Im Gespräch mit Christoph Ingenhoven, ingenhoven architects, Düsseldorf

Geht es noch grüner, Herr Ingenhoven?

Wie kaum ein anderes deutsches Architekturbüro möchte ingenhoven architects für grüne Architektur stehen. Jetzt, so will es scheinen, sind die Düsseldorfer mit internationaler Projektarbeit mitten im Grünen angekommen: Mit den rund 8 km Hainbuchenhecken auf seiner Gebäudehülle ist der Gewerbe- und Bürobau „Kö-Bogen II“ im Herzen Düsseldorfs ein wirklich grüner Bau. Außen jedenfalls, wenn der Blick auf „Europas größte grüne Fassade“ (ingenhoven architects) geht, auf über 35 000 Pflanzen. Das Ensemble markiert den Abschluss eines umfangreichen Stadtumbauprojekts, an dem ingenhoven architects maßgeblich beteiligt ist. Wir trafen uns mit Christoph Ingenhoven auf der Dachschrägen des „Kö-Bogen II“, Blick auf die intensiv begrünte Fassade gegenüber.

Erste Frage: Geht es noch grüner, Herr Ingenhoven?

Christoph Ingenhoven: Nein. Nicht mehr viel, glaube ich. Dadurch, dass jetzt Fassade und Dach grün sind, ist bereits eine Übererfüllung des Anspruchs geleistet, die Fläche, die man bebaut, in grün wieder zurückzugeben. Es ginge natürlich noch grüner im konzeptionellen Sinne. Aber was die Bepflanzung eines Gebäudes anbelangt ist das hier für die Innenstadt der Höhepunkt.

[…]

Kommen wir zur grünen Fassade. Was war da die Herausforderung? Die Treppung hat sich ergeben, weil man Pflanzfläche brauchte und zugleich bildet sich dieses „Ingenhoven Tal“, das den Blick auf Dreischeibenhaus und Schauspiel fokussiert.

Wir hatten schon früh eine Vorstellung von diesem Tal. Wenn man über Bepflanzung nachdenkt, liegt es natürlich nahe, Terrassen zu bauen aufgrund der Position zur Sonne, zum Licht etc. Doch was pflanzen wir, wie und wo genau auf die Fassade? Unglaublich viele Fragen standen im Raum, die wir schließlich u. a. zusammen mit dem Phyto­technologen Prof. Dr. Karl-Heinz Strauch von der Beuth-Hochschule, Berlin, beantwortet haben.

Wie sind Sie zusammengekommen?

Wir haben intensiv recherchiert. Wer besitzt diese Expertise für mögliche Pflanzen, für Hecken und solche Dinge? Aber bereits vor dieser Suche haben wir ein Team aufgebaut, in welches wir sehr früh einen Landschaftsbauer geholt haben. Wir Architekten sind nicht auf jedem Feld Experten. Wir mussten mit Fragen rechnen, die wir alleine nicht beantworten können: Wer kann das realisieren? Wer übernimmt die Haftung? Wer garantiert den Termin? Wir haben eine Baumschule ins Team genommen, denn uns war bewusst, dass wir 25 000 bis 35 000 Pflanzen benötigen. Diese müssen Jahre vorher gekauft werden. Auch galt es, deren Transport zu planen. Zu diesem Team kam dann Professor Strauch, Experte im Bereich von Pflanzensystemen – also der Auswahl der richtigen Pflanzen, ihrer Versorgung, Pflege etc. – hinzu. Zusätzlich hat uns der Forstbotaniker Prof. Dr. Albert Reif von der Universität Freiburg beraten.

Dieses fachlich so divers zusammengestellte Team erstellte eine Liste von möglichen Pflanzenfamilien. Klar, die Politik war auch noch mit dabei und wollte „immergrün“. Beim „Kö-Bogen I“ hatte man zuerst Pflanzen gewählt, die in den Übergangszeiten des Jahres sehr notleidend aussahen. Das sollte an unserem Gebäude von vornherein nicht passieren. So die Politik. Wir haben aber gesagt, „immergrün“ wollen wir auf keinen Fall!

Immergrün wären Koniferen oder ähnliches?

Ja. Die einzigen beiden Koniferen, die vielleicht in Frage gekommen wären – auch weil sie hier heimisch sind – wären der Ilex und die Eibe. Die Eibe ist eine tolle Pflanze, wäre sie nicht so sehr auf Friedhöfen verbreitet. Wir wollten allerdings den Jahreszeitenwechsel auf der Fassade abgebildet sehen, wollten ortstypische Pflanzen haben. Ließen wir diesen Platz hier 20 Jahre lang in Ruhe, wüchsen hier Buchen. Die Hainbuche ist normalerweise nicht laubhaltend, es gibt aber Individuen, die laubhaltend sind. Sie sollten zudem gegen Schädlinge wenig empfindlich sein … womit wir mitten im großen Thema „Zukunftsbaum“ sind: Die Städte werden heißer und die Sommer immer trockener. Schließlich haben wir eine Pflanze gefunden, die das alles können soll. Die hält das Laub, das sich im Jahresgang verfärbt von Grün über Braun und Orange, fast golden und dann gibt es irgendwann ein mattes Graubraun.

Und dann liegt Schnee auf allem und wir sehen weiß.

Dann liegt vielleicht einmal Schnee darauf. Wir wussten, wir hatten die richtige Pflanze gefunden und die Politik hat mitgemacht. Also haben wir diesen Hainbuchentyp in Norddeutschland im Ammerland bei Bad Zwischenahn auf einem Acker gepflanzt. Etwa 35 000 Pflanzen. Die sind vor Ort mehrfach geschnitten und vor zwei Jahren in die Tröge, in denen sie jetzt stehen, umgepflanzt worden. Jede hatte eine Nummer, wir wussten, wo sie einmal stehen würden. Nach noch einmal fast zwei Jahren Pflege wurden sie Anfang dieses Jahres nach Düsseldorf transportiert und innerhalb von zwei Monaten montiert. Und offensichtlich [der Architekt zeigt in die Runde] fühlen sie sich wohl. Wir waren neulich auf dem Dach, ich habe keine einzige Pflanze gesehen, die nicht in Ordnung gewesen wäre. Das hat mich überrascht. Und gefreut.

Mit Blick auf die Bemühungen des Bundes, unsere Städte für den Klimawandel fit zu machen: Wäre hier nicht die Gelegenheit gewesen, Bundesgelder locker zu machen? Für die Evaluation eines stadtklimawirksamen Prototypen?

Das Projekt wird evaluiert. Es gibt einen langfris-tigen Beobachtungs- und Wartungsvertrag. Wir werden genau wissen, was passiert und was nicht.

Wir sind aber nicht gefördert worden, die Eva­luierung ist auf eigene Initiative zustande gekommen. Der Investor hat das mitgemacht, von Anfang an und bis heute.

Mussten Sie dafür kämpfen? Konnten Sie den Investor einfach überzeugen?

Das war einfach.

Für die Bepflanzung musste allerdings – der Neigung der Fassade geschuldet – vermietbare Grundfläche reduziert werden. War das kein Thema?

Nein. Der „Kö-Bogen II“ ist das Ergebnis eines Wettbewerbs, den wir mit unserem Ensemble gewonnen haben. Der Düsseldorfer Stadtrat hat im April 2014 mit großer Mehrheit für dieses Projekt gestimmt. Erst danach begannen die Gespräche mit möglichen Investoren. Ihnen war bewusst, dass sie sehr viel Grün kaufen würden. Es gibt einen städtebaulichen Vertrag, der den Investor auf 99 Jahre verpflichtet, für diese Fassade Verantwortung zu übernehmen. Mit sehr, sehr strengen Auflagen.

[…]

Gab es Probleme? Stellen, wo Sie gesagt haben, das funktioniert ja gar nicht?

Nein, eigentlich nicht. Unsere vielleicht ängstlichen Erwartungen bezüglich der Robustheit der Pflanzen haben sich nicht bestätigt. Wir haben unter den Pflanztrögen eine technische Blechfassade installiert, die Entwässerungsebene. Dazwischen Schienen, die eine Befahrbarkeit ermöglichen, um die Pflanzen schneiden zu können. Wenn wir uns sicher gewesen wären, dass in den nächsten 10 Jahren keine Pflanze ausfällt, hätten wir uns einige dieser mechanischen Vorrichtungen sparen können. Aber das weiß natürlich keiner. Beim Schneiden fällt das Laub und rutscht, wenn man es nicht wegnimmt, auf der glatten Oberfläche bis nach unten. Dort kann es entsorgt werden. Auch trockenes Laub, das irgendwann abfällt. Das wird mit Druckluft von oben heruntergefegt. Das funktioniert. Oder: Wir mussten dafür sorgen, dass niemand die Fassade hochklettert. Jetzt sind an den Heckenzugängen Überstiegshindernisse angebracht, sehr spitze Ösen. Ach, es gibt Tausende solcher Beispiele, die wir anfangs nicht bedacht hatten und die wir dann jeweils im Einzelfall bearbeiten mussten.

[…]

Wie ist das denn mit der Ökonomie? Verglichen mit einer normalen Fassade?

Wir sind nicht sehr viel teurer als das P&C-Gebäude  in unmittelbarer Nachbarschaft. Ja, es ist eine teure Fassade. Vielleicht ist der Pflegeaufwand hier etwas höher. Zuerst hieß es, die Hecken sollten dreimal im Jahr geschnitten werden. Ich selbst habe lange Buchenhecken, die schneide ich zweimal im Jahr. Warum hier dreimal schneiden? Immerhin reduzieren sich damit die veranschlagten Pflegekosten um ein Drittel.

Jetzt reden wir über die Pflegekosten. Senkt die Fassade auch die Betriebskosten des Ensembles insgesamt?

Zunächst einmal kühlt die grüne Gebäudehaut seine direkte Umgebung. Die Heckenlandschaft als Lebensraum für Insekten, Vögel und andere wird zur Erweiterung eines auf Kontinuität geplanten Grünraums. Also nicht dieser vielfach geübte Wechsel von Square, dann urbane Stadt, Square, Urbanität … Nein, wir brauchen ein grünes, durchgängiges Netz. Radfahrer können durch den Garten kommen, hier in den Hofgarten, bis da vorne. Das ist innerste Innenstadt, belebt von Fußgängern und Radfahrern. Das ist ganz klar ein Mehrwert für die Stadt.

Für die Stadt auf jeden Fall. Meine Frage zielte auf den Benefit für den Bauherrn?

Marketing.

Also das unsichtbare Nachhaltigkeitszertifikat durch lebendiges Grün sichtbar machen ... Aber hat die Fassade nicht auch ein grünes Leistungsspektrum? Wird Energie gespart, weil weniger klimatisiert werden muss?

Wenn wir eine direkte Bepflanzung gemacht hätten … Für das Dach ist das so, wie Sie es andeuten. Für die vertikale Fassade eher nicht, hier schweben die Hecken quasi darüber. Darunter haben wir eine vollständige, man könnte sagen konventionelle Fassade. Beim Dach sind die positiven Effekte eindeutig.

Und wenn nichts geschwebt hätte, wenn Sie hier eine steile Bergwiese mit Enzian realisiert hätten?

Rein theoretisch hätten wir auch ein Substrat für eine Bergwiese auftragen können. Die Bergwiese wäre aber sehr, sehr steil geworden. Auf dieser Wiese hätte es dann keine Bäume gegeben, keine Büsche. Das hätten wir auch machen können, klar. Wir machen das bestimmt einmal an anderer Stelle.

Mit Christoph Ingenhoven unterhielt sich DBZ Redakteur Benedikt Kraft am 19. Juni 2020 auf dem grünen Schrägdach des Kö-Bogen II, Europas größter grüner Fassade gegenüber. Das lange Gespräch ist auf dieser Doppelseite gekürzt wiedergegeben, aber in Gänze auf DBZ.de nachzulesen.

www.ingenhovenarchitects.com

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