Zwei in eins

Grundschule im Werksviertel, München

„Heute die Schule von morgen bauen,“ unter diesem Motto legte die Landeshauptstadt München im Jahr 2014 den Grundstein für das bis dato größte Bildungsprogramm Deutschlands, die Münchner Schulbauoffensive. Denn neue pädagogische Lernkonzepte stellen andere Anforderungen an den Raum. Um dies effizienter, schneller und vor allem zukunftsorientiert umzusetzen, wurde mit dem Lernhausprinzip ein Standardraumprogramm entwickelt, in dem die Größe, Anzahl und Anordnung der Räume festgelegt sind. Doch das vermeintlich geordnete System bietet in der Ausgestaltung erstaunliche Möglichkeiten – gerade auch mit Hilfe des Tragwerks. Wie bei der Grundschule im Werksviertel in München. 

Das Werksviertel in München ist eines der spannendsten Stadtentwicklungsprojekte, die auf Initiative mehrerer Grundstücks­eigentümer und der Landeshauptstadt München vorangetrieben werden. In einer breit angelegten Mischung aus Bestandserhalt und Neubauten wächst ein lebendiges Quartier mit Kunsträumen und Gründerzentrum, Büroflächen, Gastronomie, Nahversorgung und städtischen Infrastrukturen sowie Grünflächen und Bildungsbauten. Wenn demnächst bis zu 1  150 Wohnungen entstehen und 3 000 Menschen hier wohnen werden, gibt es Bedarf für eine Grundschule. 2015 war das Jahr der Verhandlungsverfahren für die 4-zügige Grundschule nach dem Lernhausprinzip, welches das Architekturbüro RAUM und BAU und die Ingenieure von TRAG­RAUM für sich entscheiden konnten.

Fläche geschickt nutzen

Fläche ist besonders in Innenstadtlagen kostbar, weshalb das Konzept – im Spannungsfeld zwischen planungsrechtlichen Festsetzungen, Lärmschutz zur Straße und dem Erhalt von altem Baumbestand – ein Maximum an nutzbarer Fläche ergeben sollte. Zudem schließt das Grundstück mit seinen Freiflächen direkt an das quartiersverbindende Kommunikationsband und das in Planung befindliche Konzerthaus an. Diese Parameter gaben den Anstoß, die vorhandene Machbarkeitsstudie zu überdenken und die zuvor getrennten Funktionen des Schulgebäudes und der Zweifachsporthalle in einem Gebäude von 65,5 x 32 m Grundfläche zu stapeln.

Sport- und Pausenflächen auf dem Dach sind nichts Neues. Doch weil die Sporthalle auch für externe Vereine und Gruppen mit einem separaten Eingang in das Erd- bzw. Untergeschoss zugänglich sein sollte, mussten die Planer umdenken. Es gab die konstruktive und räumliche Anforderung, die Lasten von drei darüberliegenden Stockwerken bautechnisch sinnvoll im kompakten Baukörper abzufangen. Man wollte weder Raum verschwenden (durch ein nicht nutzbares Konstruktionsvolumen oberhalb der Vorgabe von 7 m lichter Raumhöhe in der Sporthalle) noch die Flexibilität der darüberliegenden Flächen aus den aufgelösten Strukturen des Lernhauskonzepts einschränken. Zusätzlich bestand die Anforderung, die Lernhausmitte mittels Lichthöfen natürlich zu belichten und zu belüften. Das konstruktive Konzept der Tragwerksplaner zur Lastabtragung im 1. Obergeschoss ist so einfach wie wirkungsvoll. Ein vollständig nutzbares Konstruktionsgeschoss direkt über der Sporthalle – 5 m hohe Plattenbalken aus Stahlbeton mit einer Spannweite von ca. 29 m – trägt die Gebäudelasten der darüber befindlichen Geschosse in die Stirnwände der Sporthalle ab. Dabei bildet die Decke über dem Konstruktionsgeschoss den Druckgurt und die Längswände die Balkenstege. Benötig-te Öffnungen für Türen und Haustechnikleitungen konnten durch frühzeitige Kommunikation in die Planung integriert werden. Andere Konstruktionsvarianten, wie eine Unterzugsdecke, ein Trägerrost, ein Fachwerkträger oder eine Spannbetonkonstruktion wurden aus Gründen der Tragfähigkeit, des geringen Gewinns an Konstruktionshöhe oder wegen Einschränkungen in der Nutzung verworfen. Auch Überlegungen zur Ausführung in anderen Materialien, wie Holz und Stahl, wurden aufgrund der Vorgaben zum Brandschutz und sich ergebender unwirtschaftlicher Bauteildimensionen nicht weiterverfolgt. Was konstruktiv lösbar war, wurde jedoch an anderer Stelle zu einer Herausforderung. Denn im Standardraumprogramm der Landeshauptstadt München waren weder Technikgeschosse noch durch die Tragwerkslösung entstandene „geschenkte“ Flächen vorgesehen. Es ist dem Mut der Beteiligten zu verdanken, dass auch hier eine intelligente Lösung gefunden wurde, indem man kurzerhand die geforderte Wohnung des technischen Hausverwalters sowie die Technikzentrale im Gebäude über der Sporthalle integrierte. Was normalerweise im Untergeschoss oder auf dem Dach verschwindet, konnte bei dieser ungewöhnlichen Lösung mitten im Gebäude platziert werden. Genau an dem Punkt, wo viele unterschiedliche Anforderungen sich verschränken und somit eine extrem wirtschaftliche Trassenführung ermöglicht wird. Die Dachflächen sind so frei für eine Belegung mit einer Photovoltaikanlage sowie mit einer Dachbegrünung.

Gestaltungsspielräume

Nicht nur die Dachfläche profitiert von der konstruktiven Lösung. Auch der Eingangsbereich gegenüber der Sporthalle bezieht seinen Vorteil aus dem Raumgewinn. Hier entstanden im Eingangsbereich eine zusammenschaltbare Raumlandschaft mit einer großzügigen Treppenanlage, die auch für Versammlungen genutzt werden kann, ebenso wie Nutzflächen für die Mensa mit Versorgungsküche. Mithilfe eines Trägerrosts konnte die Abfangung der darüberliegenden Tragstruktur erzeugt werden. Die Platzierung der Oberlichter im Lichthof über der Treppenanlage gewährleistet eine zusätzliche Belichtung des Raums mit Tageslicht.

Die Anforderungen aus der Nutzung, Gestaltung und der Konstruktion strukturieren kongenial gedacht das monolithisch und ohne Bewegungs- oder Gebäudefugen ausgeführte Volumen. Zwei unterschiedlich gestaltete Lichthöfe in den Lernhausebenen belichten die Nutzflächen zusätzlich. Die massive Tragkonstruktion des Untergeschosses löst sich in den oberen Ebenen als Stahlbetonskelettkonstruktion auf und ermöglicht so neben der Flexibilität im Grundriss auch eine Variabilität in der Fassadengestaltung. Die Aussteifung erfolgt über die als Scheiben ausgeführten Geschoss- und Dachebenen in Verbindung mit den Erschließungskernen und je einer Wandscheibe in den Stirnwänden.

Die Obergeschosse stehen mit der rhythmisierenden Fassaden­aufteilung im Kontrast zum massiven Sockel aus einer vorgehängten Klinkerfassade. In Struktur und Materialität in einem Raster von 1,20 m aus der inneren Organisation weitergedacht, wird die serielle Anmutung der gegenüber­liegenden Industriefassaden gestalterisch weiterentwickelt. Weitestgehend sturzfrei bis an die Geschossdecke über die gesamte Raumbreite gezogen, belichtet die Fassade die Lernräume optimal. Als selbsttragende Elementfassade ist die Hülle vor dem Primärtragwerk geplant und wird am Massivbau befestigt. Die aus brandschutztechnischer Sicht erforderlichen, umlaufenden und bis zu 2,40 m tiefen Fluchtbalkone gliedern das Volumen zudem horizontal. Thermisch getrennt von den Decken musste auch hier durch die vorgegebene Brüstungshöhe für die Fertigteile konstruktiv im wahrsten Sinne des Wortes um die Ecke gedacht werden. Eine kontrollierte Be- und Entlüftung sorgt für den notwendigen Luftaustausch in den Räumen.

Die Grundschule im Werksviertel ist ein schönes Beispiel dafür, wie mithilfe eines geeigneten Tragwerks eine wirtschaftliche Umsetzung mit hoher Qualität der Nutzung und Gestaltung geschaffen werden kann. Dazu gehören ein großes Fachwissen, Engagement und Spaß daran, unerwartete Lösungen zu entwickeln, sowie Mut, diese in der Umsetzung auch zuzulassen. Der Neubau wird als herausragender Baustein im neu entstehenden Stadtviertel ein attraktiver Ort des Lernens werden. Eva Maria Herrmann

Durch das über der Turnhalle im Geschoss effizient integrierte Tragwerk wird eine zusätzliche nutzbare Geschossfläche gewonnen. Diese Geschossfläche benötigt gegenüber einer ­additiven Tragwerkslösung kein zusätzliches Raum­volumen.« ⇥DBZ Heftpartner TRAGRAUM Ingenieure, ⇥Nürnberg

Baudaten

Objekt: Grundschule im Werksviertel

Standort: Haager Straße 18, 81671 München

Typologie: 4-zügige Grundschule nach dem Lernhausprinzip mit integrierter Zweifachsporthalle

Bauherrin: Landeshauptstadt München, Referat für Bildung und Sport vertreten durch das Baureferat, Hochbau 3

Nutzer: Referat für Bildung und Sport

Architektur: RAUM und BAU Planungsgesellschaft mbH, München,

www.raumundbau.de

Team: Martin Werner, Ekkehard Schönborn, Ruth Stärcke, Tobias Küblböck, Martina Eder, Stephanie Wünsch, Darina Nemethová, Lucia Maier, Henric Wagner

Tragwerksplanung: TRAGRAUM Partnerschaft Beratender Ingenieure mbB, Nürnberg, www.tragraum.de

Team: Gerald Wanninger, Matthias Ellinger

Bauleitung: Gerthner-Thieltges GmbH & Co. KG, Rosenheim

Team: Florian Gerthner, Annika Buddenbäumer, Franz Enzinger, Tobias Memming

Landschaftsarchitektur: Stautner + Schäf Landschaftsarchitekten und Stadtplaner GmbB, München, www.stautner-schaef.de

Bauzeit: 01.2019 – 08.2021

 

Fachplanung

ELT-Planung: Ingenieurgesellschaft Frey-Donabauer-Wich mbH, Gaimersheim, www.ib-fdw.com

HLS-Planung: Team für Technik GmbH, München, www.tftgmbh.de

Thermische Bauphysik, Schallschutz, Raumakustik: Kurz und Fischer GmbH Beratende Ingenieure, Winnenden,

www.kurz-fischer.de

Brandschutz: Statik- und Brandschutz-büro Borchert und Bucher Ingenieurpartnerschaft GmbB, Dresden,
www.statik-brandschutz.de

Projektsteuerung: DU Diederichs & Partner GmbH, Berlin, www.du-diederichs.de

Prüfstatik: Zilch + Müller Ingenieure GmbH, München, www.zm-i.de

Küchentechnik: F&B Promotion,
Beraten und Planen, Gilching,
www.fb-promotion.de

Kunst am Bau: Beate Engl, München,

www.beateengl.de

 

Projektdaten

Grundstücksgröße: 11 430 m²

Nutzfläche gesamt (1-7): 5 710 m²

Nutzfläche (1-6): 5 300 m²

Technikfläche: 522 m²

Verkehrsfläche: 1 810 m²

Brutto-Grundfläche: 9 330 m²

Brutto-Rauminhalt: 42 370 m³

Gesamtlänge: 65,50 m

Maximale Breite: 32 m

Geschossigkeit: UG, EG, 1.-3. OG

Spannweite: Grundraster 1,20 x 1,20 m

Achsraster 7,20 x 7,20 m, über Turnhalle 28,80 m

Auskragung Balkone: Giebelseite 2,40 m, Längsseite 1,80 m

Konstruktionsart: Stahlbeton, Skelettbau, elastisch gebettete Bodenplatte,

UG mit WU-Beton ausgeführt

System: Punktgestützte Decken,

Plattenbalken, Trägerrost

Energie

Energiebedarf:

Primärenergiebedarf: 21,1 kWh/m²a nach EnEV 2013

Endenergiebedarf: 83,2 kWh/m²a nach EnEV 2014

Jahresheizwärmebedarf: 38,08 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2014

U-Werte Gebäudehülle:

Berechnungsverfahren: DIN 18599

mittl. U-Wert opak SOLL = 0,28 W/(m²K)

mittl. U-Wert opak IST = 0,19 W/(m²K), Unterschreitung: 32 %

mittl. U-Wert transparent SOLL
= 1,5 W/(m²K)

mittl. U-Wert transparent IST
= 1 W/(m²K), Unterschreitung: 33 %

Qp SOLL = 90 650 W/(m²K)

Qp IST = 22 010 W/(m²K), Unterschreitung: 76 %

mittl. U-Wert Glasdächer, Lichtbänder SOLL = 2,5 W/(m²K)

mittl. U-Wert Glasdächer, Lichtbänder IST = 1,3 W/(m²K), Unterschreitung: 48 %

Luftwechselrate n50 = 2,5/h (Klassenzimmer)

Haustechnik

Fernwärme, Photovoltaik, kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung (in Kombination mit natürlicher Belüftung, Nachtlüftung, Hybridsystem)

 

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