Einfach grün. Eine Ausstellung im DAM
„Ist Grün das neue Schwarz?“ fragte ich die Kuratoren der Ausstellung „Einfach grün“, die noch bis zum 11. Juli im Deutschen Architekturmuseum DAM am Schaumainkai in Frankfurt läuft (s. Im Gespräch mit … S. 12f.). Die Frage wollte unterstellen, dass Architekten, die etwas auf sich halten und die sich zudem im Markt behaupten wollen, ohne die Farbe Grün in ihren Entwürfen und Visuals auf keinen vorderen Rang im Wettbewerb mehr gelangen. Ein wenig – aber das enthüllte sich erst beim Schreiben dieses Artikels – wird mit dieser Frage auch die parteipolitsche Entwicklung in Deutschland gestreift, denn auch hier gilt seit längerem – und verstärkt wieder nach der Corona-Hektik –, dass ohne die Farbe Grün kaum eine politische Debatte zu führen ist … ob nun für oder dagegen oder einfach nur irgendwie so dazwischen.
Alle Großstädte in diesem Land, viele in der EU und weltweit, diskutieren Grünstrategien, die ein akzeptables Leben in den Städten sicherstellen sollen, immer und an erster Stelle kommt das Stichwort „Klima“. Das stellt sich wettertechnisch weltweit um und führt uns Szenarien vor Augen, die ungemütlichere Jahrzehnte versprechen: Überhitzung, Dauersmog, Verkehrschaos und Wohnungsmangel. Letzterer nicht nur wegen ständig steigender Preise und zunehmender Flächenzahl je Bewohner, ganz besonders auch, weil klimawandelbedingte Migration die großen Siedlungsräume zunehmend unter Druck setzt.
Die Sachlage ist komplex wie wir heute gerne sagen, wenn wir andeuten wollen, dass Antworten schwierig sind. Immerhin könnte man anfangen. Dem Menschenverstand folgen und beginnen, womit man beginnen kann, weil man nicht darauf warten will/kann. „Einfach grün“ wäre so etwas wie ein Anfang. Genauer: Die von Rudi Scheuermann, Arup Deutschland, Hilde Strobel, Kuratorin/Autorin, und Peter Cachola Schmal, Direktor DAM, kuratierte Ausstellung ist eine Handlungsanweisung, deren unverhüllt zur Schau gestellter pädagogischer Ansatz für ein Machen jetzt sofort wirbt.
Man kann, ja man muss den Grünwahn der aktuellen internationalen Architektur kritisch sehen. Jüngste ikonografische Entwürfe von BIG („The Spiral“, NYC) oder NBBJ („Helix“, Headquarter Amazon, Arlington) deuten die marktschreierische Richtung an, sie und viele, die noch kommen werden folgen direkt dem – auch ökonomisch – sehr erfolgreichen „Bosco Verticale“ in Mailand vom Boeri Studio, ein übergrüntes Hochhaus, das 2014 den Internationalen Hochhauspreis gewann; und eine Initialzündung auf dem Immobilienmarkt wurde. Der Wert des Wohnturms hat sich über die wenigen Jahre seines Bestehens verdoppelt.
Green washing? Es gibt ExpertInnen, die fangen das Rechnen an. Vergleichen die positiven Effekte vor dem Hintergrund des Aufwands, diese zu erreichen. Und kommen meist zu einer negativen Bilanz, jedenfalls, wenn man diese in CO2-Einheiten beziffert: Fassaden-, Tragwerksertüchtigung, Beschaffungen, Pflanzenarten und Pflanzenpflege, Herstellung von Infrastruktur und Aufzucht, alles das kann das positive Ergebnis einer (Hoch)Hausbegrüngung mindern, ja sogar konterkarieren. Stimmt nicht, so Rudi Scheuermann, der bei Arup für die Entwicklung nachhaltiger Gebäudehüllen arbeitet. Bereits jede Pflanze zähle, jedes Grün, das wir in die mineralisch dominierte Bauwelt einbringen, sei ein Gewinn. Klar, nicht jedes Grün eigne sich für dauernd zugige Terrassen in 100 m Höhe, auch müsse auf den Aufwand der Begrünung geschaut werden. Wesentlich ist ihm neben der richtigen Platzierung der grünen Wände die richtige Wahl des Grüns. Exotische Pflanzen sollte man meiden, regionales Grünzeug aus naheliegenden Zuchtgärten sei zu bevorzugen, auch wenn es in den Wintermonaten vielleicht unansehnlich werden könne.
Jedes Grün zähle auch deshalb schon, weil über die positiven Luftreinigungs-, Schallminderungs- oder die Temperaturausgleichseffekte für den Straßenraum das Grün auch positiv auf unsere Psyche wirke: stressabbauend und belebend zugleich. Im Idealfalle solle man die Stadt für eine natürliche Besiedlung durch Pflanzen öffnen, wir könnten Dächer und Fassaden derart vorbereiten, dass die sich natürlich ansiedelnden – also heimischen – Pflanzen leicht wieder Fuß fassen können, ohne die Bausubstanz zu zerstören. Aber Rudi Scheuermann ist Architekt genug, dass er mit seinem Team auch Systeme entwickelt hat, um das Grün aktiv in den Stadtraum zu holen, seine Taschen, nach oben geöffnete Keiltrichter unterschiedlicher Größe, sind fertig bepflanzte Einheiten, die über Regenwasser in einem kaskadierenden Verfahren bewässert werden und beinahe ohne größere Versorungstechnik auskommen, leicht reparierbar und leicht montierbar sind. Daneben werden in den nun mit solchen Systemen gefüllten kleinen Höfen des DAM unterschiedlich technisierte oder materialspezifisch gebaute Fassadensysteme gezeigt, die alle am Ende aber auch nicht mehr können als geflochtene Klettervorhänge, vertikale Rankhilfen oder Blumen-kübel, die sowieso immer schon da waren, nur dass man sie längst zu Abfalleimern oder Sitzgelegenheiten degradiert hat.
Die Städte müssen grüner werden, darüber sind sich fast alle einig, lediglich der Weg dorthin ist noch nicht abschließend konsensual festgemacht. Auch, weil jede Stadt eine andere Landschaft bildet, mal mehr Gebirge, mal mehr Flachland ist, dann wieder viel aber kaum vernetztes Grün, ein Central Park, dessen bloße Größe den Mangel des Abgeschlossenseins kompensiert. Die Stadt Frankfurt, in der die Ausstellung konzipiert wurde – sie wird noch in weiteren deutschen Großstädten gezeigt – hat mit ihrem Programm „Frankfurt frischt auf“ Geld bereitgestellt, mit dem grüne Projekte in der Stadt mit einem 50 % Zuschuss unterstützt werden, maximal mit 50 000 €. Das Programm spricht dabei weniger Planer an als vielmehr Eigentümer aber auch die Mieter selbst, die schauen sollen, wo sie mehr Grün in ihr nächstes Wohnumfeld bringen können. Und spätestens an dieser Stelle taucht dann, wie aus einem Nebel, der Künstler Friedensreich Hundertwasser auf mit seinen Forderungen nach einem Baum- oder Fensterrecht, grundsätzlich mit seiner Aufforderung, dass jeder von uns in höchst eigener Verantwortung „Friedensgespräche mit der Natur“ zu beginnen habe, „möglichst bald […], sonst wird es zu spät sein.“
Die Zeit läuft, wir hinterher. Jedes Grün zählt, diese Quintessenz erscheint wenig, könnte jedoch, über die Menge gesehen, das Meiste werden. Auch wenn die Ausstellung zurzeit geschlossen ist: Das Interesse an ihr ist groß, der Katalog – Checkliste, Handlungsanweisung und auf Stichworte fixiertes Manifest – geht demnächst in die zweite Auflage. Ein gutes Zeichen! Be. K.