Einfach (und) genial
Verwaltungsneubau der Stadtwerke, Lemgo
Der Neubau der Stadtwerke Lemgo ist wegen seiner funktionalen Organisation besonders wirtschaftlich. Der kompakte Baukörper von h.s.d. architekten wurde als Passivhaus geplant und zertifiziert.
Sanierung oder Neubau?
Die Stadtwerke Lemgo sind bekannt für ihre umweltfreundliche und hocheffiziente Energieerzeugung. Schon seit 50 Jahren wird hier durch Kraft-Wärme-Kopplung Strom und Wärme erzeugt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu zwingend, dass die Stadtwerke für ihren Verwaltungsneubau eine energiesparende und klimafreundliche Bauweise wählten.
Die alten Bestandsgebäude der Verwaltung waren über Jahrzehnte hinweg in mehreren Bauabschnitten entstanden. Sie wiesen erhebliche Brandschutzmängel auf und entsprachen den heutigen Energiestandards in keinster Weise. Ungedämmte Fassaden und Dächer trieben die Heizkosten in die Höhe und die verwinkelten Flure waren wegen der vielen Niveauunterschiede nicht behindertengerecht. Eine Sanierung rechnete sich nicht, ermittelten die Stadtwerke. Ein ähnlich kostenintensiver Neubau würde 50 % weniger Betriebskosten verursachen und zudem sogar Raumreserven bereit halten.
Ökologische Vorbildfunktion
Man entschied sich dafür, das klassizistische Hauptgebäude mit anschließender Maschinenhalle an der Straßenecke zu erhalten und ihm einen Neubau für Vertrieb und Kundenzentrum an die Seite zu stellen. In einem Wettbewerb wurden architektonische Lösungen gesucht und gefunden. Der Entwurf von h.s.d. architekten aus Lemgo gewann den 3. Preis und überzeugte in der Nachbearbeitung u.a. wegen seiner Funktionalität und seiner kompakten Bauweise als wirtschaftlichste Version. In einem langen Abstimmungsprozess wurden anschließend unterschiedliche Varianten untersucht und zu den Themenschwerpunkten Heizen, Kühlen, Klimatisierung auf Herz und Nieren geprüft. Die Entscheidung der Bauherren fiel letztendlich auf die Lösung „zertifiziertes Passivhaus“ – als Vorreiter in der Region und als Vorbildwirkung für die Stadtwerke.
Kompaktheit
Wesentliches Gestaltungsmerkmal des Entwurfs von h.s.d. architekten ist das Gegenüber von Alt und Neu. Mit dem dreigeschossigen Riegel setzen sie die im Stadtraum typische pavillonartige Bebauung fort und nehmen die Maßstäblichkeit der historischen Villa auf. Der kompakte Baukörper mit seinem günstigen A/V Verhältnis hat die Form eines leicht verschobenen Quaders mit abgerundeten Ecken. Diese Geometrie, die schräg verlaufende Platzfassade und die Tatsache, dass der Baukörper sich mit seiner größeren Baumasse zur Straßenrückseite wendet, lassen ihn kleiner erscheinen als er ist. Er eckt nicht an und drängt den Altbau nicht in den Hintergrund. Seine Attika nimmt rücksichtsvoll die Traufhöhe der historischen Villa auf. Der Neubau ordnet sich unter – und behauptet gleichzeitig mit seiner identitätsstiftenden Architektursprache selbstbewusst seine Eigenständigkeit.
Die Fassade gibt dem Neubau eine den Stadtwerken angemessene, technische und dynamische Ausstrahlung. Die Putzfassade in dunklem Anthrazit-Grau wird von horizontalen Fensterbändern ge-gliedert, die von plastisch stark betonten, weißen Rahmen eingefasst sind. Die in dieser Dunkelheit und Farbintensität erst seit Kurzem ausführbare Wärmedämmverbundfassade betont den Kontrast zur hellen Putzfassade des Altbaus. Die breite Umrahmung der Fensterbänder integriert den außen liegenden Sonnenschutz und den horizontalen Fensteranschluss an die Fassadenkonstruktion.
Funktionalität
Wie ein Band windet sich auf jeder Geschossebene ein Strang von dicht aneinandergereihten Büroräumen um einen massiven Kern, in dem alle Funktions- und Technikräume Platz finden. In der Fuge zwischen Alt- und Neubau entsteht dadurch ein kleiner Platz, der ganz selbstverständlich das neue Entree der Stadtwerke formuliert. Durch ein kubusförmiges Portal betritt der Besucher das Foyer des Kundenzentrums, das alle Geschosse miteinander verbindet und bis unter das Dach geöffnet ist. Zwei weitere Eingangsportale erschließen die Kundenräume der Sparkasse bzw. dienen als Zugang für die Mitarbeiter der Stadtwerke.
Die Verflechtung der Geschosse zwischen Alt- und Neubau im Split-Level-System schafft einen funktionalen Verwaltungsbau mit sehr kurzen Wegen. Das bis ins Dach offene Foyer gestattet die übersichtliche Orientierung sowohl in die Neubauflächen als auch über eine offene Treppe in den bestehenden Verwaltungsteil hinein. Treppen und Lufträume verbinden die Geschosse miteinander und unterstützen die innerbetriebliche Kommunikation. Das Gebäude ist barrierefrei nach DIN 18024-1. Die Erreichbarkeit der Obergeschosse für Rollstuhlfahrer wird über je eine Aufzugsanlage in den beiden Bauteilen gesichert.
Konstruktion
Für das Fundament mussten wegen des ortstypisch schluffigen Baugrunds zunächst 400 Mörtelpfähle eingebracht werden, um die Tragfähigkeit des Bodens zu verbessern. Eine wirtschaftliche Stahlbetonkonstruktion aus Stahlbetonstützen und –decken mit gemauerten Flur- und Außenwänden aus Porenbeton dient als primäres Tragsystem. Lediglich im Bereich des Entrees wurden die Wände aus Stahlbeton erstellt. Die Büroräume erhielten Trennwände in Trockenbauweise. Alle Außenwände wurden zusätzlich mit einem Wärmedämmverbundsystem gedämmt. Die Pfosten-Riegel-Konstruktion der Fensterbänder besteht aus festverglasten Elementen mit schmalen Öffnungsflügeln für jeden Büroraum.
Energiekonzept
Dreifachverglasungen, Rund-Um-Wärmedämmung der Gebäudehülle und eine wärmebrückenminimierte Konstruktion sind die wesentlichen Bausteine des Energiekonzepts eines Passivhauses. In den Büroräumen der Stadtwerke regelt eine zentral gesteuerte Komfortlüftung den Austausch von verbrauchter Büroluft durch die Zufuhr von vortemperierter Frischluft. Durch das Prinzip der Wärmerückgewinnung wird dafür gesorgt, dass die in der Abluft enthaltene Wärmeenergie nicht verloren geht. Aus arbeitsmedizinischer Sicht empfiehlt sich diese Art der Komfortlüftung wegen der beständig guten Luftqualität. Das angenehme Raumklima ist mitarbeiterfreundlich und der hohe Frischluftanteil fördert konzentriertes Arbeiten.
Beim Neubau der Stadtwerke werden zusätzlich die unverkleideten Betondecken des Bürohauses für die Temperierung der Büroräume als thermische Speichermasse genutzt. Dem kommt zugute, dass bei einem Bürohaus die in der Regel gleichbleibende Nutzerfrequenz der Räume einen konstanten, gut zu regelnden Temperaturbedarf garantiert. Das System der Betonkernaktivierung wird sowohl zum Kühlen als auch zum Heizen bei Spitzenlasten herangezogen. Die dafür notwendige Energie wird im Falle der Kühlung über zehn Erdsonden, im Heizfall über die Fernwärmeleitungen der Stadtwerke bereitgestellt. Präsenzmeldern erfassen, ob sich Personen im Raum aufhalten und messen den Tageslichteinfall. Bei entsprechenden Lichtverhältnissen wird das Licht automatisch ein- bzw. ausgeschaltet. Die Stromgewinne aus der auf dem Dach aufgestellten Photovoltaikanlage werden in das Netz eingespeist. Sie sorgen rein rechnerisch dafür, dass das Gebäude als Nullenergiehaus eingestuft werden könnte.
Wie schon bei der Gestaltung der Fassade legten die Architekten viel Wert darauf, die technischen Bauteile in die Architektur zu integrieren. In den Bürotrakten sind alle Technikelemente in dem 25cm hohen Doppelboden verborgen. Alle Steckdosen für Strom und EDV befinden sich im Fußboden. In jedem Büroraum sorgt ein Drallauslass im Boden für die Versorgung mit Zuluft. Die Abluft wird durch schmale Überstromschlitze über den Türen abgeführt und in der Wand durch Entschleunigung schallgedämmt. Aus einer gegenüberliegenden Schlitzöffnung strömt die Luft dann in den Flur und wird dort über eine Schattenfuge zwischen Wand und Decke abgesaugt. Von dort geht die Abluft durch Kanäle zum Wärmeübertrager im Technikraum und schließlich als Fortluft nach draußen.
Problematisch für die Energieeffizienz und die Zertifizierung als Passivhaus erwiesen sich allein die Kontoauszugsdrucker und Geldautomaten im Kundencenter der Sparkasse im Erdgeschoss. Noch sind offensichtlich keine stromsparenden und passivhaustauglichen Geräte auf dem Markt. Die High-End-Stromverbraucher sollen bei sich bietender Gelegenheit gegen effizientere Geräte ausgetauscht werden. Trotzdem versprechen die Berechnungen schon jetzt eine gewaltige Energieersparnis – der Neubau wird nur 10 % vom Energiebedarf des Altbaus benötigen.