Flexibel wohnen in Gemeinschaft

Wohnhaus Abakus Basel/CH

Stehen große Bauflächen zur Verfügung, entstehen oft Arealüberbauungen wie aus einem Guss. In Basel wählte die Stiftung Habitat als Grundeigentümerin einen anderen Weg und teilte das ehemalige Industrie- und Gewerbegebiet Lysbüchel Süd in 15 Parzellen auf. Auf einer davon baute Stereo Architektur aus Basel und Zürich zusammen mit einer Hausgruppe und der Genossenschaft Mietshäusersyndikat als Bauherrschaft ein Wohnhaus mit flexiblen Grundrissen.

Text: Katinka Corts


Foto: Daisuke Hirabayashi

Foto: Daisuke Hirabayashi


An sich wohne man hier mit weniger als 30 m2 pro Person weit unterhalb des durchschnittlichen Raumbedarfs, so Architekt Claudio Meletta über das Gebäude in Basel mit dem Projektnamen Abakus. Maximal 45 m2 Energiebezugsfläche pro Person hatte die Stiftung Habitat als Rahmen für die genossenschaftlichen Neubauten auf dem gesamten Areal gesetzt. Die gemeinnützige Stiftung setzt sich seit 1996 dafür ein, in der Region Basel bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zu schaffen. Dafür werden Liegenschaften gekauft und Dritten zur Nutzung oder Bebauung überlassen. So gelangte auch das Gelände des Großverteilers Coop im Norden der Stadt Basel, kurz vor der französischen Grenze und neben dem Novartis-Campus, an die Stiftung Habitat. Anstatt das 12 400 m2 umfassende Areal als Ganzes abzugeben, entschied man sich für eine Parzellierung. Um die kleineren und günstigeren Stammparzellen im St. Johann-Quartier konnten sich in der Folge Kleingruppen und Privatpersonen bewerben, eine Art Ausschreibung für künftige Bewohner:innen und eine Chance für mehr Vielfalt in diesem Areal. 


Auf den ersten Blick mag das Gebäude wie ein gewöhnliches Mehrfamilien­haus erscheinen. Doch in diesem Haus wird anders gelebt
Foto: Daisuke Hirabayashi

Auf den ersten Blick mag das Gebäude wie ein gewöhnliches Mehrfamilien­haus erscheinen. Doch in diesem Haus wird anders gelebt
Foto: Daisuke Hirabayashi

 

Eigenständig in der Gemeinschaft

Gemeinsam mit einer Hausgruppe entwickelte Stereo Architektur das Konzept für ein ökologisches, CO2-effizientes und möglichst kostengünstiges Holzhaus, in dem verschiedene Nutzergruppen als Hausgemeinschaft koexistieren können – und überzeugte damit die Stiftung. Auf der 331 m2 großen Blockrandparzelle am Basler Beckenweg steht der sechsgeschossige Neubau auf der Hälfte der Fläche, nach innen schließt sich der Garten an. Dieser gehört zum Haus und gleichzeitig zum großen Innenraum des Blockrands, denn ein Weg führt quer durch den Hof und vernetzt alle inneren Grünflächen zu einem gemeinsamen Freiraum. Ein Pendant zum gemeinschaftlichen Hof ist die privatere Dachterrasse, die alle Hausbewohner:innen gemeinsam bewirtschaften und nutzen können. 


Die Holzfassade ist mit Wellblech bekleidet - kostengünstig und wiederverwertbar
Foto: Daisuke Hirabayashi

Die Holzfassade ist mit Wellblech bekleidet - kostengünstig und wiederverwertbar
Foto: Daisuke Hirabayashi

 

Genossenschaftlich wohnen für viele

Die Idee, ein Haus zu bauen, in dem flexibel gewohnt werden kann, ist nicht neu. Und auf den ersten Blick mag der Grundriss ein gewöhnliches Mehrfamilienhaus mit 5,5-Zimmer-Wohnungen zeigen und einer 3,5-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss. Doch im Haus wird anders gelebt: Im Erdgeschoss befinden sich ein großer Gemeinschaftsraum, eine Küche und ein zusätzliches Zimmer mit Bad. In den darüber liegenden Geschossen ist jeweils eine 3,5-Zimmer-Wohnung angelegt, doch auf der Etage gibt es zusätzlich zwei zuschaltbare Zimmer und ein kleines Bad. „Wir wollten nicht eine große Wohnung planen, die optional getrennt werden kann. Meist passiert das sowieso nicht und viele Menschen leben schlussendlich in viel zu großen Wohnungen“, erklärt Meletta. „Stattdessen haben wir Zimmer geplant, die von vornherein autark funktionieren können.“ Dies bietet Studierenden, Alleinerziehenden oder auch Geflüchteten die Möglichkeit, ein Zimmer in einer Genossenschaft zu einem verträglichen Mietzins zu bewohnen. Den Genossenschaftsanteil, den Bewohner:innen üblicherweise zu entrichten haben und der für junge Menschen oft eine finanzielle Hürde darstellt, übernehmen im Haus Abakus zum größten Teil die Mieter:innen der Hauptwohnungen. Über alle Etagen entsteht so aus den nicht belegten Einzelzimmern zusammen mit den Gemeinschaftsbereichen im Erdgeschoss eine Treppenhaus-WG mit zehn Zimmern à 14 m2


Das Treppenhaus ist als durchgehender Kaltraum geplant und verbindet die flexiblen Wohneinheiten
Foto: Daisuke Hirabayashi

Das Treppenhaus ist als durchgehender Kaltraum geplant und verbindet die flexiblen Wohneinheiten
Foto: Daisuke Hirabayashi

 

Additive Grundrisse bei Bedarf

Doch das System ist nicht statisch angelegt, sondern kann etagenweise oder auch etagenübergreifend angepasst werden. Diese Flexibilität macht das Haus suffizienter, die Bewohner:innen sind hier im Idealfall über mehrere Lebensabschnitte zuhause und identifizieren sich mit dem Ort. Wer einzieht, erhält maximal Wohnraum nach dem gängigen Genossenschaftsschlüssel „Anzahl Bewohner plus eins“. Ein Paar mit einem Kind mietet also maximal eine 4,5-Zimmer-Wohnung. Vergrößert sich die Familie, kann in Absprache mit der Hausgemeinschaft ein weiteres Zimmer dazu genommen werden, wenn gerade ein Auszug in der WG ansteht. Derzeit seien die Familien aber eher so eingestellt, dass sie auf möglichst wenig Raum leben und dadurch mehr Personen als ursprünglich gedacht von dem System profitieren können, heißt es seitens der Architekten. Zwei Familien hätten sich zum Beispiel zusammengetan und teilten sich ein Arbeits- und Gästezimmer, anstatt jeweils eines zu beanspruchen. Sobald eine solche interne Verschiebung stattfindet, werden die Nischen der ungenutzten Türen mit einem Dämmelement verschlossen – ein kurzer Eingriff mit hoher akustischer Wirksamkeit. „Hier haben sich alle auf ein Minimum beschränkt, weil sie wissen, dass ihr Wohnraum bei Bedarf noch wachsen kann“, sagt Meletta. Und weil man weniger Räume für den Einzelnen beansprucht, bleibt am Ende mehr für die Gemeinschaft.


Die Innenräume sind mit Zementböden, Holzwänden und Betondecken konstruktiv und farblich schlicht gehalten
Foto: Daisuke Hirabayashi

Die Innenräume sind mit Zementböden, Holzwänden und Betondecken konstruktiv und farblich schlicht gehalten
Foto: Daisuke Hirabayashi

 

Reduzierter Holz-Hybridbau

Die Räume im Haus haben die Architekten mit Zementböden, Holzwänden und Betondecken konstruktiv sowie farblich schlicht gehalten. Alle Installationen verlaufen – aus dem mittig im Haus liegenden Verteiler kommend – systemgetrennt sichtbar auf den Wänden. Dies vereinfacht die Bedienung der Anlagen ebenso wie Reparaturen und Austausch. Konstruktiv ist das Gebäude ein Holz-Hybridbau, bei dem alle verbauten Elemente so wenig Funktionen wie möglich übernehmen. Die tragenden sowie die mit Gips gekapselten Brandschutzwände ausHolz konnten genauso vorgefertigt werden, wie die auf Schallschutz ausgelegten Holzständerwände, welche die Zimmer voneinander trennen. Die Geschossdecken sind aus vorgespannten Hohlbodenelementen zusammengesetzt. Ursprünglich hatten die Architekten dafür Holzdecken vorgesehen, aus Kostengründen wählten sie aber schließlich die aus dem Industriebau stammenden Betonelemente. Ein weiterer Vorteil ist, dass die 18 cm hohen Decken schwer genug sind, die akustischen Anforderungen an Wohnungsdecken zu erfüllen, durch die Hohlräume lässt sich jedoch viel Beton einsparen. So ist alles, was man sieht, konstruktiv nötig, nichts wird verkleidet. „Es ist ein großer Hebel, vieles wegzulassen und nur das Notwendige zu bauen“, so Meletta. Das bezieht er nicht nur auf die Konstruktion, sondern auch auf überflüssige Schichten, wie beispielsweise Beläge oder die Ausstattung. So bleibt das rohe Haus ausbaubar, der imprägnierte Zementboden kann z. B. mit Parkett belegt werden. Die einfach ausgestattete Gemeinschaftsküche kann um eine zweite Zeile oder weitere Einbaumöbel erweitert werden. 


Alle Bauteile sind mit-
einander verschraubt,
was Unterhalt und Demontage erleichtert
Foto: Daisuke Hirabayashi

Alle Bauteile sind mit-
einander verschraubt,
was Unterhalt und Demontage erleichtert
Foto: Daisuke Hirabayashi


Diese reduzierte Gestaltung findet sich generell im Haus, sei es beim durchgehenden Kaltraum-Treppenhaus, bei der Ausformulierung der Tür- und Fensternischen oder bei der Gestaltung der Holzfassaden, die für den Wetterschutz mit hellem, 0,7 mm dünnem Wellblech verkleidet sind. Eine reine Holzfassade war hier brandschutztechnisch nicht gestattet, da im abgeschlossenen Innenhof der Blockrandbebauung keine brennbaren Fassadenelemente verwendet werden durften. Gegen eine Verkleidung mit Faserzementelementen sprach, dass dafür wesentlich mehr und auch dickeres Material benötigt worden wäre, zudem ist das Blech besser wiederverwendbar.


Die einfach ausgestat-
tete Gemeinschafts-
küche kann um eine zweite Zeile oder weitere Einbaumöbel noch erweitert werden
Foto: Daisuke Hirabayashi

Die einfach ausgestat-
tete Gemeinschafts-
küche kann um eine zweite Zeile oder weitere Einbaumöbel noch erweitert werden
Foto: Daisuke Hirabayashi


Weiterentwicklung in der Umgebung

Die kostengünstige Bauweise führte zu schlichten, in sich stimmigen Lösungen. Die gleichberechtigte Kombination von Wohnungen und WG-Zimmern lässt eine Hausgemeinschaft entstehen, die auf Zusammenleben ausgerichtet ist und gleichzeitig offen mit Fluktuation umgehen kann. Soziale Nachhaltigkeit nennen das die Architekten, die sich seit Jahren für mehr Nachhaltigkeit und Ökologie in der Architektur einsetzen.

Auch viele der anderen Projekte auf dem Areal sind dank der Eigeninitiative von Gruppen oder Planungen von Genossenschaften entstanden und versprechen ein vielfältiges Miteinander. In der näheren Umgebung wird künftig noch viel entwickelt und gebaut, in direkter Nachbarschaft befindet sich der Planungsperimeter des städtebaulichen Studienauftrags Volta Nord, den die Stadt Basel gemeinsam mit der SBB für das 11,6 ha große Areal ausgelobt hat.


Axonometrie
Abb.: Stereo Architektur

Axonometrie
Abb.: Stereo Architektur

Lageplan, M 1 : 5 000

Lageplan, M 1 : 5 000

Erdgeschoss, M 1 : 250

Erdgeschoss, M 1 : 250

Obergeschoss, M 1 : 250

Obergeschoss, M 1 : 250

Schnitt, M 1:250

Schnitt, M 1:250

Stereo Architektur
Claudio Primo Meletta, Martin Carl Risch,
Jonathan David Hermann
www.stereo-architektur.ch
Foto: Severin Jakob

Stereo Architektur
Claudio Primo Meletta, Martin Carl Risch,
Jonathan David Hermann
www.stereo-architektur.ch
Foto: Severin Jakob


Davon brauchen wir mehr! Mietwohnungen in einer Hausgemeinschaft, die sich umbaufrei an den jeweiligen Raumbedarf der Bewohner:innen anpassen können und somit veränderbare Wohnsituationen zur Verfügung stellen. Auf einige Standards im Wohnungsbau, wie Unterputzinstallationen, Oberflächenveredelung und aufwendige Fassaden, wird verzichtet und dafür die Anpassbarkeit der Wohnungen und die Reparaturfähigkeit der Bauteile gefördert sowie mehr Außen- und Gemeinschaftsflächen geschaffen.« DBZ Heftpartner:innen Praeger Richter Architekten, Berlin

Projektdaten

Objekt: Wohnhaus Abakus

Standort: Beckenweg 7, Lysbüchel Süd, 4056 Basel/CH

Typologie: Flexibles Haus für genossenschaftliches Wohnen

Bauherrin: Genossenschaft Miethäuser Syndikat

Nutzerin: Hausgruppe

Architektur: Stereo Architektur, Basel/CH, www.stereo-architektur.ch

Bauleitung: Stereo Architektur

Bauzeit: 07.2020 – 05.2021

 

Grundstücksgröße: 331 m²

Grundflächenzahl: 0,47

Geschossflächenzahl: 2,66

Nutzfläche gesamt: 743 m²

Nutzfläche: 710 m²

Technikfläche: 15 m²

Verkehrsfläche: 18 m²

Brutto-Grundfläche: 883 m²

Brutto-Rauminhalt: 2600 m³

Baukosten (nach DIN 276):

Gesamt brutto: Mio 2,15 €        

Hauptnutzfläche: 3028 €/m²

Brutto-Rauminhalt: 827 €/m³

 

Fachplanung

Tragwerksplanung: Indermühle Bauingeinieure, Thun/CH, www.i-b.ch

TGA-Planung: Markus Stolz + Partner, Luzern/CH

Akustik, Energieplanung: Grolimund + Partner, Bern/CH,

www.grolimund-partner.ch

Brandschutz: Indermühle Bauinge­nieure, Thun/CH, www.i-b.ch

Massivbau: WAM Planer und Inge­nieure, Bern/CH, www.wam-ing.ch

 

Energie

Endenergiebedarf: 24,6 kWh/m² (inkl. Heizwärmebedarf)

Heizwärmebedarf: 20,6 kWh/m2

U-Werte Gebäudehülle:

Außenwand = 0,18 W/(m²K) inkl. Fassade

Bodenplatte = 0,14 W/(m²K)

Dach = 0,13 W/(m²K)

Fenster (Uw) = 1,0 W/(m²K) inkl. Verglasung

Haustechnik:

Haustechnik minimiert

Keine Komfortlüftung

Wärmeerzeugung: Fernwärme

Wärmeverteilung: Bodenheizung

Abluft in den Nasszellen

Hersteller

Zementhartbeton auf Fußbodenheizung: J. Nager AG, Diepflingen/CH, www.nagerfloor.ch

Schrägdach/Fassade: Alance AG, Basel/CH,

www.alance.ch

Fenster: E. Zimmermann AG, Willisau/CH,

www.fenster-ziwi.ch

Sonnenschutz: Griesser AG, Pratteln/CH,

www.griesser.ch

Türen: Erne AG Holzbau, Laufenburg/CH,

www.erne.net

Aufzug: AS Aufzüge AG, Reinach/CH, www.lift.ch

Holzbau: Hürzeler Holzbau AG, Magden/CH,

www.huerzeler-holz.ch

Stahlbau: Preiswerk+Esser AG, Pratteln/CH,

www.stamm-bau.ch

CAD: ArchiCAD, www.idc.ch, www.graphisoft.com

x

Thematisch passende Artikel:

Felippi Wyssen Architekten, Basel

Mehrfamilienhaus in Riehen

Auch im Vorort von Basel spielt Verdichtung eine Rolle. Indem man ein Einfamilien- durch ein Mehrfamilienhaus ersetzte, konnte die kleine Parzelle am Gatternweg in Riehen besser ausgenutzt werden. Mit...

mehr
Ausgabe 02/2019 Lebendiger Beton

Genossenschaftshaus Stadt­erle, Basel/CH

Genossenschaftshaus_Stadterle_Rory_Gardiner

Basel bildet die Schweizer Spitze des Dreiländerecks Schweiz-Frankreich-Deutschland, die Grenzlage brachte in der Vergangenheit zahlreiche Besonderheiten mit sich. So besaß allein Deutschland drei...

mehr
Ausgabe 09/2024

Kunstraum Dreispitz Areal, Basel/CH

„Die Devise lautet: öffnen, entdecken, vereinen, transformieren.“ So die Christoph-Merian-Stiftung CMS, eine öffentlich-rechtliche Stiftung im Besitz der Stadt Basel, die sich mit dieser...

mehr
Ausgabe 09/2010

Wohnen im Kraftwerk Mehrfamilienhaus, Bennau / CH

Bennau liegt 30 Autominuten von Zürich entfernt auf 900 m Höhe. Mit 1200 Kilowattstunden pro m2 und Jahr bekommt das Bergdorf rund 20?% mehr Sonne als die Orte direkt am Zürichsee. Ideale...

mehr
Ausgabe 12/2023 Weinlager wird Wohnregal

Wohnen im ehemaligen Weinlager, Basel/CH

Im Nordwesten von Basel liegt der Stadtteil St. Johann, der von Industrie und der Gleistrasse vor dem St. Johann Bahnhof geprägt ist. Von der Baseler Innenstadt führt die Elsässer Straße...

mehr