Kö-Bogen II, Düsseldorf
Mitten in der eher steinernen Düsseldorfer Innenstadt gibt es jetzt ein grünes Tal; jedenfalls wird das neue, zweiteilige Geschäfts- und Bürogebäude von den Düsseldorfern so genannt: „Ingenhoven Tal“. Eine Auszeichnung durchaus, für das Haus, für seinen
Architekten, der mit „supergreen“ Ideen von einer zukunftsweisenden Architektur vorantreibt. Und hier, gegenüber Dreischeiben- und Schauspielhaus (aktuell von ingenhoven architects saniert), scheint das „supergreen“ super umgesetzt zu sein. Mit rund 8 km Hainbuchenhecken auf zwei Fassadenschrägen und dem Dach trumpft der Neubau auch auf: „Europas größte Grünfassade“(ingenhoven architects).
Was aber ist dran an dem von den Architekten behaupteten Superlativ „Europas größte Grünfassade“? Ist das Grün am Ende nur höchst wirksames Marketing, wie es der Auftraggeber sieht, oder ist sie nicht zuerst eine „mutige Pionierarbeit“, wie unser Heftpartner, Ralf Rache, feststellte?
Städtebau
Ohne städtebauliche Aspekte kann kein Fassadenthema gedacht sein. Im Idealfall jedenfalls. Denn die Fassade ist das Echo ihres Kontexts. Und zwar ein Echo, das das Umliegende zu etwas Neuem weiterentwickelt. Behutsam, zuhörend, aber eben auch mit deutlich eigenem Akzent. So verschieben sich Straßen, Viertel, ganze Städte in den Zeitgeist hinein, den wir aushalten müssen. Alles andere wäre Täuschung.
Der Kö-Bogen II, also das zweiteilige Bautenensemble, generiert mit seinen ein Kerbtal formenden Fassaden einen fast schon theatralisch inszenierten Zugang zum Gustaf-Gründgens-Platz. Das Talende öffnet sich nach Westen hin zu zwei Ikonen der Nachkriegsmoderne, dem Dreischeiben- und dem Schauspielhaus, sowie, allerdings eher leise angebunden, dem Hofgarten mit Wasserflächen und altem Baumbestand. Wie ein Echo auf das, vom Platz aus gesehen rückwärtige Grün, sind die Platzfassaden (West und Nord) komplett begrünt; die auf dem kleineren Bauteil, dem sogenannten „Food-Court“, mit Rollrasen, auf dem demnächst die DüsseldorferInnen picknicken können; die auf dem Hauptgebäude mit einer abgetreppten Hainbuchenhecke, deren Länge tatsächlich rekordverdächtig ist. Die 27 m hohe und 120 m lange Fassade des Hauptgebäudes entlang der südlich liegenden Schadowstraße, eine der meistfrequentierten Einkaufsstraßen Deutschlands, ist komplett verglast und nur oben auf der Dachkante schweben die Pflanztröge leicht in den Straßenraum hinein.
Grünfassade
Die Geschichte der grünen Fassaden, das Bepflanzen von Architektur ganz allgemein, ist eine weit bis in die Antike zurückreichende. Die Hängenden Gärten der Semiramis – eines der Weltwunder und doch nicht mehr als ein sagenhaftes Architekturkonstrukt – machen vermutlich den Anfang, die Friedensgespräche eines Friedensreich Hundertwassers, die eine Aussöhnung der Architektur mit der Natur fordern, springen gleich in unsere Zeit, in der Herzog & de Meuron vertikale Gärten ins Spiel brachten. Und die „Bosco Verticale“, zwei Wohntürme in Mailand von Boeri Studio, erhielten den Internationalen Hochhauspreis, vor allem wegen ihres Fassadengrüns.
Die mikroklimatisch positiven Effekte begrünter Fassaden sind längst nicht mehr bestritten, Luftkühlung, Luftreinigung, Lärmreduzierung und tatsächlich die Aufhellung einer verbreitet misanthropischen Grundstimmung der Städter angesichts der lebendigen, belebten, bewegten Fassaden sind belegt. Nicht wenige haben hier zum Efeu gegriffen und es nach Jahren dann heruntergerissen, weil die Putzfassade darunter Schäden genommen hatte.
Ingenhoven architects hatte das alles im Hinterkopf, als das Büro für den Kö-Bogen II eine grüne Fassade vor Augen hatte. Aber nicht Efeu und auch keine Baumpflanzkübel auf der Terrasse in 50 m Höhe waren das, es sollte ein grünes Kleid werden, eine grüne Umhüllung. Und weil Architekten keine Botaniker sind, weil sie nicht wissen müssen, wie ihr Grün für eine städtische Fassade auszusehen hat, holten sie sich externe
Kompetenz in ihr Planungsteam (siehe dazu auch das Interview mit Christoph Ingenhoven auf S. 38f.).
Laufende Kilometer Hainbuchenhecken
Die Frage, welche Pflanze auf die Fassade sollte, war eine zentrale. Sie sollte nicht immergrün sein – also gerne jahreszeitlich angepasst in eigener Farbe – dafür aber laubhaltend. Sie sollte heimisch sein, leicht zu pflegen und widerständig gegen Witterungsunbill. Sie musste in Trögen oder Kübeln stehen können und bei partiellem Ausfall leicht zu ersetzen sein. Und ja, auch kosten durfte sie nicht mehr, als man bei 35 000 Pflanzen auszugeben in der Lage war.
Gefunden wurde schließlich die Gemeine Hainbuche, „Carpinus betulus“, die die meisten der oben genannten Bedingungen erfüllt. Neben „negativem Kletterverhalten“ zeichnet sich die Pflanze auch durch die Reduzierung ihrer physiologischen Aktivitäten in den Wintermonaten aus (Hibernation mit eingestelltem Wachstum) und mindert dadurch das Risiko, Trockenschäden zu erleiden. 30 000 Pflanzen, sämtlich über mindestens drei Jahre in 3 500 Pflanzkästen großgezogen und in Form gebracht, stehen heute in genau diesen Kästen auf der Fassade und reihen sich in Summe auf 8 km Länge. Wo sie heute über der Blechfassade schweben, war bereits in der Aufzucht klar, womit Exposition (Licht, Wind) und Höhe in der Baumschule bereits simuliert werden konnten. Ebenfalls simuliert wurde an ausgewählten Abschnitten die Tropfbewässerung, die auf den späteren Standort abgestimmt wurde. Die Versorgungsleitungen laufen durch das Tragwerk der Pflanzkästen, die auf der Dachhaut montiert stehen. Wasser und Dünger sind essentiell, denn ohne diese hält auch die widerstandsfähige Hainbuche nicht lange durch. Auch darum sind hier redundante Systeme installiert, und fällt einmal die Versorgung über das Leitungssystem aus, stehen Tankwagen bereit. Pro Meter Hecke wird zwischen 2 und 5,5 l Wasser über das Jahr gerechnet (8 Std./Tag). Damit die Pflanzen nicht absaufen (Überstauung der untenliegenden Anstauschicht), wird überschüssiges Wasser über Drainagen abgeleitet. Einen solchen Notstand allerdings soll eine „bedarfsorientierte Regelung“ verhindern. Über eine in der Fassade integrierte Sensorik werden der Bewässerungsstand, die Tropfer, die Wasserzufuhr im Leitungssystem, Nährstoffgehalt etc. mit dem lokalen Wetter abgeglichen (so die Regenmengen, die Temperatur, Luftfeuchte etc.).
Pflege/Effekte/Nutzen
Ursprünglich sollte die Heckenlandschaft dreimal im Jahr geschnitten werden, im Augenblick geht man von zwei Schnitten aus. Dabei werden die Hecken per Hand in Form gebracht, die Gärtner stehen auf dazwischenliegenden Metallstegen. Ein Schnitt der gesamten Heckenlänge wird bei drei Gärtnern auf ca. eine Woche Arbeit gerechnet. Der im Augenblick noch eingesetzte Kranwagen soll dann nicht mehr zum Einsatz kommen. Mit dem Heckenschnitt werden auch die Zu- und Abläufe kontrolliert. Die sensorische Steuerung wird zentral im Gebäude verwaltet und ist von dort aus justierbar. Abgeschnittene Blätter werden vor Ort aufgefangen und in Säcken abtransportiert. Schnittreste oder Blätter, die zwischen den Schnitten abfallen, können per Luftdruck über die Blechhaut nach unten „gefegt“ werden. Neben dem schon angesprochenen Marketingeffekt, der zusammen mit der Aufwertung der Immobilie durch seine DGNB-Vorzertifikat in Platin in der Rubrik „Neubau Geschäftshäuser“ Standardlevels verlassen hat, wirkt die großflächige Begrünung sowohl nach innen (weniger Wärmeeintrag), wie auch nach außen in den näheren Stadtraum. Die „Atmung“ des Pflanzfeldes und die damit verbundene Thermik führt zu Abkühlungseffekten (Verdunstungskälte), die messbar sind. Zudem produzieren die Pflanzen etwa soviel Sauerstoff, wie rund 80 ausgewachsene Bäume. Die wiederum speichern rund 1 bis 2 t des Klimaveränderers CO2. Immerhin. Schaut man aber auf die Straßen beispielsweise der Landeshauptstadt ist das so viel nicht, ein Golf produziert etwa 2,3 t CO2 im Jahr (bei 20 000 km), eine Menge, die 80 Bäume so gerade kompensieren.
Fazit
Gerade die letzte Zahl stimmt bedenklich, wollte man das Grüne der Fassade an sich als Rettungsanker für das im Kippen begriffene Weltklima auffassen. Christoph Ingenhoven behauptet das aber auch nicht. Er weiß, dass das hier nur ein Anfang sein kann; einer immerhin, der das Mikroklima beeinflussen und die Mengen an Fassadenmaterial (Dämmung z. B.) reduzieren hilft. Die Recyclefähigkeit steht außer Frage, auch der positive emotionale Aspekt, der mit bewusst gesetztem Stadtgrün einhergeht. Hier in Düsseldorf könnte das neue Grün die vorhandenen Grünflächen stärken, ihre Vernetzung vorantreiben, weiteres Grün nach sich ziehen. Damit ist der Kö-Bogen II tatsächlich das Pionierprojekt, als welches wir es ausgewählt haben. Wir sind gespannt auf Herbst und Winter und die kommenden Jahre.⇥ Be. K.
Baudaten
Objekt: Kö-Bogen II
Standort: Schadowstraße, Düsseldorf
Typologie: Mixed-use
Bauherr/Eigentümer: Kö-Bogen II: Düsseldorf Schadowstraße 50/52 GmbH & Co. KG. CENTRUM Projektentwicklung GmbH, Düsseldorf und B&L Gruppe, Hamburg. Parkhaus: Projektentwicklung Hofgartengarage in Düsseldorf GmbH/Partners CENTRUM Projektentwicklung GmbH, Düsseldorf und B&L Gruppe, Hamburg. Gustaf-Gründgens-Platz: Landeshauptstadt Düsseldorf
Architekt: Kö-Bogen II, Parkhaus: ingenhoven architects. Gustaf-Gründgens-Platz: ingenhoven architects und FSWLA Landschaftsarchitektur
Mitarbeiter (Team): Christoph Ingenhoven, Peter Jan van Ouwerkerk, Cem Uzman, Mehmet Congara, Ben Dieckmann, Patrick Esser, Vanessa Garcia Carnicero, Yulia Grantovskikh, Tomoko Goi, Olga Hartmann, Jakob Hense, Melike Islek, Fabrice-Noel Köhler, Christian Monning, Daniel Pehl, Andres Pena Gomez, Peter Pistorius, Lukas Reichel, Jürgen Schreyer, Susana Somoza Parada, Jonas Unger, Nicolas Witsch, Dariusz Szczygielski, Stefan Boenicke, Thanh Dang
Rohbau: HOCHTIEF Infrastructure GmbH, Köln and Bauer Spezialtiefbau GmbH Region West. LEONHARD WEISS GmbH & Co. KG, Göppingen
Haustechnik: Caverion Deutschland GmbH, Deggendorf
Elektrotechnik: Salvia Elektrotechnik GmbH, München
Fassade: FRENER & REIFER GmbH, Brixen | Bressanone (BZ) Italy
Begrünung: Jakob Leonhards Söhne GmbH & Co. KG, Wuppertal
Bewässerung: Mastop totaaltechniek bv, Boskoop
Bauzeit Kö-Bogen II, Parkhaus: 06.2017 – 08.2020
Bauzeit Gustaf-Gründgens-Platz: 06.2017 – 10.2020
Fachplaner
Tragwerksplanung: Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Düsseldorf
TGA-Planung: Ingenieurbüro Dr. Bleiker GmbH, Datteln
Fassadentechnik: Werner Sobek Group GmbH, Stuttgart
Lichtplanung: Tropp Lighting Design, Weilheim
Landschaftsarchitektur: ingenhoven architects / FSWLA Landschaftarchitektur
Brandschutzplanung: Kempen Krause Ingenieure GmbH
Phytotechnologie/Spezielle Bauwerksbegrünung: Prof. Dr. K.-H. Strauch, Beuth Hochschule für Technik Berlin (Fachbereich: Life Sciences and Technology)
Beratung für Vegetationsökologie: Prof. Dr. A. Reif, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Professur für Standortskunde und Vegetationskunde)
Geotechnische Beratung: ICG (Ingenieur Consult Geotechnik) Düsseldorf GmbH & Co. KG
Bebauungsplanverfahren: Heinz Jahnen Pflüger – Stadtplaner und Architekten Partnerschaft, Aachen
Elektrik: CEP City-Elektroplanungs-Gesellschaft mbH, Berlin
Projektdaten
Nutzfläche Geschäftshaus: 41 370 m² BGF
Nutzfläche Tiefgarage: 23 000 m² BGF
Baukosten (nach DIN 276): k. A.
Hersteller
Dach/Fassade: FRENER & REIFER GmbH, Brixen/IT
Fassadenbegrünung: Jakob Leonhards Söhne GmbH & Co. KG, Wuppertal
Brandschutz / Türen, Tore: DORMA/GEZE, FSB
Gebäudeautomation (Heizung / Lüftung / Sanitär: Caverion Deutschland GmbH, Deggendorf
Aufzüge: KONE GmbH, WINDSCHEID & WENDEL GmbHCo. KG
Außenbeleuchtung: Zumtobel Lighting GmbH, WILA Lichttechnik GmbH, Erco GmbH
Die mutige Pionierarbeit großflächig bepflanzter Fassaden sammelt Erkenntnisse zur Bauausführung, Unterhaltung und Einwirkung von Umweltereignissen. Die Wahl der Bepflanzung erscheint verantwortungsvoll gewählt als Fundament für kritische Betrachter, die über ähnliche Ansätze nachdenken. Die lebendig grüne Komponente macht unsere Städte zum Lebensraum.« DBZ Heftpartner Ralf Rache, Rache Engineering