Hauptbahnhof in Salzburg/AT

Ein urbaner Bahnhof durch und durch
Hauptbahnhof in Salzburg/AT

Um eine Verbesserung der Verkehrswege, und noch mehr um urbane Vernetzung ging es bei dem Österreichischen Großprojekt des Hauptbahnhofs Salzburg. Mit einer Operation am offenen Herzen gelang den Architekten nicht nur dessen Transformation vom Kopf- zum Durchgangsbahnhof, sondern auch ein sehr urbanes Verkehrsbauwerk, das bereits vor Fertigstellung sowohl den Österreichischen Designpreis als auch den Europäischen Stahlpreis erhielt.

Bauen in einer UNESCO-Weltkulturerbestätte gehört gewiss nicht zu den leichtesten Aufgaben eines Architekten. Eine Erfahrung, die man in Deutschland, ob nun in Köln oder Dresden bereits schmerzhaft machen musste. Allzu leicht gerät neue Architektur in Konflikt mit der Bewahrung des Erbes, dem Denkmalschutz und Traditionsbewahrern. Auf sehr schmalen Graten müssen die Architekten nach Kompromissen suchen, um die erregten Gemüter zu beruhigen. Dies gilt in Österreich gerade auch in der Mozartstadt Salzburg, die wie kaum eine andere Stadt aus der Vergangenheit ihre Bedeutung schöpft.

So verwundert es wenig, dass ein neues Großprojekt, die Neugestaltung des Hauptbahnhofs aus K.u.K.-Zeiten, vor einer gewaltigen Aufgabe stand, Modernität und Tradition in Einklang zu bringen.

1860 als Grenzbahnhof zwischen Österreich und Deutschland entstanden, hatte sich der Hauptbahnhof in den späteren Jahrzehnten sehr eigenwillig entwickelt. Quasi als ein Bahnhof im Bahnhof wurde er ab 1907 seiner Aufgabe über ein Jahrhundert hinweg gerecht. Neben dem Hauptgebäude entstand ein zweiter Kopfbahnhofkomplex auf einem 25 m breiten Inselperron inmitten seiner Gleise, wo die Fahrgäste auf ihre Weiterfahrt nach Wien oder München warten konnten. Obwohl danach vielfach bis zur Unkenntlichkeit umgebaut, wurde der Bahnhof als ein Werk des Jugendstils in die Denkmalliste aufgenommen, was nach den Siebzigern Veränderungen erschwerte. Und genau diesen Bahnhof stellte 1999 ein Architekturwettbewerb zur Disposition. Neben der Schaffung eines neuen Hauptbahnhof Wien soll Salzburg das zweite Großprojekt der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sein, mit dem man Zeichen setzen will. Wo zuvor der Eindruck von Enge vorherrschte, Vieles ver- und zugebaut war und die Wege durch den Bahnhof eher einem Labyrinth, denn einem einladenden Reiseerlebnis glichen, wagte das siegreiche Projekt von kadawittfeldarchitektur eine radikale Neudefinition des Bahnhofs. Statt des Kopfbahnhofs schlugen sie einen Durchgangsbahnhof vor, der verbunden mit großzügigen unterirdischen Passagen nicht mehr die Stadt trennen, sondern ihre beiden Stadtteile der Elisabeth Vorstadt und Schallmoos wieder näher zueinander rücken wollte. Ihr Konzept? Dem alten Hauptgebäude ein zeitgenössisches Äquivalent in Form eines dynamischen Körpers beizugesellen, eine sehr bewegte, vielgliedrige Bahnsteighalle aus unterschiedlich langen, scharfkantig endenden Dachstreifen, die Mobilität sehr physisch erfahren lassen. Ergänzt um eine großzügig verbreitete Geschäftspassage unter den 18 Gleisen und einen ebenfalls verbreiteten nahen Straßentunnel sollte der neue Bahnhof nicht nur als Mittler zwischen fernen Orten, sondern auch zwischen beiden Stadtteile mehr Bedeutung gewinnen.

Fünf Jahre lang wurde verhandelt, um dann endgültig mit der Planung des Baus beginnen zu können. Nur unter Schmerzen trennte sich der Denkmalschutz und so mancher Salzburger vom alten Kopfbahnhof, dessen Marmorsaal abgebaut und eingelagert wurde und dessen alte Bahnsteighalle von 1908 nun als Preziose des alten Dampfzeitalters leicht versetzt in die neue Halle integriert ist. Fünf Jahre, die sehr fruchtbar für die Neukonzeption eines Durchgangsbahnhofs waren, der nun in Schallmoos mit einem markanten Fahrraddepot und weit gespannten, paraboloiden Dachkörper 2014 noch ein zweites markantes Eingangsbauwerk erhalten wird.

Logistisch anspruchsvoll war es, auf glacialen Schwemmland ab 2009 bei laufendem Betrieb von täglich 750 Zügen den Abriss des alten Kopfbahnhofs und den Neubau zu organisieren, dessen 30 m tiefe Bohrpfähle für eine integrierte Erdwärmeanlage effektiv genutzt wurden, die nun 80 % der Kühl- und 50 % der Heizenergie des neuen Hauptbahnhofs abdeckt. 1 700 m² Laden- und Serviceflächen entstanden in der um 1,50 m tiefer gelegenen, verbreiteten Passage, die nicht nur die Bahnsteige, sondern die Elisabeth-Vorstadt mit Schallmoos schwungvoll und mit dynamischer Weitung verbindet. Wofür der Boden der restaurierten Eingangshalle des alten Bahnhofs leicht zur Passage hin abgesenkt wurde, wo nun ein überraschend heller Weg, mehr diagonal als linear, mehr Platz denn Tunnel, völlig vergessen macht, dass man sich hier unter dem Gleisgelände befindet. Wo ein sehr stringentes architektonisches Konzept, glatter, heller und vieler geneigter Oberflächen beiträgt, dass sich jegliche Werbung dem Raum unterordnet und sich mit viel Transparenz viele Ein- und Durchblicke von Raum zu Raum einstellen.

Das Highlight aber ist die neue Bahnsteighalle, deren Form und Konstruktion Salzburg ein neues Stadtzeichen verschafft. Ein vielfach geschichtetes Dach mit scharfkantigen „Schollen“ aus Stahl und weichen pneumatischen Luftkissen, die sich entlang der leicht gekurvten Gleise wie ein bewegter Baldachin über den Raum legen. Als eine Reminiszenz an die frühere Stadtrandlage des Bahnhofs im Übergang zur alpinen Landschaft möchte Gerhard Wittfeld sein Bauwerk verstanden wissen, als einen luftig durchlässigen Pavillon, der Mobilität bildhaft im Stadtraum zum Ausdruck bringt, aber keineswegs Dominanz beansprucht.

Mit beeindruckenden Spannweiten bis zu 52 m überragen die neuen Stahldächer die alte Bogenbinderhalle von 1907, deren 300 t schwere Konstruktion – 79 m lang und fast 25 m breit in 1 000 Einzelteile zerlegt, restauriert, leicht versetzt und um Spannstangen ergänzt, wieder aufgebaut wurde. Flach, glatt und strahlend weiß mit Aluverbundplatten entlang der Unterseiten und Kanten verkleidet, scheinen alle Bahnsteigdächer fast schwerelos über dem Verkehrsraum zu schweben. Ein Eindruck, der vor allem auf ihre besondere Form zurückzuführen ist, die sie zur alten, neu implantierten Bogenbinderhalle ansteigen, quasi „aufklappen“ lässt, um einerseits dem Alten ehrvolle Referenz zu erweisen und andererseits das eigentlich Feste als sehr beweglich erscheinen zu lassen. Eine Geste, die räumlich starke Wirkung entfaltet, weil sie einfach nicht der schlichten Logik der linearen Verkehrswege folgt, sondern bewusst raumgreifend ist.

Die Leichtigkeit der neuen Konstruktion verblüfft, wenn man erfährt, dass diese Dächer erst gegen Ende des Planungsprozesses deutlich verstärkt wurden. Denn aufgrund des Einsturzes der Eislaufhalle in Bad Reichenhall (2006) wurde ihre Schneelast von 100 auf 230 kg hoch gesetzt. Dass trotz dieser Änderung das Budget des Bahnhofsprojekts nicht überschritten wurde, ist u.a. dem Wechsel der Architekten von Glas zu Luftkissen für das große Bogendach über den zentralen Bahngleisen zu verdanken. 161 dreilagige, Druckluft unterstützte ETFE-Folienkissen mit einer Breite bis zu 4,5 m und einer Länge bis zu 24 m erstrecken sich über eine Fläche von 6 000 m². Doch nicht allein das deutlich geringere Gewicht der 250 bis 200 mm dünnen und hoch transparenten Folien, sondern auch ihre erstaunliche Durchlässigkeit konnten den Auftraggeber vom neuen Material überzeugen. Während die Deutsche Bahn jährlich mit erheblichen Kosten Glaselemente ihrer Bahnsteigdächer aufgrund des Funkenflugs der Spannungsabnehmer der Lokomotiven auswechseln muss, können hier die meisten Funken aufgrund der Durchlässigkeit des Hochleistungspolymer 3M Dyneon die Luftkissen problemlos passieren. Mehr als 90 % des sichtbaren Lichtspektrums lassen sie durch, während ihre niedrigenergetische Oberfläche Schmutz allein durch Regen beseitigen hilft. Effizient und zugleich visuell sehr attraktiv erstrecken sich in Salzburg Luftkissen über die Fahrgäste. So entsteht ein eleganter Transferraum, den man so leicht nicht vergisst. Allein die Überausstattung aller Bahnsteige mit zu dicht gesetzten Lichtmasten seitens der ÖBB konterkariert die angenehme Leichtigkeit des Erreichten. Allein hier vertraute man der kongenialen Lichtplanung von Peter Andres Ingenieuren aus Hamburg nicht ganz und setzte auf Standard. Architektonisch überzeugen allein die Enden der Bahnsteigdächer nicht ganz, die durchaus scharfkantiger hätten ausfallen können, nun mehr Dachaufbauten als metallische „Eis-Schollen“ sind. Dem Raum schadet dies nicht, genau so wenig wie der erheblich besseren urbanen Vernetzung des Verkehrsbauwerks mit der Stadt. Was von den Salzburgern vorbehaltlos positiv aufgenommen wird, die den deutschen Architekten, Gerhard Wittfeld, vorbehaltlos loben und ihn auch in ihren Medien gern zu Wort kommen lassen. Dies ist in Österreich die größte Auszeichnung für einen ausländischen Architekten, der sein Großprojekt termin- und budgetgerecht meisterte.

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