Goldene Gardinen oder Architektur aus Luft
Die 12. Architekturbiennale lädt an einen großen Sehnsuchtsort
Wenn Sie diesen Artikel lesen, haben sie noch Zeit genug, vielleicht 30 Tage oder ein paar mehr. Fahren Sie nach Venedig, zur 12. Architekturbiennale. Vergessen Sie, was sie darüber bisher gelesen haben, es stimmt alles nur halb oder sogar gar nicht. So auch das, was ich hier Ihnen schreibe. Eigene Anschauung ist nicht zu delegieren. Setzen Sie sich den vielfältigen Eindrücken der Ausstellung aus, leiden Sie am Mittelmaß, an allem Unverstand, jubeln Sie ob des Gelungenen und bringen Sie Zeit, viel Zeit mit.
Das Meiste finden Sie in den Arsenale, diesem viele hundert Meter langen Ausstellungraum wo einst Hanfseile gedreht wurden. Die ehemalige Corderie zieht Raum für Raum vorwärts, hinauf und hinab, beschleunigend, bremsend. Da gibt es ein Kino mit einem schwülstigen Film von Wim Wenders, starring SANAA, dem Büro, dessen Partnerin die diesjährige künstlerische Leitung der Architekturbiennale innehat. Und deren natürliches Selbstbewußtsein – sie und ihr Partner führen das international avancierteste Architekturbüro – macht die Ausstellung entspannend schlicht wie komplex zu gleich. Keine schematisierten, inszenierten Zahlentabellenkolonnenberge, kein High-, kein Highlowtec, keine an die Wand geschraubten Statements.Es ist, als gehe man durch ein Museum für zeitgenössische Kunst, das Raum für Raum Installationen und Bilder präsentiert, die sich alle dem Thema Architektur angenähert haben. Los geht das mit einer aus Granit geschnittenen Skulptur der Chilenen Smiljan Radic und Marcela Correa („The Boy hidden in a Fish“), in welcher man liegend eine Ahnung davon bekommt, wie es sich anfühlt, verschüttet zu sein. Auf diesen Erfahrungsraum folgt ein quergerichteter Kinosaal mit dem schon genannten Wenders-Film über das Learning Center in Lausanne. Dann steht man vor einer effektvoll angeleuchteten Wand aus zwei sich kreuzend geschichteten 1:1-Nachbildungen der Hauptträger eines extravaganten wie genialen Wohnhauses von Antón Garcia Abril & Ensamble Studio. Ein paar Räume weiter zeigen Transsolar & Tetsuo Kondo Architects mit dem sinnlich inszenierten „Cloudscapes“ wie eine künstliche Wolke Klimazonen in der Vertikalen schafft. Dann inszeniert Studio Mumbai Architects ihr Atelier mit Holz-, Kupfermodellen und -details, wie sie in einer zugestaubten Wunderkammer des 18. Jahrhunderts liegen könnten und die die Archäologen von heute per Zufall in Venedig geöffnet haben.
Es folgen R&Sie(n) mit „The buildingwhichneverdies“, dann eine Sammlung von Interviews, die der Interview-Marathon-Weltmeister und Erfinder dieser Disziplin überhaupt, Hans Ulrich Obrist, mit den Protagonisten-Architekten auf der Biennale geführt hat und führen wird. Nach dem unvermeidlichen Olafur Eliasson (in Venedig mit vier Arbeiten), gleichsam die Gegenklammer zu Garcia Abril: der Schweizer Valerio Olgiati mit seinem „Perm Museum XXI“. Und hinter Toyo Itos Opernhaus im taiwanischen Taichung klingt Janet Cardiffs „40 Parts Motet“ auf, spirituelle Musik, transformiert aus einem Choral von Thomas Tallis aus dem 16. in die Anfänge des 21. Jahrhunderts. Hier kann man lange sitzen und sich der Musik aus dem 40-stimmigen Lautsprecherrund hingeben.
Bei Janet Cardiff scheint die Ausstellung zu enden, der Weg führt aus der Corderie hinaus ins Helle und um ein paar Ecken wieder hinein in die „unterpriviligierten“ Nationenpräsentationen außerhalb der Giardini. Dass man hier einen Beitrag (Bahrain) findet, der der Biennale-Jury den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag wert war, ist aus der Rückschau nachvollziehbar. Die Beiträge in den „privilegierten“ Pavillons sind sämtlich zu leicht und zu wenig konkret und kaum relevant für den dahindümpelnden internationalen Architekturdiskurs.
„Rückgewinnung“ lautet das Motto des Königreichs Bahrain, es wird mit drei Fischerhütten anschaulich gemacht, die längst ihre Wasserfront aus den Augen verloren haben und also überflüssig geworden sind (weshalb sie auch nach Venedig reisen konnten).Das Überflüssige in Venedig? Vieles erscheint so zu sein weil allzu bekannt oder einfach nichtssagend, insbesondere gilt das für die Nationenbeiträge in den Giardini.
Nicht gerade mit Sehnsucht, doch mit Spannung wurde der deutsche Beitrag erwartet.„Sehnsucht“ hatten sich die Kuratoren auf die Agenda notiert, von welcher aus ein Statement zur gegenwärtigen Befindlichkeit in der deutschen Architekturdebatte verfasst werden sollte. Es kam heraus der Abklatsch eines Salons, schiefes Versatzstück einer Epoche, in welcher an solchen Orten schon mal Revolutionen vorbereitet, dadaistische Manifeste gefertigt wurden. Damals standen die Salons für das aufklärerische Moment in einer bildungshungrigen Zeit – „Gesellschaft“ war handfester als das, was heute mit „Wissensgesellschaft“ wissentlich weichgespült wird. Der in Venedig nett hergerichtete deutsche Pavillon ist dagegen von geradezu unfassbarer Betulichkeit, die Tugenden einer Salon-Bürgergesellschaft werden hier durch Banalitäten korrumpiert. Die mäßig goldenen Vorhänge zwischen den monumentalen Eingangssäulen hätten Warnung genug sein müssen, denn wenn das hier Gezeigte die Sehnsuchtsmarker sind, die Architektur und Gesellschaft (voran) treiben, dann Gnade uns, ihr Götter! Sehnsucht? Ja, nach Wim Wenders alten Filmen, den „40 Parts Motet“ im bröckelnden Backsteinindustriebau, der Ephemer-Architektur von junya.ishigami+associates („architecture as air: study for château la coste“) und natürlich der Lagunenstadt selbst: Venedig; vielleicht ist das der Nenner unser aller Sehnsucht?! Be. K.