Grundschule Freiham Quartierszentrum, München
Am Beispiel der vier Grundschulen in München ist eindrucksvoll zu sehen, wie die Funktionen der akustischen Elemente der Architektur nicht nur folgen, sondern diese zu einem Ganzen komplettieren. ⇥DBZ Heftpate Steffen Czychi
München wächst rasant – bis zum Jahr 2030 entstehen im Zuge einer Bildungsoffensive 45 neue Schulen im Stadtgebiet, davon allein 24 Grundschulen. Da überrascht es nicht, dass die Verantwortlichen neue Wege gesucht haben, diesen Prozess möglichst effizient zu organisieren.
Im Fall der vier Grundschulen – von denen wir hier die Grundschule Freiham Quartierszentrum vorstellen – war dieser neue Weg ein Wettbewerbsverfahren, bei dem ein modulares Grundkonzept für vier konkrete Standorte mit verschiedenen Grundstücken und jeweils unterschiedlichen Zusatzfunktionen entwickelt werden sollte.
Fünf Jahre nach dem Wettbewerb sind die vier Schulen, die wulf architekten mit ihrem einfachen und zugleich überraschenden Konzept für sich entscheiden konnten, in Betrieb.
Ob sich für den Bauherrn alle Vorteile der Skalierung, z. B. was die Kosten- und Zeiteinsparung beim parallelen Bau von vier typgleichen Schulen betrifft, tatsächlich eingestellt haben, wird sich in der Zukunft noch zeigen. Jedoch zeichnet es sich jetzt schon ab, dass das Experiment des modularen Bauens gelungen ist.
Noch prägnanter kommt die Konzeptidee im Innenraum zum Tragen: Das Herzstück des Konzepts ist die Umsetzung eines immer identischen Lernhauses (siehe DBZ 11|2017, Seite 28 ff.), um das sich je nach städtebaulicher Situation und Programm die zusätzlichen Funktionen gruppieren.
Auf der grünen Wiese
Die Grundschule Freiham Quartierszentrum ist zum Teil noch von grünen Wiesen umgeben: Weil die Wohnbebauung im neuen Stadtviertel noch in Planung ist, stehen sich in Sichtweite zwei der vier Schulen gegenüber. Neben der fünfzügigen Grundschule mit Ganztagsbetreuung umfasst das weitere Raumprogramm eine Mensa, eine Bibliothek, einen Mehrzweckraum, eine Zweifachsporthalle mit Freisportanlagen sowie ein Haus für Kinder mit drei Krippen und drei Kitagruppen und die Verwaltung. Ein helles, lichtdurchflutetes Foyer empfängt Schüler wie Besucher im Neubau und verteilt sie auf kurzem Weg in die Lernhäuser. Das kompakte Volumen des Lernhauses, in dem immer eine Klassenstufe unterrichtet wird, löst die aus der eigenen Schulzeit in Erinnerung gebliebenen langen Flure und Klassenzimmer von der Stange ab. Whiteboards ergänzen die Tafeln, und anstelle von Frontalunterricht können die Schüler verschiedene Raumsituationen für ihren persönlichen Lernfortschritt wählen. Die Tonnengewölbe fallen als prägnantes Element sofort ins Auge. Sie lassen zusammen mit dem sichtbaren umlaufenden Fluchtbalkon einen atmosphärischen Innenraum entstehen, dessen verglaste und zum Teil verschiebbare Innenwände den Eindruck eines offenen Raumkontinuums stützen. Bewusst wurden die Tonnen in ihrer Materialität sichtbar gelassen, wobei sich hellgraue gebogene Sichtbetonflächen mit den warmen Holzoberflächen an den Innenwänden und der Fassade ergänzen. Wenn vom Raum als drittem Pädagogen die Rede ist, wird hier sofort sichtbar, was damit gemeint ist.
Von der akustischen Normung zur Umsetzung
Eine gute akustische Umgebung erleichtert die Kommunikation im Unterricht, kann den Lehr- und Lernerfolg in der Schule verbessern wie auch die Belastungen für die Lehrkräfte reduzieren. Durch die verschiedenen Optionen der Raumnutzung – von offenen Raumstrukturen bis zu geschützten Rückzugsbereichen – bekommt die Akustik, auch vor dem Hintergrund der Inklusion, einen noch größeren Stellenwert. Daher fordert die Landeshauptstadt München bei ihren Schulneu-, aber auch -umbauten schon seit vielen Jahren die Umsetzung der in der „Raumakustiknorm“ DIN 18041 vorgegebenen erhöhten Anforderungen. Waren während des Wettbewerbs die strengen Anforderungen an die Raumakustik noch kein Thema, musste bei der konkreten Umsetzung der vier Schulen schnell eine Lösung für ebendieses Thema gefunden werden. Eine Herausforderung war die Vorgabe, den sommerlichen Wärmeschutz ohne zusätzliche Klimatisierung und ohne Lüftungsanlage einzuhalten. Denn wer das Gewölbe bislang als formale gestalterische Entscheidung gesehen hat, wird überrascht. „Das ganze System basiert auf der nüchternen Betrachtung der Gegebenheiten und Abhängigkeiten: von der Gesamthöhe des Hauses, der erforderlichen Geschosshöhe, der Sichtbarkeit der Materialität, dem notwendigen Luftvolumen für den Luftwechsel und der Speicherfläche für die Kühlung, alles wurde in ebendieser einen Form umgesetzt“, lacht Jan-Michael Kallfaß von wulf architekten. Würde man einen Faktor weglassen, z. B. die Tonne, oder statt des Akustiksegels eine abgehängte Decke einbauen, wäre das Gesamtsystem im Ungleichgewicht und der Raum würde klimatisch nicht mehr funktionieren. Selbiges gilt auch für das Akustikelement: „Die Form ist genau rechnerisch daraufhin austariert, was man an akustisch wirksamer Fläche für den multifunktional nutzbaren Raum benötigt. Was als optische Einheit wirkt, ist tatsächlich ein komplexer Aushandlungsprozess über die Leistenbreite, das Verhältnis von Leiste und Vlies bis zur Wölbung des Elements. Es war aber auch von Anfang an klar, dass das Akustikmodul nicht nur eine Nutzung umfassen kann, sondern alle technischen Anforderungen beinhalten muss. Das umfasst neben der direkten und indirekten Beleuchtung für verschiedene Situationen auch die Bewegungs- und Brandmelder.“
Akustisches Formenspiel
Dass die tonnenförmigen Deckenelemente auch Herausforderungen bergen, bestätigt Steffen Czychi von Müller-BBM, zuständig für die Akustikplanung: „Derartige konkave Formen können, sofern nicht gegengesteuert wird, störende Schallfokussierungen hervorrufen. In einem längeren iterativen Prozess mit diversen Eins-zu-eins-Mustern wurde gemeinsam ein Volumenabsorber entwickelt, welcher den Schall (Nachhallzeit und Schallausbreitung) wirkungsvoll absorbiert und Fokussierungseffekte vermeidet.“ Das ca. 42 cm hohe und 77 cm breite Element besteht aus mehreren Schichten. Neben der Tragstruktur, die die Technik integrieren muss, kommt ein poröser Absorber mit 50 mm Stärke sowie ein 6 mm starker Filz zum Einsatz, auf den Eichenleisten (20 x 15 mm) im Abstand von 20 mm gesetzt sind. Um eine akustische Vorzugsrichtung für Sprecher und Hörer zu vermeiden, müssen schallabsorbierende Flächen an Decke und Wandbereichen gleichermaßen vorgesehen werden. In den Lernhäusern der vier Grundschulen wurden daher die Seitenwände wie auch die Stirnwand des Raums mit mikroperforierten Holzpaneelen verkleidet, die mit Abstand vor der Wand montiert sind. Eine Variation in allen Raumebenen ermöglicht besonders die wirkungsvolle Absorption bei tieferen Stimmfrequenzen, z. B. von Erwachsenen. Steffen Czychis Fazit fällt dazu positiv aus: „Die Raumakustik erfüllt ohne Abstriche die erhöhten Anforderungen der DIN 18041, was auch die Vorgabe der Bauherrin war. Bezüglich der Schalldämmung zwischen benachbarten Räumen ist bei derart offenen Raumstrukturen immer zu diskutieren, inwieweit die Anforderungen an den baulichen Schallschutz erfüllt werden können. Er muss für Schulen in der baurechtlich eingeführten Norm DIN 4109 umgesetzt werden. Dies kann mit Hilfe der teils verglasten oder mobilen Wandflächen auch geschehen. Letztlich geht es darum, in angrenzenden Räumen ohne gegenseitige akustische Beeinträchtigungen unterrichten zu können. Und dank der guten Raumakustik ist dies auch bei geringfügig reduzierten Schalldämmungen sehr gut möglich. Bestes Indiz hierfür sind die teils beim Unterricht offen stehenden Klassenraumtüren, wie dies an Schulen mit offenen Strukturen und guter Raumakustik nicht selten zu beobachten ist.“ Eva Maria Herrmann, München
Baudaten
Objekt: Grundschule Freiham Quartierszentrum (FQZ) in modularer Bauweise
Weitere Standorte in gleicher Bauweise: Freiham Aubinger Allee (FAA), Ruth-Drexel-Straße (RDS), Bauhausplatz (BHP)
Standort: München
Typologie: Schulbau
Bauherr: Landeshauptstadt München, Referat für Bildung und Sport
Architekt: wulf architekten gmbh, Stuttgart, www.wulfarchitekten.com
Wettbewerbsteam: Berit Jennrich, Miriam Baehrens, Yeon Yung Choi, Josépha Roussel
Planungsteam: Miriam Baehrens (PL), Elif Yuecel
Projektsteuerung FQZ: HWP Planungsgesellschaft, Stuttgart, www.hwp-planung.de
Bauleitung: Köhler Architekten + beratende Ingenieure GmbH, Gauting,
Bauzeit: Juni 2015 – September 2017
Fachplaner
Bauphysik: Müller-BBM GmbH, Planegg, www.muellerbbm.de
Tragwerksplanung: Lammel, Lerch und Partner, Regensburg, www.lbi-planung.de
HLS-Planung: Bummer Hof Planungs-GmbH,
Bad Kötzting, www.team-bhp.de
Elektroplanung: Ingenieurbüro Knab GmbH,
München, www.knab.net
Landschaftsarchitekt: Planstatt Senner, München, www.planstatt-muenchen.de
Projektdaten
BGF gesamt: 11 113 m²
Nutzfläche: 7 400 m²
Bruttorauminhalt gesamt: 50 342 m³
Baukosten gesamt: ca. 26,4 Mio. €
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 43 kWh/m²a
Endenergiebedarf Heizung: 59,6 kWh/m²a
Endenergiebedarf Gebäude insgesamt: 95,7 kWh/m²a
Energiekonzept
Außenwand: STB-Wand 25 cm, Dämmung bis 220 mm, Putz auf Trägerplatten bzw. Holzbekleidung
Dach: STB-Decke 30 cm, Hohlkörperdecke, Warmdachkonstruktion mit extensiver Begrünung
Fenster: Eichenholzfenster 3-fach verglast
Boden: Hohlkörperdecke oder Tonnentragwerk
Bodenaufbau: Hohlraumboden mit Anhydrit Estrich und Linoleumbelag
Gebäudehülle
Außenwand UMittel = 0,17 W/(m²K)
Dach UMittel = 0,16 W/(m²K)
Hersteller
Akustikpaneele: Makustik Akustik & Raum AG, www.akustik-raum.ch
Außentüren, Fenster: Federle Holzbearbeitung GmbH, www.federle-
holzbearbeitung.de
Tür- und Fensterbeschläge: FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co. KG, www.fsb.de
Türschließer: GEZE GmbH, www.geze.de
Innentüren: Lindner GmbH, www.lindner-group.com
Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de