Nicht so, wie es scheint
HGK Basel/CH

Mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst realisierten Morger  + Dettli Architekten 2014 den ersten Neubau auf dem Dreispitzareal in Basel. Auf den zweiten Blick offenbart dessen strenge Fassade eine subtile Verspieltheit.

Basel befindet sich im Umbruch. Die ehemalige Industriestadt wandelt sich zum Forschungs- und Dienstleis-tungsstandort. Die Transformation betrifft auch die Lager- und Gewerbeflächen vor den Toren der Stadt. Das 50 ha große Dreispitzareal, ein ehemaliges, für die Öffentlichkeit unzugängliches Zollfreilager. Mit der Zollreform 2007 hatte das Freilager ausgedient, Gewerbebetriebe siedelten sich an. Bereits 2001 hatte die Christoph Merian Stiftung als Grundstückseigentümerin das Architekturbüro Herzog & de Meuron mit einer Ideenstudie für das Gebiet beauftragt. Das Ziel der „Vision Dreispitz“: mehr Öffnung, bessere Anbindung an den öffentlichen Verkehr und eine höhere funktionale Durchmischung.

Als erster Neubau auf dem Areal konnte von 2012 bis 2014 die Hochschule für Gestaltung und Kunst realisiert werden. 2006 hatte der Kanton Basel-Stadt einen Wettbewerb durchgeführt, den Basler Morger + Dettli Architekten, seit 2015 Morger Partner Architekten, für sich entscheiden konnten. Das neue Hochhaus vereint die bis dato acht über die Stadt verteilten Standorte der Hochschule an einer Adresse.

Keine Chance der Nuance

Zwischen Kränen, Schienen und Lagerhäusern fällt das schimmernde Volumen schon von weitem ins Auge. Mit seiner Glas-Metall-Fassade setzt der 47 m hohe, sorgfältig detaillierte Quader einen eigenständigen städtebaulichen Akzent im heterogenen Umfeld. Auf einer Grundfläche von 32 x 37 m erheben sich neun Stockwerke, der Eingang liegt leicht eingeschoben auf der Südseite des Baus. Ein asymmetrisch auf der Nordwestseite platzierter Kern enthält Erschließung und Gebäudetechnik. Der vertikale Lastabtrag erfolgt geschossweise über die Kernwände und über die an den Fassaden platzierten Stützen aus Stahlbeton. Die Decken sind als vorfabrizierte, teilweise vorgespannte Rippendecken ausgeführt. Durch die lokale Konzentration von Erschließung und Technik lassen sich die übrigen, unterschiedlich breiten Räume mit hoher Flexibilität bespielen.

Für die Gestaltung der Innenräume wählten die Planer ein maximal geradliniges Konzept: Die Geschosse sind, je nach Funktion, komplett in schwarz oder in weiß gehalten. Das betrifft alle Flächen, auch die offen geführten technischen Installationen an der Decke und die gestrichenen Betonböden. Weiß ist den öffentlichen Ebenen (EG, Aula, Bibliothek) und den Unterrichts- und Büroflächen (4.–7. Obergeschoss) vorbehalten, schwarz sind die Vorlesungsräume sowie die Film- und Fotostudios im 2. und 3. Obergeschoss. Als visuelle und akustische Zonierung fungieren raumhohe Vorhänge. Nicht tragende, leichte Wandeinbauten sind auf ein Minimum reduziert.

Neben der Farbgebung variiert auch die Raumhöhe: Sie reicht von 3 m in den fünf obersten Stockwerken bis zu 5 m in den unteren vier. So weit, so normal – aber auch Fenster- und Brüstungshöhen wandern, je nach Funktion der Räume. Am prägnantesten zeigt sich das im Vergleich der ersten drei Obergeschosse: Das 1. Obergeschoss,
die Aula, hat eine bodentiefe, 3 m hohe Fensterfront. Im Geschoss
darüber (Multifunktional / Vorlesungen) liegen die 1,70 m hohen Fens-ter auf 2,25 m Brüstungshöhe und im 3. Obergeschoss (Film / Foto­studios) folgt ein 3 m hohes Fensterband mit einer 90 cm Brüstung.

An der Fassade lässt sich also grob das Raumprogramm der einzelnen Geschosse ablesen – gleichzeitig aber verschleiert sie die eigentliche Konstruktion. Die Fassade selbst kombiniert umlaufende Bänder aus Kastenfenstern mit einer Verkleidung aus gebürsteten Chromnickelstahlblechen. Letztere wirken nahezu textil, was zum
einen an ihrer gewebeartigen Anordnung liegt, die sich auch um die Gebäudeecken zieht, zum anderen an der leicht unebenen Oberfläche der einzelnen Blechbänder.

Energetisch sinnvolle Gestaltung

Der Quartiersplan verlangte für den Neubau den Minergie-P-Eco-Standard, in Bezug auf die Energieeffizienz etwa vergleichbar mit dem deutschen Passivhaus-Standard. Dies schlug sich auch im Konzept für die Gebäudehülle nieder. So waren beispielsweise optimale Tageslichtverhältnisse gefragt, aber auch eine einfache Rückbaufähig­keit und eine geringe graue Energie in der Summe aller verwendeten Baustoffe.

Die Fassadeningenieure von PPEngineering waren bereits in der Wettbewerbsphase in die Planung involviert. Zu dieser Zeit sah das Projekt noch umlaufende Fluchtbalkone vor. Bis zur Bauphase kam es zu mehreren Konzeptwechseln, die auch auf die sich mehrfach ändernden Ansprechpartner bei Nutzung und Bauherrschaft zurückgingen. Letztendlich entschieden sich die Planer für eine belüftete Kastenfensterkonstruktion mit einer inneren Schicht aus wärmegedämmten Holz-Metall-Fensterelementen und einer äußeren Prallverglasung aus horizontal gelagerten, teilvorgespannten 25,5 mm dicken Verbund­sicherheitsglasplatten. Letztere widerstehen den auftretenden Windlasten und dienen als Absturzsicherung für (Reinigungs-)Arbeiten in den Zwischenräumen. Gleichzeitig fungiert das Prallglas als Schallschutzmaßnahme, der Zwischenraum dient als Klima-Pufferzone. Die innenliegenden Fenster besitzen eine Dreifach-Isolierverglasung. Um die passive Sonnenenergie optimal zu nutzen, wählte man für die Südfassade Verglasungen mit einem Gesamtenergiedurchlassgrad
(g-Wert) von 58–60 %. Die Verglasungen der Nord-, Ost- und Westfassaden weisen einen g-Wert von 43–44 % auf.

Gezähmter Glanz

Die auffällig schimmernde, metallene Brüs­tungsverkleidung aus 0,5 mm dicken Chromnickelstahlblechen ist auf eine durchgehende Unterkonstruktion aus Aluminiumprofilen
dilatierend befestigt. Dazwischen liegt eine zweischichtig verlegte, insgesamt 24 cm starke Wärmedämmung aus Mineralfaserplatten. Um die Ausdehnung infolge von Temperatur­unterschieden aufnehmen zu können, besitzt jedes der 30 x 300 cm großen Bänder Fixierungen aus Fest- und Gleitpunkten. Eine Trennlage aus EPDM zwischen Metall und Unterkonstruktion soll den Geräusch­pegel bei Schlagregen minimieren.

Die Verschattung des Kubus erfolgt in den Obergeschossen über eine vollautomatisch betriebene Rafflamellenstorenanlage. Die einzelnen Lamellen sind perforiert, um die Aussicht zu gewährleisten und auch im geschlossenen Zustand Tageslicht in die Räume zu lassen. In den Blackboxes der Foto- und Filmstudios gibt es daher zusätzlich Verdunkelungsvorhänge an den Fassadenseiten. Die Lamellen werden automatisch gesteuert, die Software integriert die Schattenwürfe der umliegenden Bauten. Zudem lassen sie sich auch manuell bedienen. Im Erdgeschoss funktioniert die Verschattung der raumhohen Fensterfronten zur Vorbeugung von Vandalismus mit weniger heiklen Stoffstoren.

Während der Bauphase erstellten die Unternehmer ein 1:1-Mock-up-Fassadenmodell. Die damals spiegelnd ausgeführten Metallbänder waren der Grundstückseigentümerin zu viel. Sie befürchtete eine zu hohe Blendung in die umgebenden Wohnbauten. Daraufhin reduzierten die Fassadenbauer den Glanz des Metalls durch Aufrauen der Oberfläche – es brauchte mehrere Durchgänge und aufwendige Messungen, bis das Ergebnis überzeugte.

Stringenz im Chaos

Die schlicht, aber konsequent durchdetaillierte Hochschule macht vergessen, wie viel Unruhe im Umfeld ihrer Entstehung herrschte: Zwischen Planung und Realisierung wechselte die Hochschulleitung insgesamt dreimal. Und der Umzug in den Neubau an die Peripherie löste bei Dozenten und Studenten keine uneingeschränkte Begeisterung aus.

Das alles sieht man dem Bau nicht an. Die Architekten realisierten einen durchkomponierten, im Material reduzierten Bau, eine Landmarke für das heterogene Areal. Die Kombination aus bündigen Glas- und Metallbändern lassen das Hochhaus als durchgehenden Kubus erscheinen, nicht als Schichtung von Geschossen. Dass es sich dabei um eine hintergründige Übersetzung der darin stattfindenden Nutzungen in die Fassade handelt, ist die wahre Kunst. Tina Cieslik, Bern

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