Leuchtende Schwarmstruktur

Grundschule Clenze, Clenze

In der Astrid-Lindgren-Südkreisschule in Clenze wird nicht in Klassen, sondern in Lerngruppen unterrichtet. Das Gebäude mit dem innovativen pädagogischen Konzept wurde von Ralf Pohlmann Architekten fertig gestellt. Dabei spielt auch das Beleuchtungskonzept von Andres Lichtplanung eine wesentliche Rolle. Es wurde 2019 mit dem Deutschen Lichtdesignpreis ausgezeichnet.

Grundidee der Grundschule Clenze ist das Unterrichten in Lernlandschaften, in denen jeweils etwa 40 Kinder von zwei Lehrkräften bei der Bearbeitung ihrer individuellen Aufgaben betreut werden. Wie in einer Art Großraumbüro sitzen die Schülerinnen und Schüler in „Flüsterkultur“ an speziell für das Konzept entwickelten Tischen in Vierergruppen und haben durch eine kleine, etwa 25 cm hohe Rückwand doch jeder seinen eigenen klar definierten Platz. Von diesen Lerngruppen gibt es im Hauptgebäude insgesamt vier, verteilt auf zwei Gebäudeflügel und auf Erd- und Obergeschoss. Zu jedem Lerngruppenbereich gehören, neben der großen Lernlandschaft, eine Garderobe und zwei Gruppenräume, die in dem Projekt übrigens „Inputräume“ heißen. In einem kann separat mit einzelnen Kleingruppen gearbeitet oder auch im Frontalunterricht unterrichtet werden. Der zweite ist mit einer Küchenzeile ausgestattet, so dass die Kinder hier kochen lernen oder das Frühstück mit vorbereiten können. Jede Lerngruppe hat ihre eigenen Sanitärräume. „Das funktioniert super!“, erklärt Architekt Ralf Pohlmann begeistert. „Identifikation und Verantwortung für die Räume sind deutlich höher als an anderen Schulen.“ Jeder Lerngruppe wurde, um die Identifikation zu steigern, eine Farbe zugeordnet, die aber weder am Boden noch an den Wänden zu finden ist, sondern an den Decken und zwar in Form von farbigen Leuchten.

Lichtkonzept mit engem Budget

„Ziel war es, eine Serienleuchte zu finden, die zum Konzept dieser Art von Schule passt, die individuell ist und doch das Budget nicht sprengt“, so Arne Hülsmann, Gesellschafter im Büro Andres Lichtplanung aus Hamburg. „Klar war aber auch, dass die schlichte, quadratische Deckenleuchte allein hier nicht hergepasst hätte, auch wenn sie das richtige Licht liefert und im Kostenrahmen liegt.“ Die geradezu geniale Idee war dann, unter die recht schlichten Leuchten quadratisch ringförmige Elemente mit farbiger Oberfläche zu hängen. Diese wurden mit einer CNC-Fräse aus Multiplex geschnitten und farbig lackiert. Dabei durften die Ringe allerdings nicht an den Leuchten selbst befestigt werden. Stattdessen sitzen die Stahlseilabhängungen direkt neben den Leuchten in der abgehängten Decke. Die Farbigkeit wirkt dabei doppelt: Zum einen durch die Ringe selbst, die den Gruppen in Orangegelb, Grün, Rot und Blau ihre jeweilige Farbidentität geben sowie zusätzlich durch die Reflexion der Farben an die Decke.

Gleiche Lichtqualität für alle

Interessant ist bei dem Konzept zudem die Verteilung der Leuchten unter der Decke, die nicht in einem gleichmäßigen Raster angeordnet sind, sondern, an den Tageslichtverhältnissen orientiert, enger oder weiter auseinanderliegen: „Wir sprechen hier von einer Schwarmstruktur“, erläutert Lichtplaner Hülsmann. „Die maximale Ausnutzung des Tageslichts hat bei unseren Konzepten einen sehr hohen Stellenwert. Im Clenzer Projekt sieht man sehr schön, in welchen Bereichen mehr und wo weniger Kunstlicht erforderlich war.“ So waren beispielsweise entlang der Fassaden weniger Leuchten notwendig als in der Raummitte. Und Architekt Ralf Pohlmann ergänzt: „In Absprache mit den Lichtplanern und den Bauherrn wurde entschieden, bis auf die Nordfassade die Isolierverglasung von einer Drei-Scheiben- auf eine Zwei-Scheiben-Verglasung zu reduzieren, um so mehr Tageslicht in den Raum zu holen, was sich immer positiv auf den menschlichen Organismus auswirkt. Einschränkungen der Energieeffizienz gab es dadurch nicht.“

Es ist aber nicht nur die Menge an Tageslicht, die sich positiv auswirkt. Für die Lichtplaner aus Hamburg ist es grundsätzlich wichtig, die Nutzer der jeweiligen Räume mit ausreichender Beleuchtungsstärke zu versorgen. Der von der DIN geforderte Mindestwert von 300 Lx Kunstlicht ist für die Planer ein absoluter Mindestwert, der lediglich den reinen Sehbedarf abdeckt, nicht aber biologisch wirksam ist. Angestrebt werden sollte eine Beleuchtungsstärke von mindestens 1 000 Lx über mindestens drei Stunden am Tag, um so beispielsweise auch die Konzentration der Kinder zu fördern.

Beleuchtung im Wir-Raum

Die markanten „Ringe“ begegnen dem Besucher auch schon gleich am Anfang, wenn er das Schulgebäude über den so genannten Wir-Raum betritt. Dieser ist Eingangsfoyer, Pausenhalle, Aula, Begegnungsraum und Bibliothek in einem. Von hier führt auch die Treppe an der linken Raumseite zur umlaufenden Galerie des Obergeschosses. Die angesprochenen Leuchten-Ringe sind zwar in Form und Farbigkeit an die Leuchten der Klassenräume angepasst, hier aber deutlich größer und auch jeweils nur einmal pro Farbe vertreten. Anders als in den Lernlandschaften werden diese im Wir-Raum nicht über die quadratischen Flächenleuchten, die für eine eher diffuse Lichtstimmung zur besseren Konzentration dienen, sondern über Downlights inszeniert. Diese wurden zum einen eingesetzt, um bei einer größeren Raumhöhe eine effiziente Beleuchtung zu erzielen, zum anderen auch um eine lebendigere Stimmung zu erreichen. Trotz der grundsätzlich anderen Art der Beleuchtung, kommt auch in diesem Raum der Effekt des sich reflektierenden Lichts gut zur Geltung: Über jedem Ring wird eine andere Farbigkeit erzeugt.

Farbigkeit, Materialität, Fassade

Diese vier identitätsstiftenden Gruppenfarben tauchen übrigens auch an der markanten Holzfassade wieder auf: Die Fläche aus grau gestrichenen, sägerauen Fichtenbrettern der Verschalung ist immer wieder von schmalen, gehobelten Leisten in Gelb, Rot, Blau oder Grün unterbrochen. Wie auch im Innenraum ist Buntheit der Effekt, aber ohne aufdringlich zu sein.

In dem Neubau hat das innovative pädagogische Konzept genau den passenden Rahmen gefunden. Bei der Entwicklung der baulichen Umsetzung war die Idee, dass Architekt, Schule und Bauherr vor der Planung gemeinsam diverse Schulen unter die Lupe nehmen, offensichtlich erfolgreich. Auch die Beauftragung eines gesonderten Lichtplanungsbüros hat Früchte getragen. Das Projekt hat gezeigt, dass es möglich ist, durch eine gleichberechtigte Planung zwischen Architektur, Haustechnik und Beleuchtung ein gesundes, anregendes Lernumfeld zu schaffen, ohne Mehrkosten zu erzeugen. ⇥Nina Greve, Lübeck

Durch die Zusammenarbeit mit Schulträger und Architekt konnte die Nutzung des Tageslichts bereits zu Beginn der Planung optimal eingebunden werden. Aufbauend auf einer umfangreichen Tageslichtanalyse entstand ein im besten Sinne nachhaltiges Kunstlichtkonzept – einfach in der Nutzung, energieeffizient und im hohen Maß von
Schülern und Lehrern akzeptiert.«

⇥DBZ Heftpartner Prof. Dr.-Ing. Paul Schmits

Baudaten

Objekt: Grundschule Clenze

Standort: Kassauer Str. 6, 29459 Clenze

Typologie: Grundschule

Bauherr: Samtgemeinde Lüchow (Wendland)

Nutzer: Astrid-Lindgren-Südkreisschule

Architekt, Bauleitung: ralf pohlmann : architekten, Waddeweitz,

www.pohlmann-architekten.de

Projektleitung: Anna Kahl, Ralf Pohlmann

Team: Jörg Pawletta, Jonas König

Bauzeit: August 2014 – Mai 2016

Fachplaner

Lichtplaner: Peter Andres Beratende Ingenieure für Lichtplanung, Hamburg,

www.andres-lichtplanung.de

HLS-Planer: ingenieurbüro heimsch, Rastede, www.ibheimsch.de

Elektro-Planung: Ingenieurbüro Kathage, Oldenburg

Projektdaten

Grundstücksgröße: 10 500 m²

Brutto-Grundfläche: 2 309 m²

Nutzfläche: 1 780 m²

Verkehrsfläche: 52 m²

Brutto-Rauminhalt: 9 671 m³

Baukosten (nach DIN 276)

Gesamt: 2,99 Mio. €

Kosten (€/m² BGF): 2 165 €

Projektdaten Licht

Leuchtmittel: LED

Farbtemperaturen: 4 000 K

Lichtmanagement/Steuerungssystem: DALI

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 3,8 kWh/m²a

Gebäudehülle

U-Wert Wand=0,14 W/(m²K)

U-Wert Dach=0,11 W/(m²K)

U-Wert Fenster=0,90 W/(m²K)

Hersteller

Beleuchtung: Zumtobel Group,

www.zumtobel.com

Dämmung: Isofloc AG, www.isofloc.de

Türen/Tore: Schüco International AG, www.schueco.com

Zutrittssystem: FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co. KG, www.fsb.de

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