Stuttgart 21, eine Zitterpartie
Am 11. September soll der endgültige Finanzierungsvertrag unterschrieben werden

Stuttgart 21 – dieser Projekttitel steht seit 1994 für ein Milliardenprojekt der Deutschen Bahn, das eine verkehr- und städtebauliche Neuordnung von Stuttgart herstellen soll. Das Verkehrsprojekt beinhaltet den Ausbau der ICE-Schnellbahnstrecke von Stuttgart in Richtung München mit gleichzeitiger Anbindung des Stuttgarter Flughafens, des Weiteren die Umgestaltung des Kopfbahnhofes in Stuttgart zu einem Durchgangsbahnhof. Und genau an diesem Projekt mit dem Siegerentwurf von Ingenhoven Architekten, Düsseldorf, – der vorsieht, den Bahnhof unter die Erde zu legen und Teile des denkmalgeschützten Bonatz-Baus aus dem Jahr 1928 abzureißen – scheiden sich die Geister und erhitzen sich die Gemüter.

1994 präsentierten die Bahn AG, das Land und die Stadt Stuttgart zum ersten Mal das Projekt Stuttgart 21. Von weiter her betrachtet liegt Stuttgart auf der Achse Paris / Bratislava und bekommt damit eine Schlüsselstellung im zukünftigen europäischen Schnellbahnnetz. Nach ersten Planungen wurde 1997 für das Projekt ein internationaler Architekturwettbewerb ausgelobt. Dessen Vorgaben waren, den Kopfbahnhof durch einen Durchgangsbahnhof zu ersetzen. Und auf den frei
werdenden Flächen der alten Gleisanlage ein neues Stadtviertel zwischen Innenstadt und Nordbahnhof-Areal zu entwickeln. Der Entwurf von Ingenhoven, zusammen mit Frei Otto und einem Team aus Tragwerkplanern, macht aus dem Kopfbahnhof mit heute 17 Gleissträngen einen Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen. Dabei wird der Ost-West-Verlauf der Gleistrasse auf Nord-Süd gedreht. Der rund 12 m unter Erdgeschossniveau liegende Bahnhof wird rund 420 m lang sein, um, so Ingenhoven, eine großzügige Bahnsteighalle zu realisieren.

Das Projekt ist nicht nur wegen der topografischen Lage Stuttgarts, die die Anbindung an den Flughafen zu einer tunnelbaulichen Herausforderung werden lässt, sehr ambitioniert, auch die baukonstruktiven Merkmale versprechen einiges; oder besser: versprachen, der Entwurf ist schließlich gut zehn Jahre alt. Und was Bahnchef Hartmut Mehdorn von architektonischen Ambitionen hält und wie er damit umzugehen pflegt, weiß man spätestens seit dem Hauptbahnhof in Berlin. Noch kursiert das schöne Wettbewerbsbild von der unterirdischen Zugstation mit 28 gläsernen Augen, die wie Maulwurfshügel den Deckel des Bahnhofes und damit den neu geschaffenen Straßburger Platz durchsetzen sollen, um die Bahnstation mit ausreichend Tageslicht zu versorgen. Der Entwurf damals hatte Architekturkritiker begeistert und national wie international Aufsehen erregt. Die Eigenwilligkeit und Ästhetik der Stützen, die das Dach tragen sollen, erschienen fragil, ähnlich einem aufgeschnittenen Trichter, der in geschwungener Form spitz nach unten zuläuft. Der Bahnhof wirkte, zumindest in den Entwürfen und Computersimulationen, mit ausreichender Höhe offen und luftig. Und auch in punkto Ökologie sollte er Zeichen setzten. Die Kombination aus Erdwärme und kühlen Luftströmen der einfahrenden Züge soll im Sommer wie im Winter für angenehme Temperaturen sorgen.

Soweit die Planungen. Seit geraumer Zeit aber mehren sich Stimmen gegen das Milliardenprojekt. So möchte mancher nun den ganzen Bonatz-Bau erhalten, der nach der Ingenhoven-Lösung zumindest um seine Seitenflügel reduziert werden soll. Dann stören mit einem Mal die ehemals so gefeierten Oberlichter, die eine nicht unerhebliche Trennung zwischen Bahnhofsgebäude und neuem Bahnhofsareal bewirken könnten. Und dann natürlich: das Geld. Laut einer Studie des Münchner Büros Vieregg und Rößler (die Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster sofort nach Erscheinen instinktiv als „unseriöse Ferndiagnose“ abkanzelte) halten bis zu 8,7 Mrd. € Realisierungskosten für realistisch. Bund, Land, Bahn und die Stadt Stuttgart hatten mit 2,8 Mrd. € gerechnet. Architektureindampfer Mehdorn im Herbst 2006: „Mal sehen, wie der Bahnhof am Ende aussieht.“ Meinte er hier nur das Hallendach (wie in Berlin) oder gar mehr?

Und dann das: Die Stadt Stuttgart beauftragte das Fraunhofer-Institut, eine Visualisierung des zukünftigen Bahnhofs zu erstellen. Kritiker sprachen nach der Sichtung von einer besseren U-Bahn-Haltestelle, „die zu hässlich ist, um gebaut zu werden“. Dumm nur, dass das Fraunhofer-Institut die Animation ohne die Autorisierung des Ingenhoven-Büros erstellt hatte. Unter der Hand ist nun zu hören, dass auch der Architekt diesen Entwurf hässlich findet (dazu das SPIEGEL-Interview vom 11. August, H. 33, S. 135).

Es könnte also spannend werden, am 11. September wird der endgültige Finanzierungsvertrag zwischen Bund, Land, Stadt und der Deutschen Bahn unterschrieben. Es sei denn, die Stuttgarter zögerten doch noch. Und hätten damit eventuell eine Chance, die mittlerweile auch Blinden sichtbaren Folgen der Energieknappheit in einem dann nochmals aktualisierten, die Stuttgarter Verkehrssituation ins Auge fassenden Entwurf zu berücksichtigen. Stuttgart 21 könnte dann ein Aushängeschild für eine visionäre verkehrspolitische Neuorientierung sein, ein Label, das der Autostadt zwischen Stern und Stuttgarter Rössle die vielleicht wichtigste Option offenhielte: eine Stadt zwischen Reben, Hügeln, öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrrädern – mit weniger Individualverkehr und damit einer lebenswerten Zukunft.

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