Kühne Technologie – Tragende ­Fassadenelemente aus Sichtbeton

Im Bremer Stadtzentrum ließ sich das Logistikunternehmen Kühne + Nagel ein neues Bürogebäude errichten. Die Elemente der tragenden Architekturbetonfassade reichen jeweils über zwei Geschosse.

Direkt neben dem historischen Innenstadtkern von Bremen wurde in den Jahren 2018/2019 für das Logistikunternehmen Kühne + Nagel ein neues Bürogebäude errichtet. Das alte Gebäude aus den 1960er-Jahren wurde abgerissen und durch einen neuen Bau am Stammsitz des Unternehmens direkt an der Weser neben der Wilhelm-Kaisen-Brücke ersetzt. Dieser besitzt eine Nettobürofläche von 13 500 m² und besteht aus drei Gebäudeteilen: einem Hauptteil mit einer Gesamthöhe von ca. 40 m und elf Geschossen, einem Verbindungstrakt mit drei Geschossen und einem Anschlusstrakt an die Bestandsgebäude mit fünf Geschossen. Aufgrund der beengten Grundstücksverhältnisse besitzt der Hauptgebäudetrakt nur einen aussteifenden Ortbetonkern und umlaufend angeordnete Außenwände aus Architekturbeton mit tragender Funktion. Die Besonderheit des Bauwerks liegt in der tragenden Fassade aus Sichtbetonfertigteilen; zur Lastabtragung besitzt es außer der Fassade nur aussteifende Betonkerne (Treppenhäuser) im ­Gebäudeinneren. Die Spannweite der Geschoss­decken von den Betonkernen zur tragenden ­Fassade beträgt 7 m, wodurch stützenfreie Büroräume entstanden sind.

Architektur

Die Außenfassade des Gebäudes ist geprägt durch sehr engstehende und über zwei Geschosse angeordnete Stützen, die jeweils in einem Brüstungsriegel abschließen. Dadurch ergibt sich eine nach oben strebende „monumentale“ Fassadenarchitektur. Die Regelstützen haben einen Querschnitt von h/b = 40/50 cm und sind mit einseitig angeordneten, abgeschrägten Seitenflächen ausgebildet, die alle zwei Geschosse die Seite wechseln – so ergibt sich eine aufgelockerte Gesamtarchitektur mit Tiefenwirkung. Die Achsabstände der Einzelstützen betragen 1,35 m; im Erdgeschoss und in den obersten Geschossen 10 und 11 wurde hingegen nur jede zweite Stütze ausgeführt.

Die Fassade besteht aus einer zusammengesetzten Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Betonfertigteilen mit einer Gesamtabmessung von 2,70 m in der Breite und einer Höhe von 7,50 m. Die beiden Geschossdecken sind mit Iso-Körben am Fertigteil angeschlossen. Die tragenden FT-Elemente wurden mit Weißzement und einer leichten Sandsteineinfärbung hergestellt. Dadurch erhält die Fassade eine subtile „Weser-Sandstein-Optik“. Die Oberfläche wurde im schwach-gesäuerten Zustand bearbeitet, um die gewünschte „Sandsteinoberfläche“ zu erzielen. Ferner wurden die Fertigteile in Teilbereichen mit einem Graffitischutz behandelt. Im Erdgeschoss sind wesentliche Abschnitte als umlaufende Arkadengänge ausgeführt. Hier stehen die Außenfassadenstützen allseitig frei in Sichtbetonqualität bis zum öffentlichen Bürgersteig.

Projekthistorie

Bei dem Projekt lag bereits in der Entwicklungsphase der Fokus auf einer lastabtragenden Fassadenkonstruktion, da die beengten Grundstücksverhältnisse einerseits und die gewünschte Fassadenarchitektur andererseits kaum wirtschaftliche Alternativen zuließen. Seitens der Tragwerksplanung bestanden jedoch noch erhebliche Bedenken hinsichtlich der geplanten Gebäudehöhe von 40 m bei elf Geschossen und der damit verbundenen thermischen Beanspruchung. Diese verursacht eine Längenveränderung von ca. 2,5 cm (bei Δ = 60 °C) in der Höhe, die durch die Rohbaukonstruktion ohne Zwängungsschäden aufgenommen werden muss.

Weitere Bedenken lagen in der Höhe des Fertigteils von ca. 7,50 m und den Deckenanschlüssen über Iso-Körbe, die aufgrund der hohen Lasten mit keiner zugelassenen Systemlösung erstellt werden konnten. Der Schlüssel für die Ausführbarkeit einer solchen lastabtragenden Fertigteilkonstruktion lag in einer Fassadenstatik, die alle negativen Randbedingungen aufnimmt bzw. berücksichtigt.

Dabei sind im Wesentlichen folgende Faktoren von außerordentlicher Bedeutung:

– Berücksichtigung eines längenausdehnenden Außenfassadenbereichs gegenüber den Innenkernbereichen (Deckenzwängungen)

– konsequenter Wegfall jeder zweiten Außenstütze zur Verhinderung von Singularitäts­problemen aufgrund des sehr engen Achs­abstands von 1,35 m (jede zweite Stütze mit 0-Funktion)

– Berücksichtigung von Außermittigkeiten aufgrund der Decken-Iso-Korb-Anschlüsse (Stützenbiegung!!)

– Berücksichtigung der Iso-Korb-Lasteinleitung in die Rohbaudecken (Lastaufhängungen mit „Spalt-Zug“-Problem)

– Statisch sind die Stapelfugen als Gelenke angelegt. Sie werden mit Horizontallasten beansprucht infolge der außermittigen Stützen. Es sind Mörtelfugen ohne eine weitere Stahl­ertüchtigung ausgeführt worden.

– Berücksichtigung von Tragstrukturen im Erdgeschoss, die einer kontinuierlichen Lastabtragung der Fassadenstützen aus den oberen Geschossen entgegenstanden

– Lastumleitungen aus den oberen Geschossen mit rahmenartigem Tragsystem aus Fertig­teil­elementen aufgrund fehlender Lastabtragung im Erdgeschoss

Zu diesen Rahmenbedingungen aus der Statik des Gebäudes addierten sich noch Montageabhängigkeiten, die zu weiteren statischen Herausforderungen im Bauzustand führten. Das Projektteam hat sich nach Abwägung aller Problembereiche abschließend doch zu einer komplett vorgefertigten, lastabtragenden Außenfassade aus Architekturbeton entschlossen.

Statisches System der Fassade

Es wurden vorgefertigte, zweigeschossige Fassadenelemente (π-Elemente) mit den Hauptabmessungen von 2,30 x 7,50 m über Mörtelfugen übereinander gestapelt. Die Decken werden über Iso-Körbe angeschlossen. Die Horizontalkräfte infolge der Außermittigkeiten der Lasteinleitung aus den Stützen werden in den Koppelfugen über Dornverbindungen abgeleitet bzw. in die Deckenscheiben zurückgehängt. Eine besondere Herausforderung ergab sich im Erdgeschoss. Bei den Außenstützen waren hohe Anpralllasten aus den öffentlichen Verkehrsbereichen zu berücksichtigen, weshalb diese in der Aufstellfuge rückzuverankern waren.

Alle verwendeten Iso-Körbe zur Deckenlastabtragung bestehen aus Sonderbauteilen, die im Einzelnachweisverfahren statisch entwickelt wurden. Die vorhandenen, zugelassenen System­lösungen konnten nicht verwendet werden, da zu hohe Lasten mit bis zu 500 − 820 KN (VRD) eingeleitet werden mussten. Darüber hinaus mussten die Iso-Körbe geometrische Ansprüche erfüllen, die über die Abmessungen der Architektur­betonstütze vorgegeben waren. Hierbei mussten auch die Außen- und Inneneckenstützen mit unterschiedlich geringen Anschlussflächen beachtet werden. Gleichzeitig mussten die thermischen Trennungen (Iso-Körbe) und die in der Gebäudehöhe wirkende thermische Beanspruchung von Δ t = 60 °C in der Fassade und deren Berechnung Berücksichtigung finden. Nicht unerwähnt bleiben sollten die Montageabhängigkeiten der Fassadenelemente von den Ortbetonbereichen (Decken und Innenkern). Die zweigeschossigen Fassadenelemente gaben den Takt vor, mussten aber im Montagezustand aufwendig gesichert bzw. abgestützt werden. Daraus ergaben sich hochkomplexe Anschlusspunkte der Iso-Korb-Einbindungen bzw. Rückverankerungen in den Deckenbereichen.

Nur durch das positive Zusammenspiel von Fassadenplaner und Statiker, technischem Büro des Iso-Korb-Lieferanten und Prüfingenieur ist es dem Team gelungen, gemeinsam eine gebrauchstaugliche Gesamtlösung zu entwickeln.

Herstellung der Fassadenelemente im Fertigteilwerk

Aufgrund der wechselnd angeordneten Stützenquerschnitte über die gesamte Gebäudehöhe bestand ein extrem hoher Schalungsaufwand, bei dem nicht nur die Standardstützen, sondern auch die außen- und innenliegenden Stützen berücksichtigt werden mussten. Gefertigt wurden alle Fassadenelemente mit einem Beton C50/60, der auf Weißzementbasis mit beigefarbenem Farbzuschlag und gelb/ockerfarbenem Körnungsmaterial hergestellt wurde. Die Oberflächen der sandsteinfarbenen Elemente wurden werkseitig leicht gesäuert ausgeführt und erhielten – ebenfalls werkseitig – einen Oberflächenschutz (Hydrophobierung/Graffitischutz). Das Handling im FT-Werk aufgrund interner Transporte, Lagerungen und Oberflächenbehandlung erforderte einen hohen Anspruch an die Anschlagsysteme, um folgende Bedingungen zu erfüllen:

– Ausheben aus der Schalung

– Transportsicherung der schwachen Achse

– Drehvorgänge im Werk

– Vorbereitung für Transport und Übernahme auf der Baustelle

– Unwuchtigkeiten infolge ungünstiger Schwerpunktverhältnisse

Montage auf der Baustelle

Aufgrund der geometrischen Vorgabewerte und der o. g. Montageanforderung mussten diverse Punkte berücksichtigt bzw. in Montageanweisungen festgelegt werden:

– Drehvorgänge der FT-Elemente beim Abladeprozess in der Luft erforderten eine besondere Aufstelllogistik (liegender Transport)

– Montageprobleme infolge noch nicht betonierter Deckenränder (jede zweite Stütze trägt) und Doppelgeschossigkeit

– extreme Montagelastfälle bei fehlenden Stützen im EG (Eckbereiche) mit Stahl-Sonderkonstruktionen

– Montagelastfälle in Bereichen mit Scheiben- und Rahmenausbildungen in der Fassade oberhalb der Erdgeschoss-Abfangebene

Nur aufgrund der Erfahrung des Montageteams konnte die Fassade ohne nennenswerte Komplikationen montiert werden. Trotz der robusten Montageverhältnisse hielten sich Havarieschäden in Grenzen und konnten mit der üblichen Betonkosmetik beseitigt werden.

Fazit

Die Einbindung eines erfahrenen Fassadenstatikers ist in einem frühen Stadium (gemeinsame Systemfestlegungen) unumgänglich. Zur Vermeidung von statischen Fehleinschätzungen und Annahmen mit großen wirtschaftlichen Auswirkungen (z. B. Singularitätseffekte) sind erfahrene Tragwerksplaner gefordert. Eine enge Zusammenarbeit mit den Zuständigen für die Metall-Glas-Fassade, mit der Bauphysik und dem Prüfingenieur ist während der Projektbearbeitung erforderlich. Eine frühe Vergabe der FT-Leistung ist anzuraten, damit die Gesamtlösung der Fassade gemeinsam erarbeitet werden kann, da gegenseitig große Abhängigkeiten vorhanden sind. Die enge Zusammenarbeit mit Produktherstellern von Iso-Körben bzw. lastabtragenden Sonderkonstruktionen – eine Zulassung ist nur im Ausnahmefall vorhanden – ist bereits in der Vorplanungsphase unabdingbar. Nur durch die Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur im frühen Stadium können Projekte dieser Bauart zukünftig wirtschaftlich realisiert werden (System­abstimmung). ⇥

Projektdaten

Objekt: August-Kühne-Haus, Bremen

Bauherr: Kühne + Nagel AG, Bremen

Architekten: MPP Meding -Plan + Projekt GmbH, Hamburg

Fassadenplanung: Planungsbüro Bade, Isernhagen

FT-Herstellwerk: BWE-Bau Fertigteilwerk GmbH, Lemwerder

Iso-Korb-Technik: Max Frank GmbH & Co. KG, Leiblfing

Der Beitrag wurde bereits veröffentlicht im Jahrbuch Beton Bauteile 2021, Edition BFT, 2020 Bauverlag GmbH, ISBN 978-3-7625-3692-5, Seite 111ff.

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