Für optimalen Brandschutz braucht es mehr als integrale Planung
Integrale Planung ist ein unumstrittenes Instrument, um große, komplexe Bauprojekte erfolgreich zu realisieren. Im Kern basiert die integrale Planung auf der Erkenntnis, dass die frühzeitige Einbindung aller am Projekt beteiligten Fachleute und Gewerke größtmöglichen Gestaltungsspielraum erhält und gleichzeitig maximale Qualität bei der Projektumsetzung und bestmögliche Effizienz in Betrieb und Unterhalt des Objektes gewährleistet. Über die reine fachliche Qualifikation hinaus sind im Rahmen der integralen Planung von den Beteiligten interdisziplinäres Denken und Handeln gefragt sowie kommunikative Fähigkeiten und dezidierter Kooperationswille. Nur so können die Projektverantwortlichen Planabweichungen frühzeitig erkennen und darauf reagieren, immer unter Berücksichtigung von Planungsziel, -zeitraum und -kosten. Soweit die Theorie.
Prozessbrüche erkennen!
In der Praxis gibt es aus Sicht des Brandschutzexperten allerdings neuralgische Punkte im Projektverlauf, die das Projekt bzw. den vorschriftsmäßigen Brandschutz gefährden können. Grundsätzlich ist der Brandschutz eine Aufgabe, die über den Planungs- und Bauprozess hinaus betrachtet und fortgeschrieben werden muss. Hier ergeben sich zusätzliche Bruchstellen, die Bauherren und Projektverantwortliche beachten bzw. kennen müssen, damit der Brandschutz über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes gewährleistet werden kann. Dies gilt insbesondere auch für Schulsanierungen und Schulneubauten, die als öffentliche Gebäude unter besonderer Beobachtung stehen.
Brandschutz braucht mehr als einen Brandschutzexperten
Im Projektverlauf – von der ersten Idee über die Bauausführung bis hin zum Betrieb des Gebäudes – kommt es immer wieder zu Brüchen, wodurch der optimale Brandschutz nicht mehr gewährleistet werden kann und Nutzer gefährdet sind. Dies ist oft schon zu Beginn des Projekts gegeben, wenn die Nutzer – im Schulbau also vor allem die Lehrer – sowie das pädagogisches Konzept nicht in den Planungsprozess einbezogen werden. Eine zweite Hürde für optimalen Brandschutz stellt der Übergang von der Planung zur Bauausführung dar. Im Projekt übergibt zu diesem Zeitpunkt häufig der Brandschutzplaner an die brandschutztechnische Fachbauleitung, was oft mit einem hohen Informationsverlust einhergeht. Auch der Übergang von der Bauausführung zum Betrieb birgt das Risiko hohen Informationsverlustes. Denn auch während der Nutzung selbst muss das Brandschutz
konzept konsequent umgesetzt werden.
Dieses Bewusstsein, aber auch die nötigen Kenntnisse, müssen an den Betreiber des Gebäudes vermittelt werden.
Schulzentrum Kuhberg, Ulm
Ein Projekt, in dem die integrale Planung des Brandschutzes ganzheitlich gedacht wurde, um solche Brüche zu vermeiden, ist das Sanierungsprojekt „Schulzentrum Kuhberg“ in Ulm. Das größte Schulzentrum Baden-Württembergs, bestehend aus vier Schulen mit insgesamt 8 000 Schülern, erfuhr in den letzten Jahren eine sukzessive Erweiterung sowie Sanierung der Gebäude. Insbesondere die Sanierung der beiden ältesten und größten Bestandsgebäude B1 (Baujahr 1965) mit insgesamt 17 Nutzungseinheiten sowie S1 (Baujahr 1977) mit vier Geschossen, ist hinsichtlich des Brandschutzes interessant. (Die Sanierung von B1 wurde abgeschlossen.
S1 befindet sich derzeit in der Bauphase, die Ende 2018 abgeschlossen sein wird.) Bei der Sanierung lag und liegt der Fokus auf der Erneuerung der Fassaden und der technischen Gebäudeausrüstung. Zudem soll der Energieverbrauch maßgeblich reduziert werden. Bis auf kleinere Maßnahmen der Raumneuaufteilung wurde das Raumprogramm in
seiner Grundstruktur beibehalten, um Eingriffe in die Tragwerksstruktur zu vermeiden.
Für den Brandschutzsachverständigen waren die Zielvorgaben eindeutig definiert: Auch während der Sanierung sollten Brandschutz sowie Fluchtwege sichergestellt sein, da insbesondere die Sanierung von S1 im laufen-
den Schulbetrieb erfolgt bzw. erfolgte. Allgemein sollten die Personalvertretung sowie Nutzer eng in der Planung und Umsetzung der Sanierungsmaßnahme eingebunden und bildungspolitische Optimierungen berücksichtigt werden.
Erste Prämisse – den Nutzer einbinden
In der Regel bestehen zu Beginn der Planung eines Schulneubaus bzw. einer Sanierung
nur rudimentäre Vorstellungen seitens des Betreibers über die Vielfalt der gewünschten Nutzungsvarianten. Meist liegt lediglich ein grobes Raumprogramm ohne Darstellung der nutzungsspezifischen Besonderheiten vor, bspw. das pädagogische Grundkonzept.
Generell lässt sich sagen, dass Nutzer (Lehrer und Schüler) an Schulbauten gleichbleibende Anforderungen stellen: Möglichst wenige brandschutztechnische Abschottungen sollen die Nutzung im Alltag behindern. Zum Beispiel sollen das Foyer sowie Flurflächen und deren Aufweitungen als Aufenthaltsräume oder für alternative Unterrichtsformen genutzt werden können. Die Räumlichkeiten sollen einen inklusiven Unterricht und nicht zuletzt eine unkomplizierte Funktionsänderung während des Schulbetriebs ermöglichen, um auch künftigen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die tatsächliche Einbindung der Nutzer mit ihren speziellen Wünschen erfolgt allerdings oft erst kurz vor Fertigstellung des Gebäudes. Das kann zu Nutzungseinschränkungen bzw. erheblichen Mehrkos-
ten in der nachträglichen, brandschutzkonformen Ertüchtigung führen. Hier ist der Architekt/Planer gefragt, der diese Wünsche schon in der Leistungsphase 0 mit den zukünftigen Nutzern erörtert, aufnimmt und anschließend in der Planung des Raumkonzepts adäquat umsetzt. Um dabei den hohen planerischen Ansprüchen im Zusammenspiel mit den brandschutztechnischen Anforderungen gerecht zu werden, sollten Architekten den Brandschutzexperten schon in dieser Vorentwurfsphase mit einbeziehen. Denn nur durch eine enge frühzeitige Kooperation lassen sich die gewünschten Schulkonzepte genehmigungsfähig realisieren.
Um bspw. dem Wunsch nachzukommen, Flure und deren Nischen als Aufenthalts- und Lernflächen zu nutzen, besteht u. a. die Möglichkeit, Klassenräume oder weitere Aufenthaltsräume direkt nach außen anzubinden. Gemäß Brandschutzvorgaben fungieren die Ausgänge dann als erster Rettungsweg; die Flure an sich dienen dann „nur“ als zweiter Rettungsweg und müssen daher u. U. geringere Anforderungen in puncto Brandschutz erfüllen. Oft werden auch gewünschte Sondernutzungen, wie Ausstellungen oder Monitore in Eingangsbereichen in der Planung nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere Flure und Treppenräume werden gerne dazu benutzt, Bilder und Werke von Schülern zu zeigen. Hier ist darauf zu achten, die Fluchtbreiten entsprechend weit zu planen. Ebenso müssen alle notwendigen Einbauten aus nichtbrennbaren Materialien bestehen; schwer entflammbare Materialien können dann zugelassen werden, wenn keine Bedenken hinsichtlich Brandschutz bestehen.
Zweite Prämisse – koordinierter Übergang von der Planung zur Bauausführung
Die Erfahrung hat gezeigt, ein Wechsel zwischen Brandschutzplaner und brandschutztechnischem Fachbauleiter birgt ein hohes Risiko für die fachgerechte und konsistente Umsetzung des Brandschutzkonzepts. Es liegt auf der Hand: Bei einem Wechsel geht umfassendes Wissen, das Projekt betreffend, verloren. Eine gut gestaltete Übergabe ist deshalb die Mindestanforderung. Das beste Vorgehen ist allerdings, wenn in der Fachbauleitung zwischen Brandschutzplanung und Bauausführung kein Personalwechsel stattfindet. Der Informationsverlust zwischen Planung und Bauausführung wird vermieden und eine exakte Bauausführung sichergestellt. Zugleich identifiziert sich der Projektleiter stärker mit dem Projekt, wenn er vollumfänglich die Verantwortung trägt und das Projekt von Anfang bis Ende ganzheitlich betreuen kann. So werden Schwierigkeiten in der Bauausführung aufgrund unzureichender Planungsvorgaben schneller festgestellt. Positiver Nebeneffekt: Das Verfahren kann optimiert werden und die Erfahrungen fließen beim nächsten Projekt in die Brandschutz-
planung ein. Durch eine solche schnittstellenfreie, ganzheitliche Betrachtung aller Leis-tungsbereiche des Brandschutzes ist die Umsetzung des integralen Planungsansatzes vollumfänglich gewährleistet.
Dritte Prämisse – das Brandschutzkonzept auch in der Nutzung beherzigen
Brandschutz ist kein statisches Thema, das mit der Inbetriebnahme eines brandschutzkonformen Gebäudes abgeschlossen ist. Gerade Schulbauten werden dynamisch genutzt. Für jeden neuen Nutzungsfall muss geprüft werden, ob die Anforderungen an den Brandschutz noch eingehalten werden. Dies ist die Aufgabe eines Brandschutzbeauftragten. Er kennt das Brandschutzkonzept, weiß um alle brandschutztechnischen Besonderheiten, erkennt mögliche Konfliktpunkte und kann entsprechend reagieren. In der Regel übergibt die Bauleitung nach Fertigstellung des Gebäudes eine umfangreiche Dokumentation der Baumaßnahme an den Bauherrn, der diese oftmals lediglich archiviert. Sofern überhaupt eine Einweisung erfolgt, ist sie meist auf die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) beschränkt, die für die ordnungsgemäße Funktionsweise des Gebäudes zwingend erforderlich ist: Lüftung, Heizung, Beleuchtung, Wasserver- und entsorgung sowie deren Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR). Dort werden Störungen und mangelhafte Ausführungen sofort gemeldet und beseitigt. Mangelhafte Brandschutzanlagen −sowie eine mögliche Nichtbeachtung der Auflagen aus dem Brandschutzkonzept, das längst archiviert und in Vergessenheit geraten ist – treten oft erst im Ernstfall ins Blickfeld – dann womöglich jedoch mit gravieren-
den Folgen für alle Betroffenen und Verantwortlichen. Verantwortlich ist in einem solchen Fall übrigens grundsätzlich der Schul-
leiter, was die Wenigsten wissen. Der Schulleiter kann jedoch Aufgaben und Pflichten an einen Brandschutzbeauftragten delegieren. Allerdings sind Brandschutzbeauftragte an Schulen derzeit selten vorzufinden, was aufgrund des umfassenden Aufgabenspektrums des Personals, insbesondere der Facility Manager, verständlich ist.
Schulzentrum Kuhberg, Ulm – Brandschutz als geteilte Aufgabe
Lösungen, die die Verantwortung teilen und Kompetenzen nutzen, sind gefragt. So geht das Schulzentrum am Kuhberg in Ulm mit guten Beispiel voran und entwickelte mit Hilfe des Brandschutzplaners eine Organisationsmatrix, in der die Verantwortlichkeiten klar zugeordnet sind und sich der zeitliche Aufwand dadurch in Grenzen hält (Abb. 3):
– Verantwortung für das Zentrale Gebäude-
management liegt bei der Stadt Ulm (War-
tung und Instandhaltung der brandschutz-
technischen Anlagen),
– Verantwortung des Hausmeisters mit zu-
sätzlicher Ausbildung zum Brandschutzbe-
auftragten (Freihaltung der Rettungswege,
Funktionstüchtigkeit der Brandschutztüren)
– Verantwortung des übergeordneten Brand-
schutzbeauftragten (Brandschutzingenieur).
Ziel war es hierbei, den Hausmeister weitestgehend von übergeordneten Brandschutz-themen zu entlasten, so dass sein Verant-wortungsbereich zusätzlich zu den sonstigen Hausmeistertätigkeiten zu bewältigen ist.
Brandschutz braucht Experten mit Kooperationswillen
Es zeigt sich immer wieder: Integraler Brandschutz besonders im Hinblick auf Bildungsbauten stellt an Architekten und Brandschutzsachverständige vielfältige Herausforderungen, die weit über die reine Fachkompetenz hinausgehen. Neben organisatorischem Geschick sind vor allem Vermittlungsfähigkeiten zwischen Bauherren, Nutzern, ausführenden Firmen und Schulträgern mit weniger Fachkenntnissen gefragt. Oft wird das Thema Brandschutz als Hindernis oder Hemmnis gesehen, sei es in der Planung, in der Bauausführung oder auch der späteren Nutzung. Umso wichtiger ist es, als Architekt, aber auch als Bauherr, einen Brandschutzexperten an seiner Seite zu wissen, der mit profundem Wissen in Sachen Integraler Brandschutz berät und so einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, um gesetzliche Anforderungen, technische Aufgabenstellungen und Betreiberinteressen frist- und budgetgerecht zum Ausgleich zu bringen – und dies über die gesamte Objektnutzungsdauer hinweg.
Projektdaten
Objekt: Schulzentrum Kuhberg, Ulm; Sanierung des 4-geschossigen Schulgebäudes B1 mit insgesamt 17 Nutzungseinheiten
Brutto-Grundfläche: 9 600 m² Brutto-Rauminhalt: 29 000 m³
Projektlaufzeit: 2012 – 2017
Leistungen von umt Umweltingenieure, Ulm:
– Brandschutz nach AHO Schriftenreihe 17
– Grundleistungen der Leistungsphasen 1− 8