Ich habe noch nie einen Bauherren verklagtIm Gespräch mit Christoph Ingenhoven, Düsseldorf
Christoph Ingenhoven: Sicherlich ein gutes Gefühl. Aber ob heute Grundsteinlegung ist oder ein Arbeitstermin auf der Baustelle – das wichtigste ist, dass das Bahnhofs-projekt sichtbar auf dem Weg ist.
Ja, ich bin überzeugter Bahnfahrer und eigentlich mache ich alle Projekte mittlerer Entfernung, also Hannover, Frankfurt, Stuttgart ohne Ausnahme mit dem Zug.
Beim Bahnfahren eher nicht. Manchmal bin ich fast schon enttäuscht, wenn ich in Frankfurt einfahre und noch nicht einmal meine Zeitung auslesen konnte.
Wir haben in der Vergangenheit schon eine ganze Menge Projekte mit Werner Sobek gemacht. Ich habe ihn, als Frei Otto und Happold ausschieden und das Projekt neu gestartet wurde, gefragt, ob er mitmachen wollte und er hat eingewilligt. Was nicht so ganz selbstverständlich war, in diesen Jahren war der Protest gegen Stuttgart 21 groß und sehr aktiv. In einem solchen Projekt musst du jemandem vertrauen können, ihn gut kennen.
Nein, das Projekt ist in seiner gesamten Geometrie das gleiche geblieben. Was wir also in ein paar Jahren physisch gebaut sehen wird dem Wettbewerbsentwurf sehr ähnlich sein. Was verändert wurde ist das, was dahintersteckt, also die Technik. Zum Beispiel das Brandschutzkonzept. Oder auch das Thema Weißbeton, wie seine Rezeptur ist, das Zusammenspiel mit den Bewehrungsstählen, das hat sich alles fünfmal um die eigene Achse gedreht. Und zudem wurden sämtliche Details in den letzten zwei Jahren noch einmal durch die Realisierungsmaschinerie von Züblin gedreht und das in einem ständigen Hin und Her mit uns. Ein Prozess, der noch nicht am Ende ist.
Ja. Aber ob Tunnel oder nicht, darüber lässt sich streiten. Hier, an diesem Beispiel, sieht man, dass solche Qualifizierungen formale sind.
Erstmal nicht. Die hohen Anforderungen erschweren jedoch die Erstellung der hochwertig geplanten Betonoberflächen. Wir mussten dafür einige Testreihen durchlaufen, damit wir am Ende ein Resultat haben, das höchste Temperaturen aushalten kann.
Das macht Züblin mit einer großen Spezialtruppe, mit jeder Menge professoraler Hilfe und erfahrenen Rezeptforschern. Aber mal weg vom Beton: Wir werden, bezogen auf den Brandschutz, keine Treppenhäuser mehr im Bahnhof selbst haben. Die Treppenhäuser werden an beiden Enden aller Bahnsteige stehen. Die sind dann in die Tunnelwand integriert, ein großer Schritt vorwärts.
Wir sind hier immer aktiv gewesen. Vielleicht nicht kontinuierlich, zwischen 2001 und 2008 ist sehr wenig passiert. Aber seit 2008 geht das Schlag auf Schlag. Als Generalplaner sind wir hier mit enormen Planungen und Umplanungen beschäftigt. Sie dürfen nicht vergessen: Das waren hier mal zwei Teile. Das heißt, der ganze Trog ist von Tragwerksplanern geplant worden, die nicht unter unserem Vertrag standen. Das hat sich komplett geändert, wir haben heute die Gesamtverantwortung für den Bahnhof einschließlich der darunter liegenden Konstruktionen bis zum Park obendrauf.
Nein, natürlich nicht. Wir haben etwa 70 Fremdplaner unter Vertrag.
Sobek Ingenieure, DS Plan für die Haustechnik, Tropp für die Lichtplanung, Höhenzugangsplaner, Betonexperten, Brandschutzberater, Natursteinplaner – sozusagen für jedes Gewerk ein Fachmann.
Nein, um Gottes Willen, ich habe noch nie einen Bauherren verklagt, keine Stadt, kein Land. Das würde ich auch nicht tun, das benutzt man vielleicht schon mal als Drohung. Aber so etwas führt zu nichts Gutem. Nein, das ist hier nicht zu befürchten. Im Gegenteil, ich glaube, dass die Bahn verstanden hat, dass das einzig sichtbare Teil dieses 6 Mrd. €-Projekts am Ende der Bahnhof ist und dass man den jetzt auch mal so baut.
Man muss wissen, dass der Wettbewerb 1997 ausgeschrieben war von der Stadt, dem Land und der Bahn. Das Wettbewerbsgebiet umfasste Bahngrundstücke, städtische und die vom Land. Es ist doch davon auszugehen, dass Stuttgart ein immenses Interesse daran haben muss, dass die ersten hundert Meter vor und hinter dem Bahnhof in der Qualität realisiert werden, wie das im Wettbewerb prämiert wurde. Wir warten da auf eine konstruktive Antwort von der Stadt.
Da habe ich keine Sorge. Noch einmal: Ich rufe der Stadt zu: Ihr müsst euch in dieser Frage bewegen. Und uns erlauben, die Wettbewerbsplanung im Bahnhofsumfeld zu realisieren und euch selbst verpflichten, die erforderlichen Straßenumbauten anzugehen.
Ist Ihre Vision eines unterirdischen Bahnhofs noch immer die richtige?
Absolut. Andere Entwürfe im Wettbewerb haben mehrheitlich einen oberirdisch sichtbaren, großen Glas/Stahlbaukörper gezeigt. Wir wollten von Anfang an in die Tiefe. Als die Ausschreibung kam, habe ich das relativ schnell skizziert und diese Skizze in eine Art Ideen-Diagramm übertragen. Und dann rief Frei Otto an, um seinen Ärger bei mir abzulassen, dass er nicht zum Stuttgarter Bahnhofswettbewerb eingeladen worden sei. Er wusste natürlich, dass ich eingeladen war. Und ich damals: „Hast du nicht Lust, bei uns mit zu machen?“ Wir haben ihm dann unsere Idee erläutert und Frei Otto wollte sofort mitmachen. Schnell waren wir dann bei den Kernproblemen wie z. B.: Wie gehen wir mit dem Mangel an Platz unter der Erde für die Konstruktion um? Wir wollten etwas finden, das sehr schön ist, aber rein unterhalb des Terrains. Und so hat sich Lösung an Lösung gereiht. Die spontanen Momente ganz am Anfang haben sich in Logik verwandelt. Und heute bauen wir!
Ich wünsche mir – und ich glaube, das entspricht auch den Wünschen der Menschen hier – eine so grüne und ökologisch verantwortlich gemachte, gemischte, bunte und revolutionäre Stadt wie nur möglich. Stuttgart könnte hier Vorreiter sein. Und dann wünsche ich mir sehr, dass alle, die gegen Stuttgart 21 sind oder an der Seitenlinie zuschauen, um die Ecke kommen und Stuttgart 21 zu ihrem Projekt machen. Und dass sie sich darauf freuen. Das kann man nämlich!
Mit Christoph Ingenhoven unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 16.09.2016 in der Baugrube von Stuttgart 21.