Was ist Funktion? Auf der Suche nach der Identität der Architektur

Ach, es ist kompliziert. „Dass ein Gebäude funktionieren soll, ist eine praktische Forderung, die sich an Entwurf und Bau der Architektur richtet.“ So der Einleitungstext zum 3. Architektursymposium „Identität der Architektur“ der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen. Nach „Ort“ und „Material“ wurde nun die „Funktion“ als dritte Konstituente für das befragt, was wir mit „Architektur“ meinen. Eingeladen waren 30 westeuropäische Büros, die mittels Projektpräsentationen und zusammenfassenden Podiumsdiskussionen das erhellen sollten, was der Österreicher Hermann Czech in seinem Einführungsvortrag gleich infrage stellte. Oder genauer: kritisch hinterfragte, weil ihm der Begriff „Funktion“ „der irreführendste in der Architekturtheorie“ ist. Es sei eben ein Missverständnis, Funktion als Voraussetzung für alles Folgende anzusehen.

Mehr noch, der Begriff „Funktion“ ist überhaupt noch nicht abschließend definiert. Emmanuelle Gallo und Claude Schnaidt formulierten vor rund 30 Jahren 18 verschiedene Definitionen von Funktionalismus, so viele deshalb, weil sie erkannten, dass sich die Vieldeutigkeit des Begriffs „Funktionalismus“ sehr schnell aus der fehlenden Antwort auf die wesentliche Frage ergibt: Was ist Funktion? (Gallo/Schnaidt, Was ist Funktionalismus. In: form und zweck H. 21, Berlin 1989). Am Ende des ersten der beiden Symposiumstage war man in dieser Frage nicht viel weiter, einer der Moderatoren, Michael Mönninger, sprach von der „Schnapsidee in der Architekturgeschichte“, bezog das wiederum auf den Funktionalismus.

Aber nähme man der Funktion, die, wörtlich genommen für Tätigkeit, Verrichtung o. ä. steht, für das Reibungslose, Erfolgreiche/Folgenreiche, nähme man ihr ihre Bestimmung, definiert zu arbeiten, dann müsste die Reaktion darauf ein Rückschritt evolutionärer Optimierungsprozesse sein. Etwas, das nicht mehr funktioniert, muss ersatzweise auf einem niedrigeren evolutionären Level arbeiten. Womit wir schnell im Archaischen sind, das dem universalistischen Ansatz des Funktionierens bis heute die Grundlage ist – kulturenübergreifend!

Aber lässt sich Funktion auf das Rudimentäre reduzieren? Sind wir dann nicht sofort im Antithetischen von Form vs. Funktion? André Kempe von Atelier Kempe Thill möchte „Funktion neutralisieren“ und schlägt vor, nach dem Allgemeingültigen in der Architektur zu suchen, Marco Zünd von Buol und Zünd möchte Funktion als „Wirkungsweise“ von Architektur verstanden wissen und sieht Funktion als „die Arbeit am Architektonischen“, die sich von der absoluten formalen Freiheit (Rafael Moneo) distanziert. Und brachte direkt anschließend eine Frage auf, die auch die Nachfolgenden immer wieder aufgriffen: Muss sich Funktion nicht auch wandeln können in einer dann offenen Form (Nachhaltigkeit des Gebauten)?

Tim Heide von Heide & von Beckerath brachte das Thema der Ökonomie als zentrale Funktion des Gebauten auf, wobei die Funktion der Ökonomie zu folgen hat. Womit er so halb beim Funktionalismus angekommen war, der an diesem Tag seine negative Konnotation in keinem Augenblick abzulegen imstande war.

Es folgten weitere Architekten, die ihre Projekte auf teils eher triviale Funktionsebenen heruntererklärten. Es ging um Flächenoptimierung, um urbanen Kontext, um die Frage, wie Funktion in Architektur und Form aufgehen kann und machmal auch darum, dass auch ohne Funktion Architektur denkbar sei.

Andreas Hild von Hild und K forderte, Funktion müsse ablesbar und allen verständlich in etwas Gebautes überführt werden, was ein „uneinlösbares Versprechen der (Architektur)Moderne“ geblieben sei. Wie überhaupt der Begriff „extrem dehnbar“ und damit eigentlich unbrauchbar sei. Er schaue lieber auf Nutzungsanforderungen, an denen sich ein Architekt abarbeiten sollte.

Womit nichts geklärt wurde. Mitgenommen hat der Autor dieses Textes allerdings die Überzeugung, dass es nicht ausreicht, über Ort, Material und nun Funktion allein aus Architektensicht zu reflektieren. Das Ziel des Symposiums, der Identität der Architektur wenigstens ein wenig näher zu kommen, wird nicht erreicht, wenn man nur von innen drauf schaut. Es fehlt die Sicht der (öffentlichen) Bauherrn, Investoren, der Nutzer, der Ingenieure. Es fehlt der Blick der Jungen, es fehlt Abwechslung in der Besetzung der Symposiumsreihe, in der beinahe die komplette Riege der Architekten auftaucht, die  u. a. auch die jährliche „Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ in Düsseldorf bestreitet. Es fehlt: Frau Architekt, auch wenn sie in Aachen oder auch Düsseldorf sehr vereinzelt gesichtet wurde. Von den wenigen hielt Carolina Fiechter von Fiechter & Salzmann mit ihrem Vortrag, in welchem alte Berner Bauernhäuser eine zentral funktionale Rolle spielten, als einzige die Stellung.

Funktion? Aber ja. Und: Ohne Funktion keine Architektur. Aber sonst? Man darf gespannt sein, welcher Begriff in 2020 als für die Identitätsdebatte konstituierend angesehen wird. Und wer kommen wird, diesen uns allen anschaulich, vielleicht sogar handhabbar für unsere Arbeit werden zu lassen. Be. K.

ida.rwth-aachen.de

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