Kunstraum Dreispitz Areal, Basel/CH
Konversion, das war einmal ein großes Thema. Schon länger aber ist es – in Deutschland – still geworden um dieses Bauflächenversprechen, mitten in der Stadt auf ehemaligen Lager- oder Verkehrsbrachen Wohnungsbau, Kleingewerbe, Kunst- und Kulturbauten zu produzieren. Vielleicht liegt es auch nur an der Begrifflichkeit, die sich geändert hat, „Entwicklungsszenarien“ heißt Konversion bei den Eidgenossen, wir haben uns eines davon in Basel angeschaut.
Ehemaliges Gewerbegelände, heute Vorzeigearchitektur von Herzog & de Meuron, BIG, Buchner Bründler u. a.
Foto: Benedikt Kraft
„Die Devise lautet: öffnen, entdecken, vereinen, transformieren.“ So die Christoph-Merian-Stiftung CMS, eine öffentlich-rechtliche Stiftung im Besitz der Stadt Basel, die sich mit dieser Aufforderung auf die Entwicklung des Dreispitzareals bezieht, eine ehemals von Gewerbe geprägte Landfläche im Süden Basels, im benachbarten Kanton Basel-Landschaft. Der Dreispitz ist seit 1840 im Besitz von Christoph Merian und später der CMS, also der Stadt Basel selbst.
Die CMS hat die Zeichen der Zeit erkannt und für ihr Grundstück „Entwicklungsszenarien“ ausarbeiten lassen. Zusammen mit den Kantonen Basel-Stadt und Baselland sowie der Gemeinde Münchenstein beauftragte die Stiftung „ihre“ Architekten Herzog & de Meuron, eine „Vision Dreispitz“ zu erarbeiten. Doch wie es mit Visionen ist: Sie gehen auch wieder vorüber. Die drei von HdM markierten Planungsfelder „Manhattan“, „Soho“ und „Queens“ mit Wohnen, Büro, Shoppen und Dienstleistern waren den Auslobern zu komplex, Zuständigkeiten zu verworren, der ökonomische Erfolg fragwürdig. Nach Kündigung des städtebaulichen Rahmenvertrags war alles wieder auf Null gestellt, dachte man. Aber wie das bei derartigen Projekten ist, können in Bilder und Workshopberichte geronnene Visionen nicht einfach entlassen werden, ein Rest – vermutlich das Wesentliche – bleibt im (Stadt-)Raum; das Freilagerquartier beispielsweise wuchs in dieser Zeit heran. Wesentliche Bausteine sind ein Haus für die erst 1999 gegründete Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW (Morger + Dettli Architekten, Basel), das „HEK“ Haus der Elektronischen Künste und „Atelier Mondial“ (Rüdisühli Ibach Architekten, Basel) oder das „Kabinett“ von HdM im „Helsinki Dreispitz“ (2014).
Das Kunsthaus Baselland mit seinen Sichtbetonlichttürmen
Foto: Benedikt Kraft
Es gab einen städtebaulichen Wettbewerb 2017, den die CMS mit der Genossenschaft Migros Basel und dem Kanton Basel-Stadt lancierten. Sieger waren die mit den örtlichen Gegebenheiten bestens vertrauten HdM. 2020 wird die feinjustierte Studie als „Richtprojekt“ präsentiert, u. a. mit Parkanlagen, Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen etc. und einer Sekundarschule auf dem Dach des Einkaufszentrums „Mparc“ (u. a. Migros).
Doch das Dreispitz-Areal ist riesig, neben Wohnbauten – unter anderem von Bjarke Ingels auf dem Bestand Transitlager – und weiteren öffentlichen Einrichtungen fassten die Entwickler dann das „Uniquartier“ ins Auge. Konkretisiert wurde dieses Projekt im Rahmen eines städtebaulichen Studienauftrags, den die Stiftung 2021 zusammen mit der Baurechtsnehmerin Swiss Prime Site Immobilien beauftragte. Eingeladen waren fünf prominente Architekturbüros „aus dem In- und Ausland“ (CMS), tatsächlich kamen vier aus Basel und eines – das Gewinnerbüro – aus Dublin (mit Partner aus Basel). Vorsitzender der als „Beurteilungsgremium“ genannten Jury war Pierre de Meuron. Neben einem „innovativen und attraktiven universitären Bildungscampus“ wünschten sich die Auslober Angebote zu weiteren Nutzungen wie Wohnen (auch studentisches Wohnen), Quartierversorgung für den täglichen Bedarf, Gastronomie, Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie Freizeitangebote und Gewerbe. Auch ein Gebäude für das Swiss Circus Center Basel war vorgesehen.
Sichtbeton einmal als dienendes Material
Ein paar Jahr zuvor, 2015, hatten die im oben genannten Wettbewerb unterlegenen Buchner Bründler einen Einladungswettbewerb gewonnen für den Neubau des Kunsthauses Baselland im Dreispitzquartier. Ausgelobt hatte den Wettbewerb die Kunsthaus-Trägerstiftung zusammen mit der CMS. Der Ort war eine sehr einfache Lagerhalle, die direkt an den „Chillespitz“ (Kirchenspitz) angrenzt, ein kommunal denkmalgeschütztes ehemaliges Lagerhaus des Architekten Max Schneider.
Die Hülle des alten Lagerraums wird mittels einer Betonskulptur neu definiert
Foto: Benedikt Kraft
Die Finanzierung des Neu-/Umbauprojekts Kunsthaus stand lange in den Sternen, dabei ging man von nur ca. 7 Mio. € Baukosten aus. Der Entwurf belässt die Struktur der alten Lagerhalle; sichtbarste Veränderung sind die drei hochaufragenden, die Dachhaut durchstoßenden Türme mit dreieckigem Querschnitt, Teil der neuen Tragstruktur, Ausrufezeichen im dicht gepackten Urbanen und Tageslichtlieferanten. Zur Helsinki Straße zeigt sich das Kunsthaus beinahe trivial mit überdachter Laderampe, ausgefachter Stahlkonstruktion und einfacher Geländerbrüstung, wären da nicht die drei Türme… Doch schon das Hinein ist ein Wechsel, das firsthohe Foyer, das eintrittsfrei von zwei Seiten zugänglich ist, lässt Blicke in die Ausstellung zu und wirkt als Arbeits- wie zugleich transitorischer Raum, Vermittler zwischen Draußen und Kunsterleben.
Ein Büro hat hier die Fäden in der Hand
Wer den Blick nach oben richtet, kann die alte Halle immer noch lesen; abseits des firsthohen Foyers entfaltet die Sichtbetonstruktur einen funktionalen Ausstellungsort auf zwei Ebenen, die immer dort zu haushohen Räumen zusammengeschlossen sind, wo die drei Lichtfänger diffuse Helligkeit auf Wände und Estrich holen. Es gibt eigentlich keine geschlossenen Räume; entweder geht der Blick durch die ehemaligen Lagerhaustüren auf die Straße oder den schmalen Innenhof gegenüber oder quer durch die Ausstellung nach oben, unten, zur Seite. Hell wechselt mit Dunkel, eine einzige, einläufige Treppe verbindet die zwei Ebenen. Hier Kunst zu zeigen, fordert im wechselnden Tageslicht heraus, die zahllosen Querbezüge saugen am Auge zu immer neuen Attraktionen, die es noch zu entdecken gälte. Wer Zeit mitbringt, kann die ausgestellten Arbeiten mindestens zweimal und auch anders erleben, wer wenig Zeit hat, wird von der Einfachheit, der zwingenden Logik der Flächen und ihrer Verknüpfung begeistert sein. Und wer ein wenig mit dem Leistungsbild eines Tragwerks vertraut ist, kann sich wundern: Trägt die Betonwand als scheinbarer Unterzug tatsächlich die aufliegenden, sehr filigranen Stahlfachwerkbinder? Dass die alte Halle, eine ehemalige Lagerhalle für Champagner, immer noch Genuss zelebriert, steht außer Frage. Der Neubau zeigt nachdrücklich, wie bestes Handwerk aus einem solide geplanten Zweckbau eine Museumsikone machen kann, die diesem im Aufbruch stehenden Viertel einen ganz eigenen Akzent verleiht; was, mit Blick auf die Nachbarschaft, nicht die leichteste Sache ist.
Im frei zugänglichen Foyer ist das Volumen des ehemaligen Lagerraums noch erlebbar
Foto: Benedikt Kraft
Denn was auf dem Dreispitz Areal entwickelt wurde und noch wird, ist nahe dran am Champagner-Mythos, allerdings immer noch präzise sichtbetonig in der Note. Es werden weitere Häuser kommen. Grünflächen, Parks sollen erweitert, vernetzt werden, ganz sicher kommt noch ein Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur, denn noch dominieren das Auto, Lkws, Parkhäuser… und irgendwie auch ein, vielleicht das Basler Büro, das sowieso in der Stadt arbeitet wie kein zweites und offenbar eine Menge Fäden in Händen hält. Buchner Bründler könnten mit ihrer Kunsthaus-Arbeit der Anfang sein, Sichtbeton einmal anders zu verstehen, eher dienend als ein von sich selbst erzählender Materialbotschafter in fast direkter Nachbarschaft.
Benedikt Kraft/DBZ
www.dreispitz.ch