Identität der Architektur: Konstruktion als beseelte Leistungsform

Zweiunddreißig Architekturbüros waren der Einladung der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen gefolgt, eine ganze Menge, die noch beeindruckender wird, wenn man bedenkt, dass zu der zweitägigen Tagung „Identität der Architektur“ (IdA) tatsächlich immer die GründerInnen, GeschäftsführerInnen, PartnergesellschafterInnen u. a. kommen.

Sie kommen seit 2017, da hatten der Lehrstuhl für Gebäudetechnik und Entwerfen, Prof. Hartwig Schneider, und der Lehrstuhl Raumgestaltung, Prof. Uwe Schröder, zum ersten Mal nach Aachen an die Hochschule eingeladen. Sie alle kommen von da an und bis heute regelmäßig und mit offenbarer Lust am Vortragen. „Ausverkauft“ las man zur 4. Auflage der mittlerweile gut eingeführten Veranstaltung im Netz. Was auch am sehr speziellen Vortragssaal liegen kann, dem nach allen Seiten offenen Foyer des ehemaligen Reiff Museums: Von draußen schauen Neugierige ebenso herein, wie StudentInnen immer wieder an ZuhörerInnen und Vortragenden vorbeilaufen. Mal kommen sie mit Modellen/Planrollen beladen hinein, mal laufen sie mit einem wohlgemuten Gesichtsausdruck ins Freie hinaus. Mal laut, mal leise.

Offen ist der Ort und – aber dann ist zu diesem Thema auch fast alles gesagt – wunderbar aufgeladen mit Geschichte: Hier, in diesem Foyer mit grober Sicht- und Waschbetonoberfläche feierten in den 1960er-Jahren Ferdinand Kriwet, Wolf Vostell oder Günter Brus ihre Avantgarde-Kunst in zeittypischem Überschwang, hier fand die Studentengalerie „Neue Pforte“ zeitweilig ihr Hauptquartier und organisierte dem Künstlernachwuchs Ausstellungen, Performances, Vorträge und Happenings. Dass die RWTH in den letzten Jahrzehnten dieser Avantgarde andere Plätze hat suchen lassen – in Köln oder Düsseldorf –, kann man bedauern, die Zeit einer – vorsichtig gesagten – Diskursivität ist an diesem Ort aber nicht abgebrochen, IdA ist hier der Teil in einem größeren Programm.

Selbstverständnis

IdA versteht sich als ein Forum, in dessen Rahmen alle Beteiligte auf die Suche gehen. Sie – ArchitektInnen – sollen der grundlegenden Frage nach der „Identität der Architektur“ nachforschen und das mittels der ausgewählten Begriffe, die für den Diskurs für zentral gehalten werden. Damit wird die Sicht auf die Veranstaltung selbst auch eine auf das Selbstverständnis der Disziplin, die, so die Einlader, dabei ist, zu zerfallen. In Spezialistentum möglicherweise, dieses wurde bisher nicht weiter verfolgt.

Das vorausgesetzt generiert Handlungsdruck: Die dem Unbill des Marktes und seiner hyperschnellen Veränderungen ausgesetzten KollegInnen in Europa – IdA lädt auch aus unseren Nachbarländern ein – sollen sich neu finden, sollen sich selbst und ihre Arbeit und die der KollegInnen befragen und sie schließlich beantworten; woher sie eigentlich kommen und wohin sie möglicherweise gehen. Dass die Fragestellungen sich an Begriffen orientieren, die bereits die ersten Baumeister unseres Kulturkreises bereits als die ihren konstatierten und dass in der jüngsten Veranstaltung immer wieder auf Schinkel und weniger auf Auguste Perret oder von mir aus auch auf Gustave Eiffel verwiesen wurde, deutet auf eine Haltung, die die ungebrochene Kontinuität im Architekturdiskurs an Protagonisten festmacht, deren theoretisches Werk die Curricula der deutschen Hochschulen bis heute durchgängig dominiert. Aber: Noch bleiben die kommenden Veranstaltungen, die sich dezidiert mit „Verantwortung“, mit „Europa“, mit „Geschmack“, „Feminismus“, „Innovation“ oder „Integraler Planung“ auseinandersetzen könnten. Das würde das Konzept der Tagung wesentlich verändern, denn noch sehen die IdA-Macher als ihre ersten Ansprechpartner die ArchitektInnen an. Aber: Was sind die ArchitektInnen?! Nicht auch Perret-Schüler? Nicht auch FeministInnen? Womit wir wieder am Anfang sind.

Nach Ort, Material und Funktion nun die Konstruktion

Also Begriffe. Ort, Material, Funktion, Konstruktion und – soviel sei hier schon verraten – im Jahr 2021: Raum! Es könnten noch kommen Patina, Struktur, Verbindung, Bauherr, Farbe, Skulptur, Erschließung, Normen und so weiter. Wir sehen dann möglicherweise immer noch die gleichen ArchitektInnen auf dem Podium, die gleichen Projekte, die in diesem Verfahren dekliniert werden bis sie – oder auch mal die ArchitektInnen – aufgeben. Weil sie entzaubert sind (die Projekte) oder weil man inzwischen weitergedacht, gebaut, entwickelt hat.

Zum Thema Konstruktion hielt Thomas Herzog die Keynote, die er, bevor er langen Applaus erhielt, so zusammenfasst: „Konstruktion ist eine Leistungsform, die das Wesen der Dinge durch Gestaltung sichtbar macht.“ Leistung und Wesen in dieser Art zu vereinigen, auch zu vereinnahmen, das kann wohl nur einer, der auf ein großes Lebenswerk zurückblicken kann. Seine Arbeiten, die er uns retrospektiv präsentierte, erschienen wir aus der Zeit gefallen, zeitlos im besten Sinne.

Nach dem Eröffnungsvortrag traten auf (ich kann nicht anders, die muss sie alle aufzählen): Marco Zünd (Buol & Zünd), Paul Kahlfeldt (Kahlfeldt Architekten), Oliver Thill (Atelier Kempe Thill), Jürg Graser (Graser Architekten), Felix Claus (Claus Van Wageningen), Reem Almannai (Almannai Fischer), Jeroen Geurst (Geurst & Schulze Architekten), Andreas Hild (Hild & K), J. P. Wingender und Zeno Vogel (Office Winhow), Markus Peter (Meili Peter), Christian Penzel (Penzel Valier), Hans van der Heijden, Christian Heuchel (Ortner & Ortner Baukunst), Christian Rapp (Rapp + Rapp), die wunderbare Marianne Burkhalter (Burkhalter Sumi), der Youngster unter den Jungen, Florian Summa (SUMMACUMFEMMER), Lieven Nijs und Bart Vanden Driessche (BLAF Architecten), Ondřej Hofmeister (Projektil Architekti), Volker Staab (Staab Architekten), Heike Hanada, Jörg Springer (Springer Architekten), Jeanette Kuo (Karamuk Kuo), Florian Nagler (Nagler Architekten), Meinrad Morger (Morger Partner), Connie Wust (Behnisch Architekten), John Klepel (LIN), Christoph Mäckler, Eun Young Yi (Yi Architects), Johannes Brunner (BBK Architekten) und am Ende Mirko Baum (Baum Baroš). Zweiunddreißig Büros, die ihre teils schon ein paar Jahre älteren Arbeiten zeigten, an ihnen das Thema „Konstruktion“ anschaulich machten oder schlicht ihr Projekt zeigten als Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Ort, dem Material oder seiner Funktion, die am Ende in eine Konstruktion mündete. Hierbei wurden häufig Begriffsklärungen versucht, die allerdings, anders, als beim dem letztjährigen („Funktion“), nicht in heftige Dispute mündeten. Aber auch nicht zu einer Begriffsschärfung beitrugen. Nicht diskutiert wurde das in dem Begriff der Konstruktion enthaltene „Vortäuschen“.

Konstruktion ist Gestaltung. Ja. Aber?

Konstruktion sei, hier schien es einen vagen Konsens zu geben, mehr als Tragwerk (das machen ja auch die Ingenieure?!). Konstruktion sei, so z. B. Paul Kahlfeldt, der Weg zur Architektur, zum gestalteten Gebauten. Und – auch wesentlich für Konstruktion – sie braucht ein Narrativ. Das kann das Offene, das Ablesbare sein (erkenne dich selbst, Haus!), das kann aber durchaus auch in einem Akt der Verschleierung aktiviert werden. Mit „Symbolische Konstruktion“ erfand Andreas Hild eine Begriffserweiterung, die er für seine Fake-Wandpfeiler an der TUM nutzt, wunderschöne, übergroße, gemauerte Lisenen, die eigentlich eine Art verkleideter Metallbau sind. Hier ist Gestaltung und Konstruktion in einem. Konstruktion in dieser Weise gedacht, weitet den Begriff noch weiter, Konstruktion wird zum gestalterischen Element, das man den Bauherrn noch im Bauprozess unterschieben muss.Florian Naglers Versuchsbauten kamen ziemlich zum Schluss, sie sollten zeigen, dass man wieder einfacher denken muss. Florian Nagler zeigte einfache Volumen, aus denen Fenster mit gemauerten Rundbögen auf eine leicht entgeisterte Kollegenschaft schauten. Jörg Springer fragte hier, ob wir nicht endlich einmal wieder in anderen Bildern denken müssen?!

Ist Konstruktion Gestaltung? Gehen sie getrennte Wege? Wollte man kons-truieren, was wir alle von den beiden sehr vollen Tagen mitgenommen haben, dann ist es der Blick auf eine Profession, die sich gar nicht über Begriffe suchen und finden muss. Die tagtäglichen Forderungen aus Politik und Gesellschaft zeigen sehr deutlich, dass Architekten auch Gestalter sein sollen, vor allem aber solche, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und anfangen, anders zu bauen; oder gar nicht mehr. Was letzteres nicht die Option sein kann! Be. K.

https://ida.rwth-aachen.de
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