert,...

mehr
Ausgabe 04/2013 Überdachung Busanlage, Umbau U-/S-Bahnhof Hamburg-Barmbek

Lichte Dächer für Barmbek Basch Überdachung Bus­anlage, U-/S-Bahnhof Hamburg-Barmbek

Die Aufgabe: Der öffentliche Nahverkehr ist im Aufwind – die Infrastruktur muss mitwachsen Doch Hamburgs allgemeines Wachstum tut auch dem ehemaligen Arbeiterstadtteil Barm­bek gut. Der liegt...

mehr
Ausgabe 03/2016 Bäckerbreitergang, Hamburg

Zurückhaltung und Effizienz Bäckerbreitergang, Hamburg

Ein erstes Projekt für frei finanzierte Wohnungen im Gängeviertel wurde von der Hamburger Wohnungsbaugesellschaft SAGA aufgrund der komplizierten Ecklage und der hohen Kosten zur Schaffung der...

mehr
Ausgabe 10/2017

Wohnquartier „Op´n Hainholt“, Hamburg-Sülldorf

In Hamburg gibt es 19 Klima-Modell-Quartiere, eines davon in Hamburg-Sülldorf. Hier entstanden 14 Eigentumswohnungen und 27 Reihenhäuser sowie 8 Doppelhäuser nach einer Planung von eins:eins...

mehr
Ausgabe 12/2018

Stadtquartier Süd, Augsburg

Haunstetten ist mit rund 26?000 Einwohnern Augs­burgs bevölkerungsreichster Stadtteil. Um dem wachsenden Bedarf an Wohnfläche zukünftig gerecht zu werden, beschloss die Stadt Augsburg im Jahr 2017...

mehr