Haus mit zwei Gesichtern
De Lork, Sint-Gillis/BE

Das Projekt De Lork von 51N4E macht die Gestaltung von Wohnungen für geistig behinderte Menschen räumlich, organisatorisch, architektonisch und materialtechnisch zum Thema. Welche vielfältigen Möglichkeiten es gibt, diese Wohn- und Pflegeeinrichtungen in bestehende, schwierige städtische Strukturen zu integrieren, zeigt das Projekt in Sint-Gilles, einem Stadtteil im Süden des Brüsseler Stadtzentrums.

Das Projekt kam durch das Netzwerk von Peter Swinnen zustande, ehemaliger Partner von 51N4E und von 2010 bis 2015 Vlaams Bouwmeester (Baubürgermeister). Teil seines Bekanntenkreises war zum einen Eigentümer der schmalen, rund 420 m² großen und an der Bronstraat gelegenen Parzelle und zum anderen die Direktorin der Pflegeeinrichtung vzw De Lork, eine Vereinigung, die vier verschiedene Wohnhäuser für erwachsene Menschen mit leichten geistigen Behinderungen und ein Aktivitätszentrum im Haupthaus in der Jean Robiestraat im Raum Brüssel betreibt.

Ausschreibung

Aufgrund der ungünstigen Lage des Grundstücks innerhalb Brüssels und der schwierigen Zugänglichkeit legten die meisten Baufirmen kein Angebot auf die öffentliche Ausschreibung vor. Die Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmen De Coninck, das das Projekt letztlich ausführt, verlief nach Angaben der Projektleiterin bei 51N4E – die Architekten hatten auch die örtliche Bauaufsicht – ausgezeichnet und reibungslos, da es aktiv und unterstützend bei der Realisierung mitwirkte. Die Baustelleninstallation und Ausführung wurden durch den sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Raum und das Fehlen von Lagerflächen wesentlich erschwert. Letztlich konnten allerdings der Bauherr und die Baufirma mit dem Kloster eine Einigung finden, in der der Bauherr den Kirchenvorplatz als Bauplatz organisieren und nutzen konnte. Im Gegenzug verpflichtete sich De Coninck zur Neugestaltung des Kirchenvorplatzes am Ende der Arbeiten.

Wohnen in Wohngruppen

Das fünfgeschossige Wohnhaus für die 30 Bewohner liegt in einer ruhigen, mehrheitlich mit Wohnbauten unterschiedlicher Stile und Epochen gesäumten Straße. Es grenzt unmittelbar an ein Karmeliterklos-ter und dessen Kirche, der Sint-Bernardus Kapelle, und schließt gewissermaßen den vierten Flügel um den bestehenden Klosterhof.
Das Gebäude ist in drei Wohngruppen mit sechs oder 12 Zimmern unterteilt. Jede Wohngruppe hat einen eigenen Gemeinschaftsraum, an den eine Küche und Essbereich angeschlossen sind. Die Küchen dienen in erster Linie zur Vorbereitung kalter Gerichte.

Aufgrund der Nachbarschaft mit dem Kloster durften an der Südfassade zum Klosterhof keine großen Fensteröffnungen vorgesehen werden. Deshalb entschied man sich, die Zimmer der BewohnerInnen an die nördlich gelegene Straßenseite zu legen. Die Architekten bestanden darauf, alle Zugänge zu den Zimmern nicht als Gänge, sondern als zusätzliche Aufenthaltsräume zu konzipieren.

Die Innenräume und das Mobiliar wurden ebenfalls von 51N4E entworfen. Sie reduzierten die Möbel der Zimmer auf ein einziges Objekt, einen mit Holz verschalten Schrank, der zum Badezimmer wird und in dem auch die Installationsschächte für die Bäder verbaut sind. Die Zimmer können grundsätzlich von den Bewohnern nach eigenem Belieben und mit eigenen Möbeln eingerichtet werden.

Die an der Fassade gelegenen Badezimmer mit dem Waschbecken, der Dusche und der Toilette werden vom Zimmer durch einfache Schiebetüren aus Milchglas getrennt. Durch die Lage der Badezimmer an der Fassade und den Fenstern sind diese besonders hell und erinnern an Badezimmer in Einfamilienhäusern anstatt an die Nasszellen von Pflegeheimen. Zusätzlich kreierten die Architekten damit Aussichten in eine zweite Himmels­richtung. Um die Privatsphäre der Bewohner und der Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu wahren, wurden die ursprünglich transparent vorgesehenen Glasscheiben der Fenster allerdings vom Eigentümer durch Milchglasscheiben ersetzt. Die privaten Badezimmer – eine wesentliche Veränderung gegenüber den anderen Wohnheimen von vzw De Lork – werden von den Bewohnern sehr geschätzt, da sie ihnen eine große Selbstständigkeit erlauben.

Hof

Auch im Erdgeschoss wurden neben dem straßenseitigen Haupteingang, der Lobby und dem Büro sechs Zimmer eingerichtet. Die meisten Bewohner betreten das Gebäude allerdings über den benachbarten Kirchenvorplatz und den südseitigen Hof, der direkt zum Treppenhaus und zum Lift führt. Das offen gestaltete Treppenhaus bildet den Übergang zum Kloster. Das rote Backsteinpflaster des Kirchenvorplatzes setzt sich farblich in den rötlichen Betonplatten des neu angelegten Hinterhofs fort.

Der rund 3,50 m breite und 20 m lange Hof wird durch eine neue, ebenfalls in Rot getünchte Betonmauer vom dahinterliegenden Klosterhof getrennt. Dieser ca. 2,5 m höher liegende Klosterhof kann theoretisch über eine Freitreppe in einer Wandaussparung erreicht werden, ist aber für die Bewohner der Einrichtung grundsätzlich nicht zugänglich. Über eine zweite, ebenfalls offene Treppe gelangt man vom Hof ins Untergeschoss. Dieser als Lieferanteneingang geplanter Zugang ist als kleiner Lichthof ausgeführt, zu dem sich die Gemeinschaftsküche und ein angrenzender Versammlungsraum mit großen Fensterfronten öffnen.

Neben dieser Küche mit den diversen Nebenräumen und den verschiedenen Lager- und Technikräumen wurden im Untergeschoss auch noch Toiletten und ein Badezimmer für das Personal, bzw. ein Badezimmer für die Bewohner eingerichtet, die sich nicht selbstständig in den Zimmern waschen können oder wollen. Straßenfassade
Das gut 25 m lange und 12 m tiefe Gebäude bildet den Abschluss einer langen Reihe von schmalen, hohen und in Beige- und Pastellfarben gestrichenen Herrenhäusern. 51N4E griffen die Typologien der bestehenden Fassaden auf und entwarfen in einer freieren Interpretation eine unregelmäßig strukturierte und verputzte Straßenfassade, die sich durch Vor- und Rücksprünge auszeichnet und die die Gesamtlänge der Fassade auf einen kleineren Maßstab herunterbrechen soll. Die mit Sandstein verkleidete Fassade im Erdgeschoss nimmt die Straßenflucht auf. Das oberste Geschoss springt an einer Gebäudekante zurück, wodurch auf dieser Ebene eine kleine Dachterrasse geschaffen wurde.

Auch das Erdgeschoss besitzt die charakteristischen Nischen. Allerdings wurden diese in einem nachträglich eingereichten Be­willigungsverfahren und auf Ansuchen der Gemeinde aus Sicherheitsgründen zu kleinen Höfen umgewandelt, indem sie mit einer geschosshohen Wand und großen Fensteröffnungen zum Gehsteig hin abgegrenzt wurden.

Hoffassade

Der südseitig gelegene Hof wird durch die Backsteinfassade dominiert und hebt sich damit entscheidend von der Straßenfassade ab. Mit der Backsteinfassade wollten die Architekten formal und materialtechnisch einen harmonischen Übergang zwischen dem Kloster und dem Neubau schaffen. Um die kontemplative Lebensweise der Klosterbewohner nicht zu stören wurden seitens der Klosterverwaltung große Fensteröffnungen an dieser Seite weitgehend verboten. Die meisten Fensteröffnungen zu den Wohnküchen wurden daher hinter einem Filtermauerwerk versteckt, sodass direkte Aus- und Einblicke kaum möglich sind. Während die Architekten an der Nordseite mit den Fassadenrücksprüngen und Nischen spielen, bilden sie alle Gebäudeecken als Rundungen aus, wodurch die Bewohner geradezu zum Stiegenhaus gezogen werden. Im Bereich der Personalräume und dem Raucherzimmer im obersten Geschoss wird die Ziegelfassade mit ihren Öffnungen in einer fließenden Linie um die Ecke gezogen. Durch das Ziegelformat von 290 x 90 x 90 mm und das Lochmuster gelangt genug Licht in die dahinterliegenden Gemeinschaftsräume und ein außenliegender Sonnenschutz wird obsolet.

Ein Parameter, der die Qualitäten des Neubaus am besten zum Ausdruck bringt, ist, dass sich die Bewohner in ihren Zimmern und Wohngruppen wohlfühlen, sich mit dem Gebäude und ihrer Lebensumgebung identifizieren. Die an sich ungünstige Lage der Zimmer an der Nordseite wurde nicht nur durch die großzügigen Gemeinschaftsräume sowie breite und lichtdurchflutete Gänge kompensiert, sondern stellen sich letztlich als adäquat für die Bewohner heraus, die meist direktes Sonnenlicht meiden. Michael Koller, Den Haag

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