Erhalt ist eine Lösung
Scheune, Minden

Abriss! Neubau! Das ist der bevorzugte Umgang mit alter Bausubstanz. Oder man sieht das Potential, das Gebäude mit den heutigen technischen Möglichkeiten zu erhalten.

„Großes Grundstück, kleiner Preis. Doch keiner wollte es haben. Denn alle sahen nur Arbeit darin“, sagt Schreinermeister Alfred Wirtz. Dass Alfred Wirtz das Potential des zugewachsenen Grundstücks und der verwitterten Scheune darauf erkannte, liegt an seiner Erfahrung und daran, dass sein Cousin Roger Wirtz, Architekt und Büroinhaber bei STEIN HEMMES WIRTZ, derselben Ansicht war. Und so entschied sich Alfred Wirtz, das Grundstück samt Gebäude zu kaufen. Direkt an der luxemburgischen Grenze in Minden gelegen, war das Profangebäude Jahrzehnte ein Stall für Kühe, Schweine und Kleinvieh. Zunächst nutzte es Schreinermeister Wirtz als Lager. Sukzessive bauten es die Cousins Wirtz über vier Jahre gemeinsam zu einem Vorzeigeprojekt in der Region Südeiffel um.  Die lange Bauzeit empfindet Architekt Roger Wirtz als positiv: „Dann kann etwas entstehen.“ Kaum mehr als einmal im Jahr kam der Architekt auf die Baustelle. „Wenn ich hier her kam, dachte ich mir: Cool, das passt“, sagt der Architekt über den Bauprozess.

Anspruch

Der größte Anspruch war von Anfang an, den Bestand zu erhalten, soweit es möglich war, und ihn sinnvoll zu ergänzen. „Wir wollten unbedingt das ortstypische Erscheinungsbild erhalten“, sagt Alfred Wirtz. Das bedeutet für eine Scheune an der luxemburgischen Grenze z. B. die Dreiteilung, markiert durch drei Türen, zu bewahren, die die ursprüngliche Nutzung weiterhin sichtbar macht. Die linke Tür war ehemals der Zugang zum Kuhstall, in der Mitte befand sich die höher gelegene Futtergasse und rechts das Kleinvieh und die Schweine. Zudem wollten Alfred und Roger Wirtz das Raumvolumen erhalten. Sie entkernten das Gebäude bis auf seine Außenmauern. Aufgrund des Fundaments – das Gebäude ist auf Fels gebaut – waren die Mauern auch nach knapp 100 Jahren noch rechtwinklig und maßhaltig. „Die abgetragenen Steine sind direkt recycelt worden“, sagt Alfred Wirtz. „Alles, was wir an Materialien wiederverwenden konnten, haben wir wiederverwendet.“ Die Steine stützen nun die
Böschung entlang der Süd- und Westseite des Gebäudes.

Lösung

Man betritt das zweigeschossige Gebäude über die rechte Tür. Im Erdgeschoss befinden sich eine 1-Raum-Wohnung mit separatem Eingang – linke Tür –, Küche, Bad sowie zwei Abstellräume und die Diele. Von dort führt eine skulpturale Holztreppe aus Eiche in das obere Geschoss. Dort eröffnet sich Besuchern ein 6,50 m hoher Raum, den die Architekten unbedingt erhalten wollten. „Man bekommt einen Raum geschenkt, den man heutzutage vom Raumvolumen so nicht mehr unbedingt bauen würde“, sagt Architekt Roger Wirtz. Die Idee: Ein Raummöbel gliedert die ehemalige Scheune. Das Raummöbel hat Alfred Wirtz selbst angefertigt, selbstverständlich aus Eichenfurnier – „das ist Berufsethos“, sagt der Schreinermeister lächelnd. Der Wandaufbau: Gipskarton, 15 mm OSB-Platte, Holzständerwerk mit 100 mm Dämmung, 15 mm OSB-Platte, als Abschluss Eichenfurnier. Hinter den Eichentüren befinden sich ein Schlafzimmer, ein Bad und eine Toilette. So bleibt der stützenfreie, lichtdurchflutete Raum erhalten. Das Halbgeschoss des Möbels gliedert den offenen Raum nochmals, indem auf der oberen Ebene eine Galerie entsteht.

Erneuerung

Um das Gebäude tragwerkstechnisch zu stabilisieren,
intervenierten die Planer maßgeblich an drei Punkten im Gebäude. Zunächst kofferten sie den Boden im Erd­geschoss 16 cm tief aus, bauten eine wasserführende Schicht ein, eine 120 mm Perimeter-Dämmung, eine Fußbodenheizung und einen neuen Bodenbelag. Quadrati-sche Sandsteinplatten einer alten Scheune aus dem Nachbardorf verwendeten Wirtz hier.

Danach erneuerten sie das Dach: Der Ringbalken und das Sprengwerk wurden ersetzt. Als die Bodenplatte und der Ringbalken erneuert waren, konnte eine neue Betondecke die ehemalige Stahlkonstruktion und die darauf aufliegende Kappendecke ersetzen. Gegen den Erhalt der Stahlkonstruktion und der Kappendecke sprachen die starken Schwingungen. Architekt Wirtz ist von der Betonqualität der Decke im Erdgeschoss begeistert: ein lebendiges Schalbild in Ortbeton mit scharfen Kanten.

Die Dörfer in der Eifel sind durch die engstehenden Wirtschafts- und Wohngebäude geprägt. Von außen wollten Architekt und Schreinermeister den Charakter des Hauses bewahren. Lediglich drei Fenster haben die Planer ergänzt. Sonst ist die dorfbildprägende Fassade zur Straßenseite wie die ehemaligen Wirtschaftsgebäude aufgeteilt. Die Fenster sind zwar ausgetauscht worden, aber den alten Stallfenstern nachempfunden. Die „alten“ Fenster waren Stahlfenster, deren oberer Teil gekippt werden konnte. Deren Aufteilung ist durch die Sprossen erhalten, wie zuvor ist die Quersprosse breiter. Dass Holzfenster verwendet wurden, ist darauf zurückzuführen, dass das Projekt mit ca. 17 000 € gefördert wurde. Die Kreisverwaltung stellte Mittel zur Dorferneuerung zur Verfügung. Daraus ergaben sich gewisse Anforderungen, zum Beispiel, dass die Fenster aus Holz gefertigt werden sollten. Es fällt auf, dass die Fenster in ihrer Höhe niedrig sind. Das zeigt im Innenraum jedoch die Sorgfalt, mit der die Architekten den Bestand analysiert haben.

Die Kreisverwaltung war ein konstruktiver Begleiter. Die Fenstergestaltung ist mit der Behörde gemeinsam entstanden. Die Ideen des Architekten und des Schreiners wurden begeistert aufgenommen. „Bei den Punkten, bei denen man unterschiedlicher Meinung war, fand man dann schnell zueinander“, sagt Alfred Wirtz. In den ursprünglichen Plänen war ein Außenkamin in Edelstahl an der Nordseite des Gebäudes vorgesehen. Dieser wurde von der Kreisverwaltung abgelehnt. Denn ortstypisch ist, dass der Kamin verputzt ist und aus dem Dach austritt. Das tut er nun. Er sitzt innen – in einer Nische.

Weniger ist mehr

Die 50 cm dicken Bestandsmauern wurden mit 16 cm WDVS ertüchtigt, darauf ein 2 cm dicker, mineralischer Putz aufgebracht. Der Wandverlauf sollte trotzdem eher natürlich und nicht zu geradlinig verlaufen. Deswegen wurde ohne Eckschienen verputzt, die eine Richtung vorgeben. Wirtz´ setzten stark auf das Können und die Erfahrung der Handwerker. Das Vertrauen der beiden Cousins in das Handwerk erkennt man auch an den vorhandenen Plänen. „Es war das schlankste Projekt, das ich überhaupt in meinem Büro hatte“, sagt Architekt Wirtz. Die Pläne für den Bauantrag im Maßstab 1 : 100 sind die einzigen, die für das Projekt gezeichnet wurden. Detailzeichnungen waren Handskizzen, die man kurz aufs Fax legen konnte. Des Weiteren gab es ein Materialkonzept, das Holz als Hauptmaterial vorsah und weiß gestrichene Wände.

Generell waren Detailausbildungen jedoch äußerst wichtig. Die Fensterbänke sind eigens von einem Spengler aus Zinkblech hergestellt worden. „Bei den Details haben wir die handwerkliche Komponente hervorgehoben“, sagt Architekt Roger Wirtz. Die Handwerker kennt Alfred Wirtz alle persönlich. „Lösungen wurden mit den Handwerkern persönlich besprochen“, sagt Schreiner Alfred Wirtz. Für den Ortgang jedoch bedienten sie sich eines Industrieprodukts. Es ist die Kombination von individuell angefertigten Konfektionierungen und industriellen Produkten, die das Projekt maßvoll und als Einheit erscheinen lassen. „Wir denken nicht in Problemen, wir denken in Lösungen“, sagt Alfred Wirtz zum Schluss. Das sieht man dem Gebäude an. S.C.

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