Entwurf für ein
Plusenergiehaus –
das +++Haus

Aufbauend auf dem Ergebnis eines von der Stadt Dortmund initiierten Wettbewerbs für Plusenergiehäuser wurde der erstplatzierte Entwurf durch das Architektur Contor Müller Schlüter und die Gertec Ingenieurgesellschaft mit Hilfe von Fördermitteln der Bundesstiftung Umwelt weiterentwickelt. Das Ergebnis ist ein Konzept, das versucht, die Lücke zwischen kostspieligen, wissenschaftlichen Leuchtturmprojekten und der oftmals stark dahinter zurückbleibenden baulichen Praxis
zu schließen.

Eigentlich ist der Sachverhalt eindeutig: Wenn wir die globalen Klimaschutzziele auch nur ansatzweise erreichen wollen, müssen wir die Auswirkungen unseres täglichen, persönlichen Konsums drastisch reduzieren und auf ein für unseren Planeten langfristig verträgliches Niveau bringen. Ausschließlich das zu verbrauchen, was unser Ökosystem sowohl kurz- als auch langfristig in der Lage ist, für uns bereitzustellen, ist die Grundlagen jeden nachhaltigen Handelns. Wenn diese Bestrebungen zu dauerhaften Lösungen führen und die Lasten noch dazu gerecht verteilt werden sollen, wird dies allerdings nicht ohne massive Eingriffe in die Gewohnheiten eines jeden Einzelnen möglich sein.

Schaut man sich den Nachhaltigkeitsdiskurs an, so stellt man – auch abseits der bekannten, postfaktischen Filterblasen – eine kollektive Form der Verdrängung dieser schmerzhaften Erkenntnis fest. Allzu oft verlieren wir uns im Glauben daran, die Klimaprobleme ausschließlich mit technologischem Fortschritt, Effizienzsteigerungen, Emissionszertifikatehandel oder anderen einfachen Maßnahmen lösen zu können. Ein „Weiter so wie bisher, nur eben besser!“ scheint vielfach die vorherrschende Strategie zu sein.

Schaut man genauer hin, erkennt man, dass es in der Regel noch nicht einmal bei einem „Weiter so“ bleibt. So steigt bspw. der Flächenbedarf pro Kopf seit Jahren kontinuierlich an, Automodelle werden mit jeder neuen Version größer statt kleiner. Die Treibhausgas-Emissionen sind in Deutschland seit 2009 nicht mehr nennenswert gesunken, sondern liegen auf einem mehr oder weniger konstanten Niveau. Ein zu Grunde liegendes Phänomen ist unter dem Begriff des Rebound-Effekts bekannt und erforscht.

Die Grundlage des Plusenergiehausentwurfs +++Haus, der vom Architektur Contor Müller Schlüter (ACMS) aus Wuppertal zusammen mit der Gertec Ingenieurgesellschaft weiterentwickelt wurde, ist die Typo-
logie des Einfamilienhauses. Dies mag
einerseits verwundern, da die hiermit verbundene Siedlungs- und Gebäudeform den oben beschriebenen Nachhaltigkeitsbestrebungen zunächst grundsätzlich und strukturell zuwiderläuft. Andererseits stellt man jedoch fest, dass es sich gerade bei Einfamilienhäusern in Deutschland (und den meisten anderen Ländern zumindest der westlichen Welt) um die am weitesten verbreitete Wohnform handelt, die unzweifelhaft den Idealvorstellungen einer breiten Mehrheit der Bevölkerung zu entsprechen scheint. Eine Bereitschaft, diese Vorstellungen aufzugeben, ist auch in nähe-
rer Zukunft nicht zu erwarten. An diesem Punkt setzt das +++Haus an.

Was will das +++Haus?

Das +++Haus soll eine hohe Lebensqualität
ermöglichen, die dauerhaft und auch bei ganzheitlicher Betrachtung im Lebenszyklus nicht zu Lasten der Umwelt geht. Herauszufinden, wie diesem Ziel am wirtschaftlichsten nahe-
gekommen werden kann, war die konkrete Aufgabe des Forschungs- und Entwicklungsprojekts. Dafür wurden Ziele in vier Bereichen definiert. Die ersten beiden Themenfelder
beschreiben Entwurfsaspekte, die gewisser-maßen als Grundvoraussetzung gelöst werden müssen, damit es überhaupt Sinn macht, sich mit den anderen beiden Themenfeldern im
Detail zu beschäftigen.

Flexibilität

Für die nachhaltige Nutzbarkeit eines Gebäudes ist von entscheidender Bedeutung, dass es sich flexibel an die Bedürfnisse der Bewohner anpassen lässt. Flexibilität wird vielfach gefordert und ist in der Theorie grundsätzlich toll. In der Praxis scheitert sie in der Regel allerdings an dem zu hohen Aufwand und der Bequemlichkeit. Insbesondere Einfamilienhäuser weisen daher für weite Teile der Nutzungsphase wenig sinnvolle Überkapazitäten auf. Eine Flexibilität, die schlicht darauf basiert, alle Even-tualitäten mit Reserven abzudecken, die im Normalfall jedoch nicht benötigt werden, ist verschwenderisch und kann kaum als nachhaltig bezeichnet werden. Das +++Haus lässt sich daher in seinem Inneren extrem einfach so anpassen, dass sowohl die Anforderungen eines Singlehaushalts als auch die einer vierköpfigen Familie komfortabel erfüllt werden. Die Anpassung der Raumstruktur von bspw. einem doppelgeschossigen Loftcharakter zu einem Maximum an Individualräumen lässt sich mit durchschnittlichem, handwerklichem Geschick und mit geringem Aufwand auch in
Eigenleistung der Nutzer herstellen. All dies geschieht in einem extrem kompakten Gebäudevolumen.

Ästhetik und Funktionalität

Häuser werden nicht gebaut, um Energie zu sparen oder sich positiv auf die Umwelt aus­zuwirken, sondern damit sich Menschen in ihnen wohlfühlen. Kein Mensch will ernsthaft in einem Objekt wohnen, das sich zwar ggf. nicht negativ auf die Umwelt auswirkt, mit dem eine Identifikation aber schon aufgrund des Erscheinungsbildes schwerfällt und/oder dessen Benutzung unpraktisch ist. Das +++Haus will daher in ers­ter Linie durch hohe Ästhetik und große Funktionalität überzeugen. Dies mani-
festiert sich insbesondere in der Auswahl von Materialien sowie gut strukturierten Grundrissen mit einem extrem geringen Verkehrsflächenanteil.

Umweltverträglichkeit

Die Wärme- und Stromversorgung von Wohngebäuden ist in Deutschland für fast ein Viertel der  Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig bleibt die Beschäftigung mit dem Energiebedarf eines Gebäudes nur ein Blick durchs Schlüsselloch. Die Umweltauswirkun-gen lassen sich durch diese Größe nur sehr unvollständig abschätzen. Eine Einbeziehung der Herstellungsprozesse ist zudem nur schwer möglich. Aus diesem Grund ist die anfängliche Beschäftigung mit dem Energiebedarf im Projektverlauf immer weiter zu Gunsten einer Betrachtung der Ökobilanz des Gebäudes gewichen. Die direkten und indirekten Auswirkun-

gen des +++Hauses auf die Umwelt wurden über den gesamten Lebenszyklus hinweg so reduziert, dass sie dem Ziel, für unseren Planeten langfristig verträglich zu sein, deutlich näher kommen.

Bezahlbarkeit 

Der überwiegende Teil der Bevölkerung hält es für wichtig, sich umweltbewusst zu verhalten.Allerdings ist gleichzeitig nur ein verschwindend geringer Anteil der Bevölkerung bereit, hierfür nennenswerte Mehrkosten zu akzeptieren. Das +++Haus ist daher vor allem bezahlbar. Die Errichtung soll nicht mehr als ein durchschnittliches Einfamilienhaus in herkömmlicher Größe und Bauweise kosten.

Wonach beurteilen wir, was nachhaltig ist?

Müllverbrennungsanlagen haben mitunter
einen Primärenergiefaktor von 0,0. Haben wir das Klimaproblem also gelöst, wenn wir nur genügend MVA bauen?

Welches Gebäude hat die geringeren Auswirkungen auf unser Ökosystem? Eine vergleichsweise kleine Geschosswohnung in einem mittelmäßig gedämmten Bestandsgebäude, in der eine sechsköpfige Familie wohnt, oder eine riesige, hochgedämmte Neubauvilla, in der nur eine Person lebt? Drückt der Energiebedarf pro Quadratmeter, der als Bemessungsgröße zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wird, dies tatsächlich korrekt aus?

Die Bauwirtschaft ist mit ca. 40 % für einen Großteil der bundesdeutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Überwiegend sind die Emissionen zudem nicht energie-, sondern prozessbedingt. Ist es vor diesem Hintergrund tatsächlich sinnvoll, sich bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit von Gebäuden nur auf den Energieverbrauch in der Nutzung zu fokussieren und zu glauben, dass wir das Klimaproblem
lösen können, wenn wir nur „endlich“ einen klimaneutralen Energieträger finden?

Die Beispiele veranschaulichen, dass die etablierten, flächenbezogenen Bewertungsmaßstäbe von Primär- und Endenergiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche für eine ganzheitliche Bewertung über alle Lebenszyklusphasen nicht nur völlig ungeeignet sind,
sondern teilweise sogar dazu beitragen, dass negative bzw. kontraproduktive Anreize gesetzt werden. Die Bewertung der Nachhaltigkeit in Bezug auf die Gebäudefläche ist nicht nur falsch, sondern vor allem auch ungerecht. Hier ist eine Betrachtung pro Person (Verursacher) sinnvoll. Für eine ganzheitliche Betrachtung ist zudem die Erstellung von Ökobilanzen und somit eine direkte Bewertung der Umweltwirkungen unabdingbar. Vor dem Hintergrund der Komplexität der hierfür zu verarbeitenden Datensätze ist es übergangsweise hilfreich, sich vorwiegend mit dem Treibhaus­potential als Leitgröße zu beschäftigen.

Warum kann es CO2-Neutralität nicht geben?

Dass auch die Bewertung unter dem Gesichtspunkt von Ökobilanzen nicht ganz unproblematisch ist, zeigt sich am Beispiel des Begriffs der CO2-Neutralität: Brutal ausgedrückt kann ein Gebäude erst dann ernsthaft CO2-neutral sein, wenn es gar nicht gebaut wird. Ein Mensch kann erst dann CO2-neutral sein, wenn er aufhört zu ­atmen, was nicht das erklärte Ziel sein kann. Dennoch wird der Begriff der vermeintlichen CO2-Neutralität inzwischen nahezu inflationär gebraucht.

Wenn wir uns die vermeintliche CO2-Neutralität z. B. eines Transatlantikflugs damit erkaufen, dass wir durch Ausgleichszahlungen dafür sorgen, dass jemand anders seinen
Energiebedarf aus nachwachsenden Rohstoffen deckt, mag das aus bilanziel­ler Sicht zunächst korrekt sein − nachhaltig im Sinne von „tatsächlich langfristig wirksam“ ist es allerdings schon deshalb nicht, weil das Prinzip nur so lange funktioniert, wie es andere Personen gibt, deren Einfluss wir durch unser Handeln po­sitiv beeinflussen können.
Sobald sich ein Großteil der Menschheit den globalen Nachhaltigkeitszielen entsprechend verhält, kann der Effekt nicht mehr erzielt werden und das „Bilanzkartenhaus“ bricht in sich zusammen.

Daher kann es gar nicht um CO2-Neutralität gehen. Wir müssen uns vielmehr daran orientieren, welche Treibhausgas-Emissionen unser Planet verkraftet und wie sie global gerecht verteilt werden können. In Deutschland liegen die Treibhausgas-Emissionen pro Kopf aktuell je nach Quelle bei ca. 10 t/a, wobei ca. 2,0 − 2,5  t/a als verträglich für unser Ökosys-tem gelten. Somit muss auch für Bauen, Herstellung und Unterhalt von Wohnraum das Ziel sein, die Treibhaus-Emissionen um mindestens diesen Faktor zu senken.

Was bedeutet das für die Gebäudekonstruktion?

Der Ersatz von emissionsintensiven Baustoffen erweist sich als wichtigste Strategie, um die Umweltwirkungen aus der Herstellung von Gebäuden drastisch zu reduzieren. Danach kommt der Verwendung von Mate­rialien, die eine möglichst hohe Lebensdauer von Bauteilen ermöglichen, eine große Bedeutung zu.

Ökobilanzen bergen bei der reinen Fixierung auf Treibhausgaspotentiale allerdings durchaus die Gefahr, dass Anreize für einen übermäßigen Materialeinsatz von nachwachsenden Rohstoffen gesehen werden. Durch die Nutzung von Holz als Baustoff wird der Umwelt zunächst das im Material gespeicherte CO2 entzogen. Daher wirkt sich Holz zunächst senkend auf den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes aus. In der Entsorgungsphase wird das CO2 allerdings dem Stoffkreislauf wieder zugeführt, der CO2-Fußabdruck wächst also wieder. Abhängig vom Entsorgungsszenario können zwar Gutschriften
vorgenommen werden: Im Falle einer thermischen Verwertung ersetzt das Holz dann bspw. einen fossilen Brennstoff. In der Summe ergibt sich eine negative CO2-Emission von Holz, die bei genauerer Betrachtung allerdings nur solange Bestand hat, wie fossile Energieträger verdrängt werden können. Dies kann dazu führen, dass ein übermäßiger Holzeinsatz die Gebäudebilanz kurzfris-tig vorteilhafter erscheinen lässt, als gerechtfertigt wäre. Materialsparsamkeit ist daher weiterhin als oberstes Prinzip für nachhaltiges Bauen zu gewährleisten. Zur Erhaltung der Nachnutzbarkeit von Ma­terialien sollten zudem die Kombination und die Verbindung von unterschiedlichen Materialien zwingend so erfolgen, dass sie ohne großen Aufwand wieder getrennt werden können. Diese „blinden Flecken“ in den Ökobilanzen gilt es in Zukunft zu beseitigen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich bei dem +++Haus ­allein über Konstruktion und Bauweise die CO2-Emissionen um ca. 23 % reduzieren lassen.

Was bedeutet das für die Gebäudetechnik? Der Wahl des Energieträgers kommt im Vergleich zur Gebäudekonstruktion eine noch größere Bedeutung zu. Im Rahmen des Projekts wurden verschiedene Technologien von Gasbrennwertkessel, Solarthermie, Luftwärmepumpen, Erdwärmepumpen und Photovoltaik in unterschiedlichen Kombinationen untersucht. Im Ergebnis muss es primär darum gehen, fossile Energieträger durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen. Über die Wahl des Energie- und Technikkonzepts lassen sich im +++Haus die CO2-Emissionen um über 40 % reduzieren.

Fazit

Die zur Erreichung von ganzheitlich umweltverträglichen Gebäudekonzepten erforderli­chen Schritte lassen eindeutig gewichten. Im Planungsprozess empfiehlt es sich daher, sie mit der folgenden Priorität zu berücksichtigen:

1. Aufbauend auf dem heute üblichen hohen Dämmstandard ist als erster wichtigster Schritt ein weitgehend emissionsarmes Technikkonzept möglichst ohne fossile Energieträger zu wählen, um so die CO2-Emissionen in der Nutzungsphase zu reduzieren.

2. Hiernach ist es von entscheidender Bedeutung, durch Vermeidung von emissionsintensiven Baustoffen auch die aus der Konstruktion resultierenden CO2-Emissionen zu minimieren. Im Klartext bedeutet das die Vermeidung massiver Bauweisen.

3. Im letzten Schritt ist es erforderlich, durch weitergehende Optimierungen und/oder Kompensationsmaßnahmen die Gesamt­emissionen des Gebäudes auf ein um-

weltverträgliches Niveau abzusenken.

Um die so erzielten Ergebnisse nicht zu konterkarieren, ist es abschließend von entscheiden-der Bedeutung, dass der Gebäudeentwurf im Lauf des Entwurfsprozesses im besten Fall kleiner – auf keinen Fall aber größer geworden ist. Umweltwirkungen lassen sich schlichtweg durch nichts effektiver reduzieren, als durch die Minimierung der Gebäudegröße. Daher sollte grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob ein Gebäude wirklich nur so groß ist, wie es seine beabsichtigte Funktion erfordert und ob die eingangs genannten Anforderungen an Funk-tionalität und Ästhetik, Flexibilität sowie Bezahlbarkeit erfüllt werden.

Das +++Haus beantwortet diese Fragen mit einem Kubus (Außenmaße von 9 x 9 m, Höhe 6,5 m), in dem eine Nutzfläche von max. 120 m² realisiert werden kann. Auf dieser Fläche lassen sich neben Koch-, Ess- und Wohnbereich bis zu vier Individualräume und zwei Nasszellen realisieren. Die maximale Belegungsdichte liegt bei fünf Personen. Die Verkehrsflächen wurden dafür auf ein absolutes Minimum reduziert. Die gesamte Technik wurde in die erweiterte Gebäudehülle integriert, sodass eine tatsächliche Flexibilität im Innenraum ohne Änderung der Haustechnik ermöglicht wird. Auf Verklebungen in der Bauteilfügung wurde verzichtet. Ebenso wurde die Anzahl der zum Einsatz kommenden Materialien minimiert und auf Kombinationen verzichtet, die sich derzeit am Lebensende nicht wirtschaftlich trennen lassen. Die Kosten für das +++Haus liegen je nach Variante zwischen 160 000 € und 200 000 € (Kostenbasis 2015) und damit im Bereich der in diesem Segment üblichen Baupreise. Die Treibhausgas-Emissionen für die Herstellung und 50-jährige Nutzung des +++Hauses liegen absolut je nach Varianten im Bereich von 33 − 59  t CO2-äquivalent. Das entspricht bei mittlerer Belegungsdichte von 2,8 Personen einer personenbezogenen Emission von 0,24 − 0,42 t CO2-äquivalent/(Person und Jahr). Dies wiederum entspricht ca. 10 − 17 % des personenbezoge-nen umweltverträglichen CO2-Fußabdrucks. Die Referenzvariante lag mit Emissionen von ca. 165 t CO2-äquivalent um einen Faktor von 2,8 bis 5,0 höher.

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