Endlich: Rückschau nach vorn

„Fast alle“, so startet die aktuelle Werkmonografie von raumlaborberlin und „fast alle“ sind ca. 340 Menschen, die in der Monografie auf einer der ersten Seiten gelistet sind, aus fast der ganzen Welt. raumlaborberlin steht – vor allem – für kooperatives Handeln und nicht zuerst das Planen. Das Arbeitskollektiv gibt es seit 25 Jahren und hat in dieser Zeit eher unsichtbar an unzähligen Projekte gearbeitet, mitgearbeitet, leitend, initierend. Die heute neun Architektinnen haben wahrscheinlich zu verantworten, dass wir heute über Stadtplanung und vor allem über die kooperative Stadtentwicklung ganz anders sprechen als noch zum Ende des 20. Jahrhunderts.

Und so wurde es Zeit, ihren Arbeiten und ihrer Arbeitsweise nach der ersten Publikation 2008 („acting in public“, ebenfalls bei Jovis) eine Bestandsaufnahme vorzulegen. Da darf man keine Chronologie, keine Dokumentation erwarten, eher ein Spazierengehen durch die Vergangenheit und ihre Orte, an denen Gespräche aufgezeichnet werden, deren O-Ton berührt. Wir bekommen – noch mal – ein anderes Bild des Kollektivs, dessen Natur das Wandelbare ist, das Überraschende.

„Nimm, was du bekommen kannst“ ist eine Grundhaltung, deren Gewichtung sich auch im Titel der Monografie widerspiegelt: Polylemma sind gleichwertige Möglichkeiten, deren gleicher Rang vielfach verhindert, dass man überhaupt beginnt, weil es scheinbar alles, nur keine Rangfolge gibt. So wird auf dem weiten Feld des schlicht Vorhandenen improvisiert, das Meiste ist ohnehin temporär in seiner physischen Anwesenheit, aber dauerhaft im Verdauen und (Re-)Produzieren. Sie hätten, so raumlaborberlin aus eigener Sicht, bisher keine dauerhaften materiellen Werte geschaffen, und tatsächlich lebt der Großteil ihrer Planungen, ihrer Ideen, ihrer Konversationen und Perspektiven unter der Oberfläche, schwer identifizierbar in zahllosen Folgearbeiten, die nicht zwangsläufig ihre sind.

Die sehr dichte Bucharbeit, die durchzuackern eine wirklich lohnende Mühe ist, bietet Gespräche, zeigt Projekte, die teils schon lange laufen, zeigt immer Menschen im gemeinsamen Tun, zeigt aber auch immer wieder gestaltete Baukörper, die das hervorragend leisten, was sie zu leisten haben. Dem Polylemma möchte man ein Polyphon hinzufügen, dieses Buch bietet uns ein Korrektiv in der Sicht auf Stadt und ihre Räume, wie sie traditionellerweise sonst eher an Hochschulen generiert wird; dort allerdings im freien Raum, bei raumlaborberlin mit direkter Verknüpfung an das Arbeiten an unserer gebauten Zukunft.

Von buchgestalterisch überdurchschnittlicher Qualität wäre das Polylemma doch vielleicht in der Gestaltung des Erzählstrangs (des Erzählknäuels?) besser einer leise leitenden Struktur gewichen, die bei aller Freiheit dann doch sanft an die Hand nähme hinaus ins Schärenland der Projekte, Projektgespräche, Ideen? Doch das ist vermutlich nicht möglich. Be. K.

Polylemma. Hrsg. v. raumlaborberlin. Jovis, Berlin 2024, 480 S., 620 Farb- und sw-Abb.46 €, ISBN 978-3-86859-672-4
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