Immer noch: Potsdam baut sich schön
Ein wenig verloren und wie aus dieser Zeit gefallen steht er da, der Staudenhof, ein Plattenbau mit rund 180 Kleinwohnungen in direkter Nähe zur St. Nikolai Kirche im Herzen des historischen Potsdam. Ihre Verlorenheit zieht die graue Platte mit wenigen, von den BewohnerInnen gesetzten Farbtupfern aus dem Abbruch des mit ihm geplanten ehemaligen FH-Gebäudes, das mit der heute umgebauten Bibliothek Anfang der 1970er-Jahre einmal als zentraler Ort der Wissensvermittlung und des Wohnrechts für alle stand. Mit dem ebenfalls abgerissenen Staudenhofgarten bildeten diese vier Bausteine den Kern einer Neuplanung der Potsdamer Altstadt.
Die damals auch ideologisch begründete Planung ist nun einer neuen Ideologie ausgesetzt: der des neuen, alten Schönen. Das hat sich bisher manifestiert in den Wiederaufbauten u. a. des Knobelsdorffhauses und St. Nikolai (beide zur DDR-Zeit), des Schlosses, der Palazzi Chiericati und Pompei und des Palais Barberini. Weitere Bauten sollen folgen; in wenigen hundert Metern Entfernung wächst zurzeit die Garnisionskirche in den Straßenraum und in die Höhe.
180 Kleinwohnungen, soziale Projekte, soziale Mischung. Mietpreise, die weit unter dem liegen, was ein Wohnberechtigungsschein sonst noch in Potsdam möglich macht. Der Grund: uralte Mietverträge und unterste Standards sowie ein baulicher Zustand, der dem Klischee vom miesen Plattenbau das Wort redet. Es gab Abrissforderungen und Sanierungsgutachten, es gab Bürgerinitiaven zur Rettung und solche zum Fortschreiben der Innenstadtrekonstruktion. Entschieden war nichts. Bis zum 23. Februar 2021, da stimmte der Bauausschuss der Stadtverordneten für den Abriss des Wohnbaus mit Stimmen der CDU, SPD, Grünen und AfD. Die Linke und die Fraktion Die Andere stimmten dagegen. Damit scheint die Abriss-/Retrostimmung in der Landeshauptstadt ungebrochen und das Haus aus der Planerwerkstatt „VEB Wohnungskombinat Potsdam“ Geschichte zu sein.
Der Abriss soll im März 2023 beginnen, sechs Jahre später soll der Wohnungsneu stehen – letzter Baustein des Leitbautenkonzepts für die Potsdamer Mitte, das den Wiederaufbau rund um den 1945 zerstörten Alten Markt im historischen Grundriss vorsieht. Aus Sicht des Baudezernenten, Bernd Rubelt, ist die Entscheidung pro Abriss „eine Qualitätsentscheidung für viele Jahre“. Aus Sicht von Städteplanern, Klimaingenieuren und Architekten, die intelligenter Planung dem stumpfen Rückbau den Vorzug geben, eine Fehlentscheidung, die das behauptete Schöne nur Pflicht sein lässt. Die stadteigene Pro Potsdam, welche die städtischen Immobilien plant und verwaltet, bietet aktuell sozialen Wohnungsneubau an: entlang einer Ausfallstraße, ein paar hundert Meter stadtauswärts. Geht so Integration? Letzte Chance vertan, da verhallt auch der späte Aufruf nach Erhalt des Wohnungsbaus seitens des BDA Landesverbandes hilflos und verspätet! Be. K.