Ihme-Zentrum in Hannover verkauft. Was nun?

Davon gibt es nicht mehr viele: Stadt-in-der-Stadt-Planungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren in Deutschland. Viele davon sind aufgegeben, manche gesprengt, still abgerissen, andere stehen leer und warten auf Abriss oder die Sanierung. Noch fehlt den Städten der Wille, die in Verruf geratenen „Elefanten“, die gerne auch „Wohnmaschinen“ titulierten Massenwohnbauten mit Ladenzeile im EG unter Schutz zu stellen, um sie so geschützt einem Investor zu überlassen. Der argumentiert – durchaus nachvollziehbar – mit zu hohen Sanierungskosten. Und wenn die als Argument für den Abriss nicht ausreichen, wird Asbest oder Pentachlorphenol (PCP) gefunden.

Dabei muss die gebaute Idee von der Gemeinschaft im Massenhaften gar nicht das Schlechteste sein. Ganz im Gegenteil gibt es in Europa Siedlungen, die bis heute derart attraktiv sind, dass freiwerdende Wohnungen – wie in Alt Erlaa (Architekten: Arge mit Harry Glück & Partner, Kurt Hlaweniczka und Requat&Reinthaller) – ausschließlich unter der Hand vergeben werden. Das hat mit vielem zu tun, insbesondere mit funktionierender Infrastruktur, bezahlbaren Mieten, mit guten Grundrissen, günstigen Nebenkosten und mit der guten sozialen Mischung. Dass das eine das andere bedingt, ist bekannt und macht die Sache zugleich auch schwierig: Wo soll ich einhaken, wo muss ich wie steuern, damit mein Massenwohnungsbau, meine Stadt-in-der-Stadt nach der Sanierung und lebendig und wirtschaftlich bleibt/wird?

Über den Spuren des Nichtwissenwie

Ein wirklich beeindruckendes Beispiel von den zahlreichen städteplanerischen Versuchen, Wohnraum in Innenstädten über maximale Verdichtung zu realisieren, steht in Hannover, nur wenige hundert Meter Luftlinie vom nördlich gelegenen Kröpcke entfernt. Hier, wo ehemals Gewerbe am Ufer der Ihme stand, plante in den 1960er-Jahren die Stadt Hannover ein Wohn-, Verwaltungs- und Einkaufszentrum. Das, weil es den kleinen Fluß begleitete, Ihme-Zentrum genannt wurde. Gut 800 Wohnungen, die meisten als Eigentum, bot die Kleinstadt, 2 600 Menschen leben heute noch in ihnen und zwar über den Spuren des Nichtwissen – wie: Teilabrisse, Durchbrüche, provisorische Verkleidungen und Absperrgitter vor Flächen, für deren Nutzung es offenbar einmal eine Idee gegeben hatte.

1974 eröffnete das Ihme-Zentrum mit Wohnungen, Büro- und Geschäftsflächen, die größtenteils über die hoch- und innenliegende Fußgängerzone erschlossen wurden. Darunter der „ruhende Verkehr“. Die Geschäfte waren zuerst eigentümergeführt, wurde durch immer größere Franchiseflächen ersetzt. Doch auch Umsatzmaschinen wie Allkauf oder später Saturn konnten sich nicht halten, das Masse-statt-Klasse-Konzept ging hier nicht auf.

Projektentwickler mit Vermarktung beauftragt

Und in diesem Scheitern kamen die drei Großeigner des Ihme-Zentrums auf die Idee, sie müssten etwas tun, man bräuchte eine Neugestaltung. Aber WestLB, NordLB und die Stadtwerke konnten sich nicht einigen, man verkaufte. Im Jahr 2000 an den Investor Frank-Michael Engel, der die meisten Geschäftsflächen aufkauft. Sechs Jahre später und nach vielen Visualisierungen verkauft Engel an den US-Fonds Carlyle. 2009 beantragt dieser Insolvenz für seine Projektgesellschaften im Ihme-Zentrum.Die Landesbank Berlin als Hauptgläubigerin, fünf Insolvenzverwalter und ein Institutszwangsverwalter übernehmen. Es wird ein Projektentwickler mit der Vermarktung beauftragt, die sich als schwierig darstellt. Grund: Mitspracherecht der Wohnungseigentümer bei der Nutzung der Gewerbeflächen. 2011 müssen aus diesem Grund alle rund 550 Wohnungsbesitzer im Ihme-Zentrum neue Eigentumsverträge hinnehmen.

Es gibt neue Investoren und neue Verkäufe, der Verfall geht sichtbar weiter. In der Schule werden bereits „Junge Ideen für das Ihme-Zentrum“ in einer 11. Klasse erarbeitet. Es gibt Vorträge von Architekten, Websites werden gebaut. Aber weil die Stadt die Chance vor der Haustür nicht sieht, passiert nichts. Im Gegenteil, die Stadt als Hauptmieter droht schon mal damit – weil nichts passiert –, aus dem Zentrum auszuziehen.

„Schön“ hat mit Städtebau nichts zu tun

Nun hat sich wieder ein Investor gemeldet, die Verhandlungen sind so gut wie abgeschlossen. Die Sapinda-Holding hat von der Berliner Intown übernommen. Der Chef der Holding ist kein Unbekannter, er reiste in den 1990er-Jahren mit Altbundeskanzler Kohl als Vorzeigenachwuchsunternehmer durch Asien. Scheitern und Neuanfang sind seine Stärken, nun also das („kleine“) Invest an der Ihme. Er hat vor der Presse versprochen, er werde das Ihme-Zentrum schön machen. Nun ist „schön“ nichts Konkretes, mit Städtebau hat es schon gar nichts zu tun. Aber Lars Windhorst wäre nicht eben dieser Unternehmer, wenn er nicht genau wüsste, dass man mit „schön“ in diesem schwierigen architektonisch/städtebaulichen Minenfeld alles zu heilen verspricht. Und so, wie Georg den Drachen überwunden hatte, so wird Lars das Betonmonster überwinden. Und eine rentable Sache draus gemacht haben. Hoffentlich. Von dort aus könnte Hannover dann wieder Verantwortung übernehmen, die Betonburg zur Chefsache erklären. Das Ihme-Zentrum vis-à-vis der City endlich als weiteres Zentrum anerkennen und in diesem Spannungsfeld Energie gewinnen für einen Aus- und Weiterbau im Herzen einer ins Stocken geratenen Landeshauptstadt. Be. K.

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