Heftpate Tobias Wulf, Stuttgart„Für die Bildung bauen“
Schulbau war eigentlich nie ein Thema für Stararchitekten. Es sei denn, die Pädagogik war ihnen ein echtes Anliegen, so wie etwa bei Richard Neutra oder Hans Scharoun. Und diese Architekten sind im Schulbau heute wieder ganz aktuell! Es wäre eine Freude, heute dort anzuknüpfen und aufgelöste, baukörperlich stark gegliederte Schulbauten zu entwerfen. Sie würden perfekt zu den heutigen Lernhauskonzepten passen. Wenn nur das alles bestimmende Verdikt der Nachhaltigkeit nicht wäre, das solche Schulbauten ins Reich der Träume verabschiedet hat. Wir müssen uns von diesem falsch verstandenen Nachhaltigkeitsbegriff lösen, der sich vorrangig an der Kompaktheit der Baukörper, der Minimierung der Fenster und der Maximierung der Dämmschicht orientiert.
Bildung ist die Grundlage dafür, auf welchem Niveau wir zukünftig Gesellschaft leben und kulturelle Werte schaffen. Auf dem Sektor der Schulbildung wird viel experimentiert und manche Neuerung wird auch wieder rückgängig gemacht, aber es gibt kontinuierliche Entwicklungen, die Bestand haben, wie beispielsweise die des Lernhauskonzeptes. Dafür gilt es, räumliche Lösungen zu finden, die umsetzbar sind − auch bei den gestiegenen Anforderungen an die Bautechnik und die Genehmigungsfähigkeit, insbesondere beim Brandschutz. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das architektonische Erscheinungsbild, beispielsweise in Form von Fluchtbalkonen.
Hinzu kommt, dass Schulbau schnell gehen muss. In zuzugsstarken Städten wie München oder Freiburg muss in den nächsten Jahren eine große Anzahl an Schulen gebaut werden. Aus diesem Grund sah sich die Stadt München veranlasst, neue Wege für eine rasche Realisierung von Schulen zu gehen. Sie schrieb einen Architektenwettbewerb für eine modulare Bauweise nach dem Lernhausprinzip aus. Wir als Architekten standen diesem Ansatz zunächst kritisch gegenüber. Hatten wir nicht vor 40 Jahren schon einmal so etwas? Typenschulen, seelenlose Lehranstalten, die heute auch aufgrund ihrer baulichen Ausstrahlung und Inflexibilität keiner mehr mag. Diesen Fehler zu vermeiden und das Problem trotzdem zu lösen, war für uns die große Herausforderung bei dieser Aufgabe. Wir sehen es als Experiment – mit offenem Ausgang.
Die Lösung liegt für uns in der Architektur: Wir sind der Meinung, dass es einen einprägsamen, starken Raum braucht, in dem man lernt, denn Lernen bedeutet heute ganztägigen Aufenthalt, also Heimat in der Schule. Bei unseren vier Grundschulen in München sind dies Deckengewölbe, die eine beschützende und identifizierende Ausstrahlung haben. Diese vorgefertigten Tonnenschalen sind modular aneinandergereiht und sollen den Lernhäusern einen starken Erinnerungswert geben, sozusagen für das ganze Leben, denn dafür lernen wir ja. Aber vier oder noch viel mehr Schulen, die alle gleich aussehen? Ist das der richtige Weg? Ich meine, was wirklich gut ist, darf auch mehrfach vorkommen. Variationen entstehen dadurch, dass manche Schulen eine Kita oder eine Sporthalle integrieren oder durch die unterschiedliche Anzahl an Zügen. Das Lernhausmodul bleibt immer gleich, während sich die allgemeinen Bereiche verändern.
Ob das die Zukunft im Schulbau ist, vermag ich nicht zu sagen. Sicher ist für mich nur, dass herausragende Architekturqualität in guter Bauqualität immer am längsten Bestand hat.
Der Heftpate
Tobias Wulf, geboren 1956 in Frankfurt a.M., hat an der Universität Stuttgart Architektur studiert und nach seinem Diplom 1981 bei Prof. Hans Kammerer in den Büros von Faller+Schröder (Stuttgart/München), Auer+Weber (Stuttgart), Joachim Schürmann (Köln) und Gottfried Böhm (Köln) gearbeitet. 1987 gründete er sein eigenes Architekturbüro in Stuttgart, das er seit 1996 zusammen mit Kai Bierich und Alexander Vohl führt. Seit 2015 gehören zu den Geschäftsführern des Büros wulf architekten auch Jan-Michael Kallfaß, Ingmar Menzer und Steffen Vogt. Von 1987 bis 1991 hatte Tobias Wulf einen Lehrauftrag für Entwerfen an der Universität Stuttgart, seit 1991 ist er Professor für Baukonstruktion und Entwerfen an der Hochschule für Technik in Stuttgart. Darüber hinaus ist er seit 1988 als Preisrichter tätig und seit 2013 Mitglied des Gestaltungsbeirats der Stadt Freiburg i. Br.