Grüße aus Como
Case Study #1, Hamburg
Wenn ein Modulhaus von einem Architekten geplant wird, ist der Anspruch hoch – wie gestaltet und entwirft man gut und kostengünstig? Der Professor für Städtebau, Paolo Fusi gibt eine Antwort.
Seit die Industrialisierung das Bauen revolutionieren wollte und wir immer wieder feststellen mussten, dass Häuser sich nicht ohne Weiteres für Serien oder gar Großserien eignen, sondern Unikate und zwar händisch und handwerklich sind, reden und schreiben wir über das Thema des modularen Bauens. Aber so wie bei einem Auto der optimierten Serie Prototypen vorausgehen, so braucht es auch beim Bauen Modelle. Wir nennen sie oft Case Study Houses und die Hamburger IBA in Wilhelmsburg nutzt in der Mitte Wilhelmsburg unter dem Etikett „Bauausstellung in der Bauausstellung“ dazu, Modellbauwerke einem internationalen Publikum vorzustellen. In der Abteilung „Smart Price Houses“ wird Case Study #1 Hamburg präsentiert und Smart Price ist natürlich als Hinweis darauf zu verstehen, dass man die Baukosten optimieren oder eben für ein und dasselbe Geld mehr Haus bekommen möchte. Dieser Vorteil wird sich dann beweisen lassen können, wenn man wirklich nach der Studie in die angestrebte Serienherstellung einsteigt. Weil mit der Schwörerhaus KG ein renommierter Fertighaussteller als Investor beteiligt ist, stehen die Chancen gut, dass sich aus dem hier vorgestellten Modularhaus tatsächlich ein Serienprodukt entwickeln lässt. Es könnte überall in unseren Städten in verdichteter Form, als städtisches Mehrfamilienhaus, in der Lücke, in der Reihe oder als Punkthaus ein Ergänzungsangebot zum Einfamilienhaus, dem klassischen Produkt der Fertighausbranche, werden.
Wenn man den Entwurf der Architekten Ammann & Fusi losgelöst vom Thema einer IBA oder auch jenseits der unmittelbaren Zwänge des Grundstücks betrachtet – was man unbedingt sollte – dann verblüfft erst einmal die gestalterische Sorgfalt des Norditalieners Paolo Fusi, der aus Como stammt und die verblüffend rationale Rezeptur der Raumkompositionen von Guiseppe Terragnis (1904-1943) im Tornister hat. In Hamburg sorgt Paolo Fusi seit einigen Jahren als Städtebauprofessor für die italienischen Momente im Alltag der HafenCity Universität.
Dieses architektonisch hervorragend gemachte Beispiel hinter seiner fast schwarzen und gut komponierten Lerchenholzschalung (viele andere Gebäudeumhüllungen sind denkbar) soll, so Paolo Fusi, eine Antwort darauf geben, wie wir im 21. Jahrhundert wohnen: „nämlich vielfältig“. Das heißt: „Ich suche eine Typologie, die anpassungsfähig ist“. Fusi illustriert das mit einer bunten Stapelisometrie, mit der sich zeigt, dass es wirklich so einfach ist, als ob man mit Legosteinen baut – vorausgesetzt, man beherrscht es und setzt das Modul in der sinnvollen Größe an. Hier werden 45 m ² große Module mit quadratischer Grundfläche horizontal oder vertikal zusammengesetzt und gestapelt. So entstehen Grundrisse, die den verschiedenen heutigen Lebensansprüchen genügen können – für Wohnen + Arbeiten, für unterschiedlich viele Personen: die eine individuelle Aufteilung ermöglichen und weil sie geschossübergreifend sein können, entstehen Units mit stark separierten Bereichen, beispielsweise für Homeoffice und Individualräume auf verschiedenen Ebenen, was man heute auch hybrides Bauen nennt.
Der Trick von Fusi: Er abstrahiert das Grundmodell des Lofts, also des hohen, neutralen gut erschlossenen und vielfältig belichteten Raums. Und legt so wenig wie möglich fest. Die Raumgrößen reichen von 45 m², sogenannten „Mikro-Lofts“, bis hin zu 140 m² großen „Makro-Lofts“ (3 Module). Das Mezzoloft verfügt über 2 Module. Wenn die Lofts vertikal, also geschossübergreifend angelegt werden, entsteht dadurch eine Art Einfamilienhauscharakter auf der Etage beziehungsweise eine Variante eines Townhouses. Auch der direkte Zugang zu Garten, Terrasse und Dachterrasse ist möglich. Im Wilhelmsburger Beispiel ist dieser von jeder Wohnung aus gewährleistet.
Die Module konzentrieren sich jeweils um einen Schacht, der haustechnische Installationen enthält und auch als statischer Kern funktioniert. Die Module bestehen aus vorgefertigten Elementen. Das sind Spannbetondecken, Holz-Verbund-Konstruktionen und Beton-Fertigteilwände mit für den Fertighausbau klassisch vorgehängter Holzkonstruktion. Hier zeigt sich der Vorteil des Herstellers, der mit einer Inhouse-Kompetenz und möglicherweise auch seiner Marktmacht, sehr kostengünstig arbeiten kann.
Das gilt auch für Sekundärstrukturen wie die der Baderäume. Wobei es sich dabei um ausgereifte Produkte handelte, die bereits für das Hotel im Bau der Elbphilharmonie produziert wurden und dort seit Monaten, fast Jahren auf die Installation warten. Die übrigen Innenräume der Module sind klar strukturiert und durch nachträglich montierbare Trennwände, Schiebeelemente oder Möbel an veränderte Bedürfnisse der Nutzer anpassbar. Auch wenn die Möb-lierung dieses „Musterhaus“ manchmal nicht im Sinne des Architekten alle Möglichkeiten illustriert, sondern eher auf Produkte und marktgerechte Wohnklischees eingeht, entgeht den Besuchern nicht, wie liebevoll Fusi beispielsweise enge und weite Raumsituationen, Zugänge, Treppen und Freibereiche sehr ideenreich nach Terragnis Vorgaben, soll heißen seinen perfekten Proportions- und Kompositionslehren variiert hat. Oder wie die Struktur gleichzeitig einfach gehalten wird und ohne eigene Prätension zur Bühne der jeweiligen Bewohner werden kann.
Leider muss man noch immer feststellen, dass die Deutschen letztendlich mit dem Typus Loft fremdeln. Oder liebenswürdiger ausgedrückt, es nicht gelernt haben, damit umzugehen. Die Räume können zwar nachträglich geteilt werden, was sinnvoll sein kann, aber den Loftcharakter beeinträchtigt. Natürlich können bodentiefe Fenster nachträglich verhängt werden, wenn das Bett dahinter steht. Doch dann ist ja der schöne Blick ins Freie gestört. Der Italiener Paolo Fusi löst das ganz südeuropäisch: „Mit einem Paravant!“
*Kleine Nachbemerkung. Auch wenn es nicht zu diesem Thema gehört: Weil die IBA Hamburg ebenfalls den Schwerpunkt Bauen im Klimawandel gesetzt hat, besitzt Case Study # 1 Hamburg ein vorbildliches Energiekonzept: Es basiert auf dem Energieverbund Wilhelmsburg Mitte. In dem Energieverbund werden Energieanlagen in verschiedenen Gebäuden zu einem großen „virtuellen“ Kraftwerk zusammengeschaltet. Das Wärmenetz ist offen für alle Anlieger zur Einspeisung von erneuerbarer Wärme. Das Case Study #1 Hamburg besitzt einen Anschluss an die Fernwärme des Energieverbundes, das mit einem Frischluft-Heizsystem zur kontrollierten Lüftung und Heizung mit Wärmerückgewinnung gekoppelt wird.