Generalprobe für Wege der Heilung
Klinikum Siloah
Hannover

Es gibt zu viele Kliniken in Deutschland, die rote Zahlen schreiben. Um eine zentrale Versorgung der Kliniken zu gewährleisten und ihre Rentabilität zu erhöhen, werden Standorte zusammengefasst. Bei der Zentralisierung von Klinikstandorten sind Neubauten nötig. So auch in Hannover. Dort wurde das Klinikum Siloah-Oststadt-Heidehaus von sander.hofrichter architekten als interdisziplinäres Krankenhaus in enger Zusammenarbeit mit dem Nutzer entwickelt.

62 000 m² BGF verteilen sich auf einen zweigeschossigen Sockel und ein fünfgeschossigen Riegel mit Kammstruktur mit ca. 500 Betten. Die Herausforderung des Entwurfs war, den Neubau des Klinikums Siloah in Hannover in den Bestand der denkmalgeschützten Pavillonbauten einzubetten und die geforderten BGF auf dem Grundstück unterzubringen. sander.hofrichter architekten lösten diese Aufgabe so überzeugend, dass sie 2007 die europaweite VOF Ausschreibung gewannen.

Die Architekten schlugen ein kompaktes Gebäude vor, dessen
untere zwei Etagen die Untersuchungsräume in einem Sockel fasst
und die oberen fünf Etagen die Pflegeräume in einer dreiflügeligen Kammstruktur. 100 x 150 m misst der Neubau in seinen weitesten Abmessungen.

Aufgrund der denkmalgeschützten Pavillonbauten auf dem Klinikgelände kam dem Bestandsschutz eine besondere Rolle zu. Es war weniger der Lärm als die Erschütterung, vor der die Architekten den Bauherrn im Interimsgebäude schützen mussten. Dem direkt gegenüber dem Eingang des Neubaus liegenden Bestandsgebäude wurde deshalb in der Bauphase Schallschutzfenster eingebaut. Sie sind bis heute erhalten.

Den Eingang mit dem weit auskragenden Vordach orientieren sander.hofrichter zum Bestand hin. Zwei hundert Jahre alte Kastanien flankieren den Eingang an der Klinikallee. Die Straße ist eigens für den Neubau entstanden. Sie beschreibt eine alte Route durch das Grundstück, wie die Architekten herausfanden. Eine glückliche Revitalisierung. Auf der Achse der Eingangshalle schließt sich die Cafeteria und eine Terrasse an mit Blick auf den nahegelegenen Fluss Ihme. So schaffen die Architekten durch die Achse eine Verbindung vom Bestand zum Fluss.

Das Gebäude, zweiachsig geplant mit einer Hauptmagistrale und einer Untermagistrale, vereint 12 Fakultäten von zwei ehemaligen Standorten in Hannover, die interdisziplinär arbeiten, seitdem sie den Neubau bezogen haben. Um die Arbeitsabläufe effizient zu gestalten und den Ärzten und dem Personal kurze Wege zu ermöglichen, trennen die Architekten konsequent die Besucher- von den Patientenwegen. Von der Eingangshalle aus erreichen die Besucher über die Hauptmagistrale die einzelnen Stationen und das Bettenhaus. Die Untermagistrale im Erdgeschoss verbindet die Liegend-Vorfahrt mit der Patientenaufnahme und den Untersuchungsräumen. Im Bettenhaus wiederholt sich das Prinzip. Dort planten die Architekten einen Doppelflur, der die Patientenräume von den Behandlungsräumen trennt. Auf den Stationen herrscht dadurch Ruhe, die zur Genesung der Patienten beiträgt.

Im Grundriss ein Kamm, „hat jedes Patientenzimmer Ausblick auf die Ihme“, sagt Torsten Petroschka. Das war den Architekten besonders wichtig, ebenso wie natürliches Licht im gesamten Klinikum. Denn die Räume und selbst die innenliegenden Flure wirken erstaunlich hell. Das erreichen die Architekten, indem sie den Bezug nach Außen immer wieder herstellen. Die Flure führen vorbei an sieben Lichthöfen unterschiedlicher Größe und enden oftmals an Fenstern, die genügend Licht ins Innere bringen. Das lässt das Klinikum, ob seiner Größe, überschaubar wirken. Hinzu kommt ein Farb- und Materialkonzept, das die Architekten erarbeiteten, um den Besuchern und den Patienten die Orientierung zu erleichtern. Das Signaletikkonzept, die Beschilderung des Gebäudes, haben die Architekten von Anfang an mitgedacht. Die drei Flügel der Bettenhäuser sind den Farben Rot, Gelb und Violett zugeordnet. Diese Farben leiten die Architekten von den Heilpflanzen Calendula, Hibiskus und Lavendel ab, die den Stationen ihre Namen und ihre Farben geben. Auf den unteren zwei Etagen ist Grün die immer wiederkehrende Farbe an Wänden und Schiebetüren. „Farben sind einfacher zu erinnern“, erklärt Torsten Petroschka, Geschäftsführer von sander.hofrichter architekten, „die Patienten erinnern, dass sie auf der roten, gelben oder violetten Station liegen.“

Wichtig: Identifikation

Torsten Petroschka und Carsten Meiners von sander.hofrichter architekten sind sich einig, dass eine Zentralisierung von Standorten einen sensiblen Umgang mit den Nutzern bedarf. Denn das gemeinsame Arbeiten an einem Standort erfordert auch andere Handlungsabläufe. Diese zu sondieren, zu kategorisieren, sie zusammenzufassen und ihnen in Räumen Rechnung zu tragen, war die Aufgabe von sander.hofrichter architekten. Gemeinsam mit dem Bauherrn erarbeiteten die Architekten und die Berater für Krankenhausplanung Lohfert & Lohfert aus Hamburg ein Betriebs- und Organisationskonzept. Es beschreibt detailliert die Betriebsabläufe der unterschiedlichen Fakultäten. „Insgesamt gab es 24 Nutzergruppen mit bis zu 12 Teilnehmern“, erzählt Carsten Meiners, der die Termine der „Nutzerrunden“ organisierte und leitete. Die Gespräche fanden von 2009 bis 2011 alle zwei Monate statt. Selbst in der Ausführungsplanung wurden die Gespräche fortgeführt, um Detailplanungen des Zentral-OPs und der Leitstellen zu besprechen. In den Gesprächsrunden können die Nutzer ihre Bedenken und Bedürfnisse äußern sowie Vorschläge einbringen. Es war eine enge Zusammenarbeit, die teils anstrengend, aber dennoch bereichernd war. Und die Identifikation der Nutzer mit „ihrem“ Gebäude fördert. Dass der Sockel am Ende nicht mit schwarzen Klinkern verkleidet wurde, wie es die Architekten ursprünglich vorgesehen hatten, ist z. B. das Ergebnis einer dieser Nutzerrunden. Der Bauherr konnte sich einen schwarzen Sockelbau nicht vorstellen, obwohl es Materialbemusterungen gab. Nun ist die Fassade der zwei unteren Geschosse aus gebranntem und geschlämmtem, hellem Klinker. Dass der Neubau mit einer schwarzen Klinker-Fassade zwar eleganter ausgesehen hätte, jedoch nicht einladender, ist mittlerweile auch die Meinung der Architekten. „Es gibt Dinge, die wir vorgeben und an denen ist dann auch nichts zu rütteln“, sagt Thorsten Petroschka auf die Frage hin, inwiefern die Nutzer Einfluss auf die Gestaltung der Architektur nehmen können. So waren Vorgaben der Architekten kurze Wege, natürliches Licht und eine flexible Zimmerbelegung.

Im 1. Obergeschoss befinden sich OP-Säle und eine Patientenaustauschzone, kurz PAZ. Die PAZ, im Grunde der Vorbereitungs- oder Aufwachraum vor und nach einer OP, ist ein beliebtes Detail der Architekten. Das sieht man ihren lächelnden Gesichtern an, wenn sie über die PAZ sprechen. „Der Name habe sich irgendwann eingebürgert und ist dann übernommen worden“, sagt Carsten Meiners, Projektleiter bei sander.hofrichter architekten.

Die PAZ ebenso wie die Stationen „floaten“. Das heißt, es gibt eine fließende Zugehörigkeit der Räume zu den Stationen. Die Räume der PAZ und im Bettenhaus entlang der Längsseite können je nach Belegung verschiedenen Stationen zugewiesen werden. Das verbessert die Wirtschaftlichkeit der Klinik.

Aufenthaltsräume in den Ecken des Bettenhaus-Riegels erhöhen die Mobilität der Patienten, die frühmöglich stattfinden soll. Die Leitstationen sind offene Theken, die den Patienten und Besuchern die Scheu des Herantretens nehmen sollen.

Das Motto „der Arzt kommt zum Patienten“ setzen die Architekten in ihrem Raumprogramm konsequent um. Sie legen Stationen sinnvoll zusammen: im 1. OG befinden sich Untersuchungsräume, Notaufnahme und Funktionsdiagnostik, im 2. OG Intensivstation, Endoskopie, Interventionelles Verfahren, OP-Säle und die PAZ – verbunden durch Aufzüge. Ein Aufzug allein bedient den Hubschrauberlandeplatz für Notfälle.

Verständlich: Kommunikation

„Vom ersten Tag des Einzuges an, muss eine Klinik funktionieren. Die Arbeitsabläufe müssen sofort sitzen“, sagt Torsten Petroschka. Weswegen die Architekten mit dem Bauherrn „Probeläufe“ durchspielten. Es ist wie eine Generalprobe. Arbeitsabläufe werden simuliert, um sie zu verbessern und Unsicherheiten des Personals zu nehmen. Zum Beispiel, ob Patienten aufgrund der mit grünen Punkten versehenen, vertikalen Fensterscheibe krank aussehen würden, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind. Deshalb bauten die Architekten ein 1 : 1 Mock-up des Patientenzimmers, so dass sich das Personal frühzeitig an die bevorstehenden Veränderungen gewöhnen konnte und gegebenenfalls Verbesserungen vorschlagen konnte.  „Kommunikation zwischen dem Bauherrn und dem Architekten ist das A und O“, resümiert Petroschka. Bereits in der Planungsphase wurden 170 künftige Nutzer zu den Anforderungen an das neue Klinikum befragt. Die Erkenntnisse flossen in den Entwurf. Die Architekten sind mit dem Gebäude sehr zufrieden. Es war eine gute Zusammenarbeit mit dem Bauherrn. Dessen Bauherrnvertreter habe ein gutes Gespür für Architektur, sagt Petroschka. Das vereinfachte die Gespräche über Architektur enorm. S.C.

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