Erinnerungslandschaft mit Systembruch
Eduard-Wallnöfer-Platz, Innsbruck /AT
Ausgestattet mit vier stark interpretationsbedürftigen Denkmälern, erwies sich der Eduard-Wallnöfer-Platz geschichtspolitisch als vermintes Gelände. Dennoch gelang es den Architekten durch eine Bodenplastik aus ehemals 9 000 m² Restfläche einen belebten städtischen Raum zu machen.
Entweder mit „Schneebrille“ oder mit „Blindenhund“, tönte in einer aktuellen Stunde des Tiroler Landtages im Mai 2011 ein Vertreter der Opposition, anders sei der Platz vor dem Landeshaus nach seiner Umgestaltung nicht zu ertragen. Dass der „neue“ Eduard-Wallnöfer-Platz auf politischen Widerstand stoßen würde, war den Beteiligten klar. Allzu abweichend von der gewohnten, eher konservativen Ästhetik präsentiert sich das sanfte, landschaftsähnliche Gelände. Allzu anders auch die vornehmlichen Nutzer des Geländes, die jugendliche Skater-Szene, der man bisher allenfalls Raum in der Peripherie gönnte. Dass die Reaktionen dann freilich so heftig ausfielen, hat wohl auch damit zu tun, dass die neue Gestaltung an die nach wie vor verschleppte Vergangenheitsaufarbeitung in der Alpenrepublik rührt.
„Das Projekt bindet die gesamten Flächen des Platzes und seine topographischen Akzente in einer homogen erscheinenden Oberfläche.“ Mit diesen Worten begann die Wettbewerbsjury im Jahre 2008 ihre Begründung, warum sie den Entwurf der Arbeitsgemeinschaft aus LAAC Architekten, dem Büro Stiefel Kramer Architecture und dem Künstler Christopher Grüner den ersten Preis zusprach. „Die feinen Farbnuancen der Platzoberfläche“, führte sie weiter aus, „erzeugen ein sehr reizvolles Bild“. Zuvor präsentierte sich der trapez-förmige Platz, der nie als Platz angelegt war, sondern nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs zufällig entstand, alles andere als reizvoll: eine 9 000 m² umfassende Restfläche im Herzen Innsbrucks, die in leiser Agonie als Treffpunkt der Dealer- und Obdachlosenszene dahindümpelte. Dies wollte die Landesregierung mit einem Wettbewerb ändern, wobei die Teilnehmer nicht nur mit dem Platzinhalt, sondern auch mit der Platzumfassung zu kämpfen hatten.
Weder die Gebäude, die die Kanten des Platzes bilden, noch deren Erdgeschoss-Nutzung konnten eine belebende Wirkung entfalten: z. B. das die Ostflanke bestimmende Gebäude für die Tiroler Wasserwerke, das jüngst einer energetischen Sanierung unterzogen wurde, welche die letzten Reste seiner subtilen 1950er-Jahre-Ästhetik unter einer grauen Thermohaut begrub. Interessanter ist die Nordseite des Platzes, an der sich das Landeshaus befindet, das u. a. die Tiroler Landesregierung beherbergt. Als Gauhaus wurde es 1938/39 erbaut, wobei der Mittelrisalit an Speers Berliner Reichskanzlei erinnert. Das Gebäude ist der größte und fast einzige Zeuge der NS-Baupolitik in Innsbruck, allerdings weist bis heute kein Schild auf seine Geschichte hin. Etwa 30 m südlich ließ Frankreich, das von 1945 bis zum Abschluss des Staatsvertrages 1955 Tirol besetzte, ein neoklassizistisches „Befreiungsdenkmal“ errichten. Die Innsbrucker aber, die das von Jean Pascaud, Major der französischen Militärregierung, entworfene Mahnmal zum Gedenken an die Tiroler Nazi-Opfer ausführen sollten, überformten es in einer christlich-heimatständigen Sprache. Dem Triumphbogen setzten sie einen fünf Meter hohen Bronze-Adler auf, verschlossen Zwischenräume mit schmiedeeisernen Gittern, wobei die stilisierten Wappen der neun österreichischen Bundesländer ein Kreuz bildeten, und beschrifteten es mit dem Satz „Pro Libertate Austriae Mortuis“ – Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen.
Ein buntes Sammelsurium diverser erinnerungspolitischer Ansätze
Die Ästhetik des Befreiungsdenkmals führte in der Folgezeit zu allerhand Missverständnissen. Weil es das Portal des Landhauses optisch verdoppelte, wurde es für ein Nazi-Denkmal gehalten. Dieser Eindruck verschärfte sich noch, weil es auch dem faschistischen Siegesdenkmal in Bozen ähnelt. In diesem Zusammenhang steht ein weiteres, 1963 aufgestelltes Denkmal auf dem Platz, das an die Übergabe des Landes Tirol an die österreichischen Herzöge im Jahr 1363 erinnert. Was heutzutage historisch belanglos wirkt, war Anfang der 1960er-Jahre eine hochpolitische Stellungnahme. Die UNO-Vollversammlung verabschiedete 1960 und 1961 eine Südtirol-Resolution, zudem war Innsbruck Rückzug für die anfangs auch von der Tiroler Landesregierung unterstützten Südtiroler „Bumser“, die erst Duce-Denkmäler und Strommasten sprengten, später Carabinieri und italienische Zollbeamte töteten. Die Einheit Tirols wurde auch im Material des Denkmals demonstriert: Die sechs Porphyrblöcke stammen aus Süd-, das sie flankierende Bronzeband aus Nordtirol. Nach der Unterhöhlung des ganzen Areals durch eine Tiefgarage 1980 feierte man die nächste Denkmaleinweihung 1998, als nach einem Schülerwettbewerb eine überlebensgroße Menora an die Ermordung von Innsbrucker Juden während der sogenannten Reichskristallnacht erinnern sollte. 1999 wurde dann noch ein „Vereinigungsbrunnen“ aufgestellt, der verschiedenen Eingemeindungen – die meisten davon während der NS-Zeit – gedenkt. Alles in allem also ein buntes Sammelsurium diverser erinnerungspolitischer Ansätze, die trotz der axialen Reihung relativ beziehungslos zwischen Rabatten und Rasen abgeladen wurden. Das Befreiungsdenkmal trennte darüber hinaus den Platz in zwei Teile.
Die Chance
„Die beruhigende Abstraktion eines derart prominent besetzten öffentlichen Raumes wird im umtriebigen Stadtgefüge als Chance gesehen.“ So nochmals die Wettbewerbsjury über den von ihr preisgekrönten Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft um LAAC.
Und in der Tat, diese Betonfläche mit ihren sanften Hügeln und Mulden, auf der insgesamt 35 Ahorne und ahorn-blättrige Platanen in Substratkoffern wachsen, verbindet den gesamten Platz zu einer urbanen Fläche. Ziel war es nie einen Park, sondern einen Platz so zu gestalten, dass er – der nur spärlich vorhandenen Qualität des Kontextes geschuldet – wegen seiner vielfältigen Nutzungen eine autonome Kraft entfalten kann. Der Platz sollte zu einer Einheit werden und die Denkmäler zwar nicht vom Sockel gehoben, aber doch ein wenig ihr Pathos gemildert werden. Der Umgang mit dem Befreiungsdenkmal, an dessen Stirnseiten die deutsche Übersetzung der lateinischen Inschrift sowie die Namen von 107 Tiroler Nazi-Opfern angebracht wurden, musste dabei sehr eng mit dem Landeskonservator und dem französischen Außenministerium – der Umgang mit Denkmälern der Alliierten ist im Staatsvertrag geregelt – abgestimmt werden. Die Architekten wollten eine Erinnerungslandschaft, in der die Denkmäler inhaltliche Schwerpunkte setzen, aber nicht dominieren. Dies kommt auch in der nächtlichen Beleuchtung zum Ausdruck, die die Fläche und die Bäume ins Licht setzt, während Denkmäler und Landeshaus im Dunkeln bleiben.
Dem mittlerweile erkennbar abgedunkelten Beton der „Bodenskulptur“ wurden als Zuschlagsstoffe schwarze, gelbe und weiße Granitsplitter beigefügt. Die fließenden Geometrien definieren nicht nur die Freischankflächen zweier gastronomischer Betriebe, sondern mal exponierte, mal geborgene Bereiche. Den Vereinigungsbrunnen integrierten die Architekten in eine abgetreppte, sanft geneigte Brunnenanlage, die wie das schwellenlose, von Sprinklern gespeiste Wasserspiel zwischen Befreiungsdenkmal und Landhaus zum bevorzugten Ort für Kleinkinder geworden ist. Die Hügel integrieren nicht nur die Zufahrt sowie die fünf als scharfkantige Einschnitte gestalteten Zugänge in die Tiefgarage, sondern bieten auch Platz zum Sitzen und Liegen. Die Betonoberfläche, die eine gute Selbstreinigungskraft aufweist, besteht aus maximal 10 m² großen Platten. Die Querkraftdorne, die in die Bewehrung eingebunden und im Abstand von 80 cm gesetzt wurden, erlauben den Ortbetonplatten eine witterungsbedingte Verformung in horizontaler, nicht aber in vertikaler Richtung. Über die Fugen läuft das Wasser ab und versickert vor Ort. Wegen der Tiefgarage wurden die mal konvex, mal konkav ansteigenden Hügel zuerst mit einer Schotterschicht aus leichtem Glasschaum geformt, dann mit einer bis zu 20 cm starken Schicht aus schnell abbindendem B7-Beton überzogen. Die geneigten Oberflächen wurden gefräst, die glatten Hügeloberflächen poliert und sandgestrahlt, so dass sie sich wie ein Terrazzo präsentieren. Um Events, Märkte oder Kulturaufführungen zu ermöglichen richteten die Architekten unter der Oberfläche zwischen Befreiungsdenkmal und Landeshaus diverse Installationen ein, die man über kaum sichtbare Klappen erreichen kann.
Neben diesen ganzen technischen Voraussetzungen für einen belebten Platz wurden bereits im Vorfeld der Realisierung Verhandlungen geführt, die man in Innsbruck als „Systembruch“ empfindet. Die Landesregierung ging auf die Skater-Szene zu und einigte sich mit ihr auf gewisse Verhaltensregeln – eine zivilgesellschaftliche Vereinbarung, getragen von Respekt und Empathie für alle Nutzer des Platzes. Gewisse Bereiche sind für die Skater tabu, Lärm- und Müllprobleme regeln sie selbst über Facebook. Nur im Umgang mit dem Befreiungsdenkmal fällt die inzwischen von einer anderen politischen Mehrheit getragene Landesregierung hinter einmal erreichte Positionen zurück. War die Öffnung der Gitter zwischen den Säulen bei der Fertigstellung im Frühjahr 2011 noch als Symbol für die „Offenheit der österreichischen Gesellschaft“ gefeiert worden, ließ man die Gitter mittlerweile wieder schließen – und das Kreuz strahlen. In der Landesverwaltung gibt es freilich derzeit Bestrebungen, die Gitter in einem 45°-Winkel wieder zu öffnen.