Holzfacetten Holzschnitzerei in Pontives – Lajen/IT
Das polygonale Gebäude wirkt wie ein facettenreicher Edelstein. Mit seiner gefalteten, selbsttragenden Fassade, die mit Lärchenschindeln verkleidet ist, weist es aber vielfältige Bezüge zur Berglandschaft des Grödner- tals auf. Gelohnt hat sich dieser Bau nicht nur für den Bauherrn.
Das Bemerkenswerte an dem baukulturellen Aufschwung, den man seit etwa 20 Jahren in Südtirol verzeichnen kann, ist das Engagement vieler privater Bauherren. Lag dies am Anfang bei der Autonomen Provinz Bozen – und diesem Vorbild folgend die Kommunen, so sind es seit gut einer Dekade mittelständische Unternehmen wie Keltereien oder Hotels, die mit dem Instrument des Wettbewerbs zeitgenössische Architekturlösungen finden. So auch in Pontives: Ulrich und Daniel Perathoner wollten ihre Holzschnitzerei aus dem traditionsreichen, aber vergleichsweise abgelegenen St. Ullrich in das verkehrsgünstige Pontives am Beginn des Grödnertals verlagern. Sie lobten einen kleinen Wettbewerb aus, aus dem ein Vorschlag des Brixener Büros bergmeisterwolf als Sieger hervorging.
Die Idee
Das Konzept der Architekten knüpft an die Holzschnitzerei an, ein
Gewerbe, das man im Grödnertal schon Anfang des 17. Jahrhunderts betrieb und in dem man es schon früh - viele Holzschnitzer erhielten ihre Ausbildung an Kunstakademien in Venedig, München und Wien – zu großem Renommee brachte. Die Architekten gingen von einem Holzblock aus, in den die Schnitzer ihre ersten Kerben mit dem Beil schlagen. Oft, erzählt Ulrich Perathoner, ein Holzbildhauer alter Schule, wird solch ein Holzblock zu 90 % nur mit dem Hammer bearbeitet, manchmal auch mit dem Stecheisen. Das Gebilde, noch grob, noch rau, noch kantig, strahle aber schon die ganze Kraft der späteren Skulptur aus. Eine Dimension größer haben bergmeisterwolf genau solch ein Gebilde gebaut: ein Gebäudepolygon, kantig, rau, facettenreich, aufregend. Mit genau berechneten Öffnungen, Neigungen, Auskragungen. Die aus Dreiecken bestehende, vielfach geknickte Fassade ist dabei selbsttragend.
Konstruktiv betrachtet ist die Fassade ein stabiles Flächentragwerk, die Holzrahmen, welche die Grundlage für die dreieckigen Fassadenelemente bilden, wurden an den Ecken biegesteif miteinander verbunden. Die Komplexität, welche die Anmutung des Gebäudes verspricht, entspricht seinem Inneren. Dass die geknickten Fassadenelemente innen - mit Gipskartonplatten verkleidet - zu schiefen Wänden werden, ist da fast nebensächlich. Der Grundriss ist gleichsam ein Maßanzug: Denn eine Holzschnitzerei ist nicht nur Handwerks-, sondern teilweise Industriebetrieb, braucht einen Ausstellungsraum (zweigeschossig, mit Galerie und gut integrierter Stahl-Glas-Fassade), einen Verkaufsraum im Erdgeschoss (mit Schaufenstern und eigens entwickelten Möbeln und Verkaufsregalen aus Eiche und Schwarzstahl), Werkstätten und unendlich viele Lagerräume. Entsprechend komplex ist das Tragwerk: Es besteht aus einem inneren, aussteifenden Kern aus Stahlbeton mit Aufzug und Treppenhaus. Ein gewissermaßen zweiter Ring besteht aus Holzwänden und Holzdecken, wobei letztere, weil einige Wandscheiben im Erdgeschoss fehlen, teilweise 200 mm dick sind. Zwar sind diese Wände und Decken meistens mit Gipskarton verkleidet, ein grau beschichteter Fußboden oder gewachste Eichenholzbohlen als Belag deuten aber an, in welchem Gebäudeteil man sich befindet.
Die Quelle, die man auf dem Grundstück fand, wird im Sommer zur Kühlung, im Winter über einen Wärmetauscher zur Heizung ge-nutzt. Alle Räume sind kontrolliert belüftet, für einige Werkstätten wurden sogar eigene Maschinen entwickelt, die mittels des Induktionsprinzips die Temperaturdifferenz in ganz engen Grenzen halten. Insgesamt entspricht das Gebäude fast dem Passivhausstandard. Wäre die Fassade nicht mit Schindeln aus Lärche verkleidet, damit werden im Grödnertal traditionell die Dächer von Scheunen bedeckt , man könnte in doppeltem Sinne von einem schillernden Baukörper sprechen. Obwohl erst seit wenigen Monaten fertig, sind die Schindeln schon unterschiedlich verwittert, in wenigen Jahren wird sich das Gebäude zumindest vom Fassadenmaterial der Umgebung und der Berglandschaft des Grödnertals mit seinen Hängen aus nacktem Porphyrfels angleichen. Enrico Santifaller, Frankfurt