Innehalten, nachdenkenEine Designerin zeigt uns, was alles wir aus einem Schwein machen
Ist Ihnen eigentlich klar, woher das Glas kommt, das Sie in Ihrem Projekt verplanen und verbauen? Woher der Kleber für die Böden, woher die Gummidichtungen, die Zuschlagsstoffe im Beton, die Wolle, die in der Auslegeware sanften Schimmer verbreitet, das Holz, das den Dachstuhl aussteift, die Kunststoffpanele, die Sie unter die Decke schrauben, das Eisen für den Stahl der Doppel-T-Träger, die Kupferrohre der Wasserinstallation, der Kalk, der Ihren ansonsten gut gepflegten Schuhen diesen Anstrich von Baustellenkompetenz verleiht?
Ein Haus ist ein Haus und Schluss, diesen Zirkelkreis darf heute eigentlich niemand mehr schreiben. Es soll Kinder geben, die wissen längst nicht mehr, dass Lebensmittel einmal auf Feldern oder in Ställen wuchsen. Es soll Erwachsene geben, die glauben, Strom käme aus der Steckdose und es käme auf ständiges Wirtschaftswachstum an; Predigeropfer. Nein, die durch und durch industrialisierte Welt – die nur scheinbar überwunden ist: Sie ist einfach besser implemtiert, eleganter designt und gewohnheitsmäßig nur mäßig sichtbar geblieben – ist zu einem hochkomplexen Organismus gewachsen, von welchem wir längst ein Teil geworden sind. Da fällt es schwer, über Effizienz zu sprechen und leicht, die Arbeit an der Effektivität unseres Handelns zu vernachlässigen.
Per Zufall stieß ich in den vergangenen Monaten auf ein Buch, das den nüchternen Titel „PIG 05049“ auf seinem etwa schweinehautfarbigem Schutzumschlag trägt. Schwein Nr. 05049 ist der Protagonist in dieser von der Designerin Christien Meindertsma, Rotterdam, entwickelten Arbeit, in welcher die Niederländerin zeigt, welche Wege das in seine Einzelteile zerlegte Lebewesen Schwein in unsere Dingewelt nimmt. Strom kommt aus der Steckdose? Meindertsma macht rund 185 Produkte aus, in welche Organe, Haare, Knochen, Fleisch und andere Bestandteile eines Schweins einfließen. Zum Beispiel in ein Kotelett. Das überrascht allerdings nicht. Dass die schweinischen Substanzen sich aber auch in Munition, in zahllosen Präparaten der Schönheitsindustrie, in Bremsbelägen, Waschpulver, Lackfarben, China-Porzellan, zahllosen Süßigkeiten, Zigarettenpapier, Hochleistungs- und Spezialklebern, Schmirgelpapier oder Herzklappen und eben zig weiteren täglich konsumierten oder in die Hand genommenen Dingen findet, das ist wohl eher unbekannt. Oder sagen wir es anders: Wir haben nicht darüber nachgedacht.
Die Arbeit von Meindertsma könnte zwei Konsequenzen haben: erstens, wir könnten jetzt in der Komplexität der Zusammenhänge des Alltäglichen untergehen, oder zweitens: Wir machten selbst ein solches Buch. Über die Vernutzung der lebendigen Natur, ihrer hocheffizienten Verwandlung in Dinge wie Turnschuhe, abwaschbare Oberflächen oder Flachbildschirme. Der Strom für deren Betrieb … na, Sie wissen schon. Be. K.