„Ein Schritt in die geometrische Komplexität“
Lars Oberwinter zum Thema „Material“
Die Formensprache in der Architektur wird immer komplexer. Das bringt häufig aufwendigste Tragwerkskonstruktionen mit sich. Der Schritt zwischen architektonischen Freiform-Visionen hin zu konkreten, dreidimensionalen Raumtragwerken erweist sich dabei oft als schwierig. Lars Oberwinter entwickelte in seiner Diplomarbeit FrameworXX ein Software Plug-In, das diese Transformation vereinfachen soll. Das Thema hat ihn inzwischen so gefesselt, dass er eine Dissertation anschließt, in der er FrameworXX weiterentwickelt.
Sie haben ein Software Plug-In entwickelt. Erklären Sie kurz die Funktion.
FrameworXX ist ein vielseitiges interdisziplinäres Werkzeug für die Konzeptionierung, Beurteilung und Darstellung freiförmiger Tragwerke und Gebäudehüllen. Es soll dazu anregen, neue Ansätze und Lösungen für die Erschaffung derartiger Strukturen im Wechselspiel zwischen konstruktivem Detail und Gesamtgeometrie zu erforschen und dabei den planerischen Aufwand auf das notwendige Minimum reduzieren.
FrameworXX ist ein Plug-In für 3D Studio Max, mit dem geome-trische Freiformen in parametrische, dreidimensionale Raumtragwerke gewandelt werden können. Es basiert auf der Script-Sprache von 3D Studio Max, und macht sich damit die Möglichkeiten Makro basierter Programmsteuerung zu Nutze. FrameworXX gliedert sich in die drei Haupt-Teilbereiche der Converter-, Producer- und Export-Funktionen. Die Converter bilden dabei die Grundlage für alle weiteren Programm-Bausteine: Durch sie können Leitkurven-basierte Freiformen (NURBS-Flächen) auf Basis unterschiedlicher Algorithmen in ein oder mehrschalige Netzgitter-Systeme aus planaren Segmenten zerlegt werden - eine wesentliche Ausgangsvoraussetzung für eine wirtschaftliche bauliche Umsetzung. Diese so erzeugten Netzgitter-Systeme aus Linien und Knoten bilden das parametrische Grundgerüst, dessen Bestandteile den späteren Bauteilklassen eines Tragwerks entsprechen. Mit Hilfe der Producer-Funktionen können nun diese abstrakten Netzgitter in detailscharfe Raumtragwerke gewandelt werden: Dreidimensionale Regel-Details für Knoten-, Stab- und Anschlusselemente werden von den Producer-Funktionen je nach Bauteilklasse auf dem Netzgitter verteilt, ausgerichtet und dimensioniert. Neben den vorhandenen System-Presets können über eine Konstruktions-Schablone eigene Regel-Details für jede Bauteilklasse entwickelt und anschließend parametrisiert werden. Die Querschnitts-Dimensionierung sämtlicher Bauteilklassen kann auch nach einer Konvertierung in Echtzeit variiert werden. Die Export-Funktion ermöglicht eine vollständige Ausgabe eines so entwickelten Systems in Tabellenform. So wird die notwendige Schnittstelle zu statischen Berechnungs-Programmen gewährleistet, die nach der Finite-Elemente-Methode Gesamtsysteme auf ihre Belastbarkeit überprüfen können. Die Systeme werden inklusive aller Querschnitts- und Gelenkdefinitionen exportiert, was den Workflow zwischen architektonischer Zeichnung und Berechnungsprogramm erheblich optimiert.
Warum haben Sie sich als Diplomarbeit für die Entwicklung einer Software entschieden?
Kurz gesagt: Sie hat bisher gefehlt. Im Laufe meines Studiums habe ich mit unterschiedlichsten Anwendungen aus den Bereichen von CAD, Visualisierung und Grafik zu tun gehabt und dabei die rasante Entwicklung dieser Systeme in den letzten Jahren begeistert miterlebt. Und dennoch bin ich gerade beim Entwurf eigener Studienprojekte immer wieder an technische Grenzen gestoßen. Vor allem die Abkehr von orthogonalen Konstruktionsrastern hat dabei immer einen hohen zeichnerischen Aufwand mit sich gebracht, der mir im Regelfall unverhältnismäßig erschien.
Ein Werkzeug zu entwickeln, das eine wesentliche Arbeitserleichterung komplexer Planungsaufgaben ermöglicht, erfüllte meinen Anspruch an ein Diplomarbeitsthema: Einen wissenschaftlich neuartigen und gleichzeitig praktischen Beitrag zu der Berufswelt zu leisten, die einmal die meine werden soll.
Inwiefern verändert sich die Erscheinung der Architektur durch die digitalen Möglichkeiten?
Fundamental. Die Architektur steht seit je her in einem engen Wechselspiel mit den geometrischen Erkenntnissen und bautechnischen Möglichkeiten ihrer Zeit. Über die Epochen hinweg lässt sich eine geradezu grenzgängerische Tendenz beobachten, neue wissenschaftliche Errungenschaften durch ihre bauliche Umsetzung zu manifestieren.
Und so bringt auch das digitale Zeitalter eine völlig neue architektonische Formensprache mit sich. Vor allem die Verbesserung der Schnittstellen zwischen der digitalen architektonischen Zeichnung und den heutigen Berechnungs- und Fertigungssystemen ermöglicht eine ökonomische Realisierung komplexer Geometrien, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre.
Die digitalen Werkzeuge ermöglichen dabei auch kleineren Büros abseits der großen Know-How-Zentralen den Schritt in die geometrische Komplexität und ebnen so zusätzlich den Weg für eine schnelle Verbreitung dieser neuen Architektursprache.