Hoch gestapelt
Eine Wohnsiedlung aus Schiffscontainern, Onagawa/JP
Nach dem Tsunami im März 2011 baute der japanische Architekt Shigeru Ban im japanischen Küstenort Onagawa eine provisorische Wohnsiedlung aus Schiffscontainern. Die schachbrettartig übereinandergestapelten Boxen offenbaren überraschende Raumqualitäten.
Nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami im März 2011 waren rund 71 000 Menschen im Nordosten Japans wohnungslos. Besonders schlimm traf es unter anderem Onagawa in der Präfektur Miyagi: Eine 15 m hohe Tsunami-Welle überschwemmte den Küstenort. 60 % aller Häuser wurden zerstört, weitere 25 % schwer beschädigt. Die obdachlosen Familien wurden zunächst in Notunterkünften untergebracht, unter anderem in der Turnhalle des örtlichen Gymnasiums.
Um ihnen ein Minimum an Privatsphäre zu bieten, entwickelte der Architekt Shigeru Ban mit Studenten für diese und landesweit 49 weitere Notunterkünfte 1 800 je 2 x 2 m große Raumteiler aus Pappröhren, die ineinandergesteckt und mit Vorhängen aus Segeltuch bespannt wurden. Sobald genug provisorische Ersatzwohnungen geschaffen waren, sollten die Familien umziehen. Das aber gestaltete sich in dem von Bergen umschlossenen Onagawa schwierig: Wie in den meisten zerstörten Küstenorten mangelt es an ebenem Bauland. Shigeru Ban schlug deshalb vor, in die Höhe zu bauen: Auf einem Baseballfeld neben dem Gymnasium entstanden drei 2-geschossige und sechs 3-geschossige Wohnzeilen für 188 Familien.
Dreistöckige Fertighäuser sind eine Premiere in Japan. Ungewöhnlich ist auch das Baumaterial: alte Schiffscontainer. Für den Transport schwerer Güter auf hoher See entwickelt, sind die Stahlmodule robust, einfach stapelbar und halten selbst schweren Erdstößen stand. Die rund 6 m langen, 2,4 m breiten, 2,6 m hohen Standardcontainer wurden mit Kränen übereinandergestapelt und mit Stahlrohre
fixiert. Auffällig ist das Schachbrettmuster der Fassade: Weitgehend geschlossene Container, die Küchen, Bäder und Kinderzimmer aufnehmen, wechseln sich mit offenen Containern für Wohn- und Essräume ab. Bei den geschlossenen Boxen wurden die Öffnungen für Fenster und Durchgänge vorab aus der Blechhaut geschnitten. Die
offenen Container bestanden, bis auf eine schmale Wandpartie, nur aus Stahlrahmen, Dachhaut und Boden. Dach, Außentreppe, Laubengang, Balkone und den kompletten Innenausbau montierten die Handwerker vor Ort. Alle Bauteile sind recycelbar, einfach zu demontieren und lassen sich anderswo in kurzer Zeit wieder aufbauen. Die vorgehängten abwechselnd hellblau und rosa gestrichenen Fassadenmodule, strahlen eine heitere Atmosphäre aus. Auch im Innenraum erinnert nichts an ein Provisorium. Die rund 20 m2, 30 m2 oder 40 m2 großen Wohnungen wirken dank raumhoher Fenster und durchgesteckter Wohngrundrisse überraschend offen und großzügig. „Die temporären Standard-Fertighäuser, die die Regierung den Menschen zuteilt, sind oft eng, laut und es mangelt an Lagerflächen, so dass der Wohnraum meist verstellt ist“, sagt Shigeru Ban. Die Architekten entwarfen deshalb vorgefertigte Regale und Wandschränke aus Sperrholz für Kleidung, Bücher und Haushaltswaren. Den durch das Stapeln der Container entstandenen Platz zwischen den Wohnzeilen nutzten die Architekten sinnvoll. Sie schufen öffentliche Räume: ein Gemeindehaus, einen Marktplatz für tägliche Einkäufe und eine Kinderbücherei samt Atelier. „Wir wollen erreichen, dass sich unkompliziert neue Nachbarschaften bilden“, sagt Projektleiter Yanusori Hirano. Denn durch die Katastrophe wohnen plötzlich Fremde Tür an Tür. Gelungen verbinden die Architekten raue Containerästhetik mit warmen Holz- und Stoffakzenten. Weiße Schiffscontainer umschließen U-förmig den Saal des Gemeindehauses, den ein Sparrendach krönt. Den Open-Air-Markt flankieren Container mit Geschäften, ein Membrandach schützt vor Hitze und Regen. Die Siedlung zeigt, dass sich in kurzer Zeit mit geringem Budget provisorische Häuser mit hoher Raumqualität bauen lassen. Ein Segen für die Familien, die zuvor monatelang auf engstem Raum leben mussten. Viele können sich jetzt vorstellen länger dort zu wohnen, als die geplanten zwei Jahre.